Doppelstaatsbürgerschaft: Aufheben, aber nicht übertreiben

Erdogans Referendum zur endgültigen Putinisierung seiner Macht wurde lange nur diplomatisch behandelt. Der Popo vom Bosporus wurde, als Flüchtlings-Fänger, höchstens windelweich geknutscht. Doch jetzt beginnt Europa doch auszutreten. Den EU-Staaten wird allmählich klar, dass muslimische Flüchtlinge nicht die einzigen sind, die eventuell eine befremdliche Auffassung politischer Werte in unsere Demokratien tragen.

Einzelne EU-Staaten, darunter Österreich, reagieren nun besonders empört. AKP-Mitglieder sollten diesmal keine Propaganda auf europäischen Boden machen dürfen. Die austrotürkischen Doppelstaatsbürgerschaften sind plötzlich wieder Thema. Es droht eine Überreaktion (siehe auch hier).

Eurotürken als vernachlässigter Faktor

Während gerade Asylsuchende über keine politische Macht verfügen, bilden türkischstämmige Europäerinnen seit Generationen einen wichtigen Faktor für Wirtschaft und Wohlstand. Trotz dieser Bedeutung für unsere Gesellschaft, fristen sie, bis auf wenige Einzelpersonen, ein politisches Schattendasein. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Eurotürkinnen gute, auch politische Beziehungen zur „alten Heimat“ pflegen. Wo sonst werden sie entsprechend ernst genommen? Erdogan hat, im Gegensatz zu Europa, den Wert der Eurotürkinnen erkannt. Die Sympathien, die sie wiederum für ihn hegen, sind äußerst dümmlich, aber auch äußerst menschlich. Sie beruhen auf dem selben Opportunismus, dem auch die Rechtspopulisten in Putistan folgen. Bevor der Mensch vor die Hunde geht, wird er zum Hunde.

Doppelstaatsbürgerschaften aufheben, aber...

Der EuGH erlaubte letztens Kopftuchverbote (unter Voraussetzung der Gleichbehandlung aller Religionen, die eigentlich selbstverständlich sein sollte). Die Niederlande schob türkische Ministerinnen ab. Die österreichische Bundesregierung fasst einen gnadenlosen Staatsbürgerschaftsentzug für austrotürkische Doppelstaatbürgerschaften ins Auge.

Ich bin nicht gegen ein Verbot. Wer einer Demokratie und einer Pseudodemokratie angehört, wird zu einem politischen Paradoxon. Allerdings halte ich die übertriebene Härte, an der man sich zur Zeit populistisch ergeilt, zwar ebenfalls für äußerst menschlich, aber auch für äußerst dümmlich und übertrieben.

Im Sinne des Rechtsstaates

Strafe müsse sein, gerade wenn es um die wertvolle Staatsbürgerschaft, meint die Regierung. Ja, eben. Einen solchen Wert entzieht man nicht leichtfertig, ehe man nicht mit den Betroffenen gesprochen hat. Es gibt im Grunde keine größere Strafe für Staatsbürgerinnen. Es ist ein Straf-Höchstmaß in Form einer Vernichtung der legalen Existenz. Aber gerade weil sie Staatsbürgerinnen sind, haben sie das Recht auf ein faires Verfahren. Das ist im Sinne des Rechtsstaates.

Im Sinne der Vernunft ist es, zunächst heraus zu finden, was Austrotürkinnen dazu brachte, eine (erneute) Doppelstaatsbürgerschaft anzustreben. Denn der Grund könnte gerade die politische Kommunikation sein, die man gegenüber „unseren Türkinnen“ bisher vernachlässigte. Menschen, die geholfen haben, Österreich nach dem Krieg wieder aufzubauen, deren Familienbetriebe seither Straßen mit Leben erfüllen, die ansonsten der gesellschaftlichen Überalterung zum Opfer fielen, haben es verdient, noch einmal konkret vor die Wahl gestellt zu werden: Gehörst du zu uns oder nicht? Wenn sie sich aber für uns entscheiden, dann müssen wir uns auch für sie entscheiden.

AntonikSeidler

Anmerkung: Da das Gendern durch „Binnen-I“ oder „Binnen-*“ für manche Leser beschwerlich ist, schreibe ich, wo beide Geschlechter gemeint sind, nur die weibliche Form. Die männliche ist ohnehin enthalten und daher leicht mit zu meinen. Ausnahmen stellen z.B. „Rechtspopulisten“ dar, die keine Gendergerechtigkeit verdient haben.

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Silvia Jelincic

Silvia Jelincic bewertete diesen Eintrag 17.03.2017 22:54:00

Spinnchen

Spinnchen bewertete diesen Eintrag 17.03.2017 12:17:08

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