Wer oder was?

Es gibt also Menschen, die vor Krieg und Tod geflohene Kinder zum Weinen bringen, weil sie glauben, dass deren Eltern ihre Omas vergewaltigen wollen. Oder so ähnlich. Diese ewig eh-nur-besorgten Bürger (ohne "_innen" – gehört nicht zu ihrem Kulturkreis), die nicht irgendeines, sondern DAS Volk schlechthin sein wollen, sind... ja, wer oder was? Irre? Vom Teufel Besessene? Rechtsradikale? Neonazis? Faschisten? Nichts davon, glaube ich.

Beim politischen Selbst-Entblößen der Asylgegner erkennt man: Fürs Radikale fehlt ihnen der politische Ehrgeiz, der über Proteste und Hausversammlungen hinausgeht. Eine Neo-NSDAP gibt es nicht (heißt jetzt anders). Für den Faschismus fehlt der bewusste Wunsch nach einer entsprechenden "Staatsreform". Der Teufel hat Besseres zu tun (auf den Finanzmärkten). Und Irre sind wir sowieso fast alle.

"Linksfaschistische Lügenpresseleser" wie ich würden sie vermutlich Idioten schimpfen. Wortursprünglich stimmt das auch ohne Beleidigung (sagt Wikipedia). Einerseits durch idiotes, also einem Privatmenschen, der nur seine Ruhe und sonst gar nix haben will, wie ihn der Altgrieche kennt ("die Pol is, wo der Alkohol is!" ). Andererseits stellt auch die Lateinerin erstaunt fest, dass diese idiotae ihre Forderungen auf Unwissenheit gründen (“Ich kenne zwar keine Germanen, aber die sind eh alle Barbaren!”).

Blöde + Böse = Blöße

Die Weiterführung zu Idioten wäre eine arge Verrallgemeinerung. Ich zünde schließlich kein Asylheim an und bin trotzdem ein Depp, gelegentlich. Zum Beispiel fällt mir nicht mehr ein, wer einmal seine Foltererfahrungen im Radio erzählte. Weiß nur noch was: Das Monster, das ihn folterte, konnte sich augenblicklich in einen besorgten Familienvater verwandeln, sobald er zwischendurch mit seiner kranken Tochter telefonierte. “Das Böse” ist manchmal erschreckend banal, kann in den freundlichsten Menschen innewohnen. Meist reden sich “die Bösen” erfolgreich ein, mit ihren Untaten gerecht zu handeln. Gerade deshalb müssen wir auf das kleine Volk der Asylgegner aufpassen, ehe es Großreich werden will. Sie bilden sich ein, einen gerechten Abwehrkampf gegen das Fremde zu führen – früher gegen “die Ausländer”, dann gegen “die Migranten”, heute gegen “die Flüchtlinge”.

Linke Idiot_innen

Ja, ich höre eh schon die vorwurfsvolle Frage: Und was ist mit den Linksextremist_innen, die sich mit der Polizei prügeln und Schaufenster einschlagen? Die erreichen den Zenit ihres politischen Engagements bei der jeweiligen Antifa-Demo. Dort sind sie stets eine Minderheit, die sich bestenfalls bei einer, von der Versicherung gedeckten, Sachbeschädigung, einen Adrenalinkick abholen kann. Aber sie pöbeln ganz offen gegen Faschismus und seine Vorzeichen, der eine tatsächliche Bedrohung ist – wenn auch mit falschen Mitteln – und nicht gegen erfundene Feindbilder. Randalierende Linksextremist_innen sind also nur Idiot_innen.

Keine Idioten

Wenn die ängstliche Rentnerin und der frustrierte Jungarbeitslose sich von der FPÖ, durch Lügen und Gerüchte, aufstacheln lassen, weil Kriegsflüchtlinge in ihrem Bezirk Zuflucht erhalten sollen, bilden sich jedoch düstere Vorzeichen. Die Rechtspopulisten, Demagogen und Hetzer, die das ganze vorantreiben, sind keine Idioten, auch keine Idiotae oder was auch immer die Mehrzahl von Idiotes ist. Sie wissen genau, dass und wie sie, dank Frust, Angst und Unkenntnis des Wir-Volkes, schnelles politsches Kleingeld kassieren können. Das lässt sich, über politischen Einfluss, in reales Geld verwandeln. Darum geht's. Deshalb findet man auch so genannte Bildungsbürger unter den Angstbürgern. Die suchen späten Ruhm, irgendwie, irgendwo.

Es könnte den Berufshetzern jedoch passieren, dass die vielen Unwahrheiten, die sie verbreiten, zum Boomerang werden. Wenn nach jeder wahren Geschichte über unartige Flüchtlinge, unzählige unwahre G'schichteln folgen, lässt sich Wahrheit und Lüge irgendwann nicht mehr unterscheiden. Dann glaubt man entweder alles oder nichts mehr. Und dann stehen diese Werbefuzzis des Bösen doch auch als Idioten da.

Keine Nazikeule

Die Parallelen zu unserer Vergangenheit sind jedenfalls bekannt. Die “Nazi-Keule” ist hier dennoch unangebracht. Dass ein (kleiner) Teil des Volkes sich zum “echten Volk” zusammenschließen will, um eine (zahlenmäßig manchmal größere) “Minderheit” zu bekämpfen, weil ihnen eingeredet wird, die seien eine Bedrohung und an eh allem schuld, ist sowas von nicht neu. Das kannten auch schon die alten Altgriechen. Nur die Auswirkungen und Dimensionen dieser immer wieder neu aufgewärmten Geschichte unterscheiden sich von Periode zu Epoche. Die Asylgegner sind, historisch betrachtet, ziemlich normale Menschen. Menschen sollten eben nie genormt werden.

Erstmal durchdenken

Was wären die Folgen, hätten die Antiasyl-Proteste dauerhaften Erfolg? Wenn das Antiasyl-Volk bekäme, was es will? Zum Beispiel in Wiens Außenbezirken, wo Flüchtlinge nicht einmal im abgelegenen Dampfkraftwerk Donaustadt ihre Ruhe haben (siehe Falter 8/16)? Ein Asylheim müsste schließen, die Stadt die Betroffenen woanders unterbringen. Wo? In den multikulturell lebhaften inneren Bezirken fällt die zweitgrößte Ayslunterkunft Österreichs selbst dann nicht auf, wenn sie unweit vom Steffl steht (Vordere Zollamtstraße). Leider ist der Platz dort begrenzt. Also müsste man weiterhin in den äußeren Bezirken suchen, immer wieder schließen und weiterziehen, bis zum nächsten Protest im nächsten Bezirk. Wien hätte dadurch – nach Ring und Gürtel – einen dritten ewigen Kreislauf. Es hätte damit auch ein finazielles Problem, womit sich “DAS Volk” als Steuerzahler selbst belasten würde.

Also nur noch Asylheime in Nirgenddorf? Wäre sicher beruhigend für die Ewig-Besorgten, wenn sämtliche Flüchtlinge plötzlich auf der Straße leben müssten. Deshalb gleich weg mit allen Flüchtlingen? Nachdem man zu diesem Zweck Rechtsstaat, Verfassung, Menschen- und Völkerrechte – am besten gleich die ganze Republik – aus dem Weg geräumt hat? Weil man sonst keine rechtliche und politische Möglichkeit dazu hätte?

Alle auszufliegen wäre zu zeit- und kostspielig. Mit Bussen und Zügen müsste man sie... aber wohin bringen? Die Nachbarn würden sie auch nicht haben wollen. Also in große Lager einsperren, damit sie nicht weglaufen und die blond-deutschen Schäferhunde alter Damen sexuell belästigen können (oder so ähnlich)?! Und dann auf eine Lösung warten?! Auf eine endgültige Lösung in der Flüchtlingsfrage?!

Ernst und Sorge: Was man wollen müsste

Man sieht, dass das Wir-Sind-Das-Volk-Volk nicht sieht, was es in letzter Konsequenz eigentlich wollen müsste, um zu bekommen, was es will. Es blickt dabei nicht einmal über die eigenen Grätzl-Grenzen hinaus. Unbekannte sollen sich um ein unbekanntes Problem kümmern. Ihre Sorgen müsse man ernst nehmen? Aber in der Praxis verhält es sich umgekehrt: Wenn jemand über “Chemtrails” oder die “jüdische Weltverschwörung” faselt, kann ich das nicht ernst nehmen, muss mir aber Sorgen (um die Faselnden) machen.

Und: Warum nimmt man eigentlich zur Abwechslung nicht jene Bürger_innen ernst, die nicht mit vollen Hosen gegen schutzsuchende Kinder grölen? Die ihre multikulturelle Weltstadt, ihren Rechts-Staat der Menschenrechte, ihr zivilisiertes Europa gerne behalten würden? Die wissen, dass all das nicht durch Flüchtlinge bedroht wird, sondern durch den Ungeist, der sich von dieser Lüge ernährt? Weil wir ein Europa von Idioten sind?

CC by Sascha Kohlmann

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Frau VonUndZu

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