Der Islam ist keinem egal. Muslim_as verteidigen ihn. Volksverhetzer beleidigen ihn. Alle streiten ob er mit “es” etwas zu tun hat oder nicht. “Es” bedeutet unverstandene Gewalt. “Es” bedeutet auch jede Menge Lügen und Gerüchte. “Der Islam” wird zu einem Gradmesser des Widerstands. Für Links und Rechts und Religiöse und Unreligiöse heißt es beim Thema “Islam” zu widerstehen. Aber wer will verstehen?

“Schlampen”-Sprache

Alles Böse im Fremden komme aus dem Islam? Angesichts der Verbrechen und Leiden, die dem entstammten, was unter "der Islam" zusammengefasst und medial verwurstet wird, wundert dieser Irrglaube nicht. Sprache schafft Realität und die mediale Sprache ist schlampig. Große Medien werden zu “Schlampen” in der Gerüchteküche. Die pseudosozialen Netzwerke sowieso. Die Wahrnehmung unserer Realität wird daher verzerrt. Mit dieser Behinderung müssen wir an unseren Problemen scheitern, an der Banaliät des Blöden.

Ein Erklärungsversuch:

Der Islam ist keine Religion! Er ist eine Weltreligion – mit vielen unterschiedlichen Richtungen und Regionen. Es gibt keine islamische Kultur! Es gibt islamisierte Kulturen und kultivierten und unkultivierten Islam. Der Kern des Islams ist der Koran. Hadithen (mündlich überlieferte Handlungsweisen des Propheten) und Sharia unterscheiden sich von Region zu Region, von Richtung zu Richtung. Die Grenzen der mit ihnen verbundenen Kulturen und Traditionen und die Grenzen islamischer Strömungen sind nicht immer deckungsgleich. Ein Islam, mit einem Koran für ein Volk war vielleicht einmal Mohammeds Traum. Daraus wurde nichts. Wie auch? Die arabische Rebellion gegen die Vielgötterei wurde zur Welt-Religion. Erneute Vielfalt und Uneinigkeit sind ein Preis dafür.

Ursache Unvernunft

Genauso vielschichtig ist das, was die gläubigen Muslime und Muslimas aus ihrem jeweiligen Islam machen. Wie anders? Sind alle Muslim_as radikale Gewalttäter_innen? Nein. Das allein sollte beweisen, dass der Islam nicht die Ursache "islamistischer" Gewalt sein kann, wie Antiislamisten und radikale Islamisten gleichermaßen behaupten.

Aber warum sind es dann so viele von ihnen? Warum gibt es so viel Gewalt, wo auch immer Islam als Religion und Gesetzesvorlage vorherrscht?

Eben darum: Eine religiöse Richtung will die anderen dominieren und den Rechtsstaat (oder das Gesetz ehemaliger Kolonialmächte) ersetzen. Das muss zu Gewalt führen. Denn jede Religion, vor allem wenn sie Weltreligion sein will, betrachtet ihren Glauben als Wissen und unumstößliche Wahrheit. Sie muss deshalb die Gesetze der Vernunft ablehnen, sobald diese ihrem Wahrheitsanspruch - und damit ihrer Existenzberechtigung - widersprechen. Freier Glaube (z.B. an das Gute im Menschen) kann mit Vernunft einhergehen. Aber Religion ist institutionalistierter, festgefügter, unfreier Glaube. Vernunft, wie Humanismus sie versteht, befreit Geist wie Glauben. Daher ist die Ablehnung menschlicher Vernunft die Grundvoraussetzung jeder Religion.

Aufklärung rules!

Die Philosoph_innen der Aufklärung, auf deren Vordenken unsere modernen Demokratien gründen, hatten sich schon etwas bei der Säkularisierung gedacht. Wo der unfreie Glaube politisch herrschen will, werden Wissen und Vernunft versklavt.

Um dieses Problem zu vermeiden, gibt es in den weiter-enwickelten Staaten Gewaltentrennung, Rechtsstaat, Säkularismus. Ansonsten würden wir heute noch unter der Gewaltherrschaft der “christlichen” Kirche und der von ihr legitmierten Lehnsherren leiden.

Das wäre nicht möglich? Christentum ist doch eine Friedensreligion? Ja. Heute. Weil wir die Kirchen unserem Rechtssstaat unterworfen und auch die anderen Religionen zum Privatvergnügen "degradiert" haben. Das geschah erst nach einer langen, blutigen Geschichte des "christlichen Abendlandes", in deren Verlauf Kirchenoberhäupter zugleich weltliche Herrscher waren. Deshalb gibt es heute die Trennung von Kirche und Staat. Die Trennung von Privatkonzernen und Staat fehlt leider noch.

Es hat auch seine Gründe, warum ausgerechnet in säkularen Staaten Religionsfreiheit herrscht. Und warum sie dort fehlt, wo es Staatsreligionen gibt.

1) Der Humanismus erkennt, dass die Gewalt der Vergangenheit nicht in der Religion selbst, sondern in den Lebensumständen der Menschen wurzelt.

2) Zugleich ist im Menschenwesen auch das Bedürfnis nach Glauben zu finden und anzuerkennen. Daher darf man privat religiös sein, solange man damit nicht die Öffentlichkeit belästigt.

Zwischen Glauben und Religion

Aber es gibt doch auch vernünftige Gläubige? Stimmt. Das sind allerdings Anhänger_innen, die in der Lage sind, ihre eigene Religion und deren Obrigkeit kritisch zu hinterfragen. Europas Christ_innen wissen meist, zwischen ihrem Glauben und ihrer Kirche zu unterscheiden. Warum sie dennoch Mitglieder bleiben, ist ein anderes Rätsel. Allerdings ist Hoffnung bis zum Schluss eine bestimmende Eigenschaft religiöser Menschen. Man hofft immer auf den nächsten Papst. Diesmal läuft's recht gut. Und vielleicht verdankt es Europa der geschichtsträchtigen, offensichtlichen Scheinheiligkeit der Kirchen, dass seine Christ_innen deren Trennung von der Staatspolitik letztlich doch halbwegs akzeptierten. Wir benötigten anscheinend dafür eine blutige Geschichte. Übrigens ein Beispiel dafür, dass der Islam nicht immer an allem schuld ist (Nein, das Judentum ist es auch nicht).

Brutale Buddhisten

Aktuelleres Beispiel? In Myanmar unterdrückt eine radikale buddhistischen Mehrheit eine muslimische Minderheit. Buddhistische Mönche treiben einen "schleichenden Völkermord" voran. Buddhisten! Die entspannteste Wellness-Religion westlicher Frustesser. Fürchten wir uns jetzt vor dem Dalai Lama? Natürlich nicht! Wir beobachten und denken wie es sich für Menschen gehört: Der Dalai Lama kommt aus Tibet. Anderer Buddhismus. Er ist ein netter Kerl, will sogar seinen eigenen Monarchismus beenden. Er hat nur das Pech, dass ihn die gewaltige Nuklear-Diktatur China nicht mag. Die "Volksrepublik" ist übrigens offiziell atheistisch. Deshalb betet man dort zu Mao (kein Scherz!).

Religionen wie Waffen

Sind alle Religionen böse? Nein, nur manchmal blöde. Und Staatsreligionen? Sehr böse. Denn die guten Ideen des Zarathustras, der jüdischen Gelehrten, Buddhas, Jesu, Mohammeds oder auch Gandhis wurden und werden von ihren eigenen durchgeknallten Anhänger_innen pervertiert (siehe Dokumtarfilm "Life of Brian"). Aus spirituellen Philosophien werden Bewegungen, die irgendwann so groß werden, dass sie nur noch durch Gewalt und Verdrängung anderer expandieren können (die Muslime kapierten das nur schneller als andere und machten aus allem einen "Präventionskrieg" - heute würde man sagen American Style).

Oder Religionen arrangieren sich selbst mit der dreckigsten Politik. So wurde das Christentum einst zur römischen Staatsreligion. Davor war es noch verfolgte Sekte und wiederum davor, als Jesus noch lebte, eigentlich eine ganz nette neoplatonisch-frühsozialistische Weisheitslehre auf spiritueller Legitimationsgrundlage des damaligen Judentums.

Religion ist nicht vernunftsfähig

Trotz Säkularisierung sind Religionen übrig geblieben, werden von modernen Demokratien sogar geschützt. Das ist okay. Sobald aber ihre Anhänger_innen per Staatsreligionen über uns herrschen wollen, sind sie nicht mehr okay. Der Islam muss das nicht kapieren! Eine Religion hat keinen Verstand. Die Muslim_as müssen es kapieren, die Bewohner_innen islamdominierter Staaten. Manchmal auch jene buddhistischer (Myanmar) oder katholischer (Polen) Gesellschaften. Sie müssen als Menschen verstehen, die sie ohne Zweifel bleiben und sind.

Aufklärung und Säkularisierung machen für alle Menschen Sinn. Aber der Weg dorthin war auch in Europa und Nordamerika nicht leicht. Er wird zudem durch jene Bewegungen verdreht und zurück in die dunkle Vergangenheit geschickt, die behaupten, dieses Europa oder Nordamerika zu verteidigen. Als Waffen ihrer Rückwärtsbewegung wählen sie jedoch die selbe Unvernunft und Unmenschlichkeit, die sie ihren Feindbildern vorwerfen.

Das Fremde in uns verstehen

Die Ursachen der Gewalt durch/unter Muslim_as hat die selbe Ursache, wie die Gewalt durch/unter Christ_innen oder Buddhist_innen oder Maosist_innen oder Atheist_innen. Religionen dienen lediglich als Mittel ihrer Legitimation und Interpretation, sogar wenn man sie ablehnt (Geschichte Chinas: Kommunistische Kulturrevolution). Wenn wir diesen Umstand ignorieren, bleiben wir blind für die dahinter verborgenen Probleme. So können wir keine Lösungen finden. Wenn wir sie finden wollten. Der Blick hinter die mediale Oberflächlichkeit würde uns dem Fremden näher bringen, von dem wir so bequem Abstand halten. Dieses Fremde ist Teil unseres eigenen Wesens.

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Thomas Herzig

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Marian Eisler

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