Eine Gesellschaft sucht nach Schmerzmitteln und Tätern

Über das eigentliche Thema – Sexismus und Viktimisierung gegenüber Frauen – könnte man eine Bibliothek schreiben. Kurzfassen ist nach der Kölner Silvesternacht schwer. Die ausländerfeindlichen Interpretationen sind aufg'legt. Konzentrieren wir uns also auf das Wesentliche. Die rechtsstaatlichen Prinzipien? Nein! Aus irgendeinem Grund geht’s erneut um Asylwerber. Und ich kann nix dafür.

Zweites Weihnachten für Faschist_innen

Sicher ist, die Verbrechen sind für Polizei und Medien genauso unübersichtlich wie die Silvesternacht selbst. Lassen wir die deutschen Behörden erst einmal arbeiten. Dass die übliche Journaille in der Gerüchteküche absandelt, muss leider nicht verwundern. Ebenso wenig, dass sich das rechte Internetz über die sexuellen Übergriffe recht freut.

Rechte haben für Feminismus bekanntlich wenig übrig, schreien aber jetzt umso lauter gegen Feminist_innen, weil diese angeblich zu wenig... Außerdem wäre Feminismus das selbe wie Multikulti-Gutmenschentum und das solle sich jetzt ansehen, was es mit seiner "Willkommenskultur" erreicht hätte: Horden vergewaltigender Nordafrikaner (Berber?) und/oder Araber (vielleicht auch vom Balkan), die über unsere Frauen herfallen würden. Jedenfalls sind NSU-Morde, brennende Asylheime und eine echt-deutsch niedergestochene Kölner Oberbürgermeisterin schon vergessen. Hier gibt’s nichts zu sehen! Schauen sie sich die Ausländer an!

Guinness wird sich nicht melden

Nach den Augenzeugenberichten ist es wahrscheinlich, dass es sich bei den Tätern tatsächlich um Männer mit maurischem Erscheinungs- und Klangbild handelt. Angeblich waren es mehr als 1000. In U-Haft sitzen (zum Zeitpunkt des Schreibens) davon nur 2. Eigenartig. Immerhin hat man es mit der größten Taschendiebesbande der Welt zu tun. Und die versammelte sich ausgerechnet auf einem einzigen Platz in Köln. Werkte offenbar ungestört vor sektberauschten Augen ebensovieler Zeugen. Und für wie lange bzw. wie oft hintereinander? Gehörte es zu ihrem Plan, Trunkenheit und Pulverdampf auszunützen? War es geplant, dass (den Anzeigen nach) ein Viertel von ihnen sexuell angriff, um die Diebstahlopfer vom Rest der Bande abzulenken? Oder mischte sich die eine Verbrechergruppe – zufällig oder absichtlich – unter die andere? Oder war der Alkohol an ihrer Notgeilheit schuld, wie es an anderer Stelle (auch mal im selben Artikel) heißt? Wohin gingen sie? Woher kamen sie? Vielleicht gar unmittelar aus dem Ausland? Wie es osteuropäische Banden tun, die nach ihren Taten wieder über die Grenze verschwinden und die Kleingartenbesitzer_innen in Angst vor Asylwerber_innen zurück lassen? Letztere wurden von der Polizei schon in der Tatnacht verdächtigt, als sie offiziell noch meinte, dass nix los wäre. Was ist da los?

Was ich nicht weiß, macht mich heiß

Man weiß es nicht. Deshalb zitiert man die Polizei, die noch nichts Näheres sagen kann, Politiker_innen, die auf die Polizei verweist und ängstliche Bürger_innen, die gar nicht dabei waren. Der deutsche Innenminister, Miseren-Thomas, warnt vor Vorurteilen – vor allem gegenüber Asylwerbern. Nützt die Verbrechen zugleich, um mehr Härte gegen straffällige Asylweber zu fordern, also schnellere Abschiebung, also Fluchthilfe für Straftäter. Seine Kanzlerin weiß auch nicht, dass ein Rechtsstaat nicht "härter", sondern einfach nur im Rahmen der Gesetze gegen jeweilige Straftaten vorgehen müsste. Das wird nicht als einziges Negativ-Beispiel in die Geschichte unseres dunklen Kapitels eingehen.

Hans Rauscher vom Standard greift Spekulationen auf, die Täter könnten auch (sehr präzise) vom Balkan und ohne Asylchancen sein, weshalb wir den Abschiebedruck auf sie erhöhen müssten, weil der Staat so mühsam für Frauenrechte kämpfe. Ha! War das die Pointe? Verstehe seine Satire ansonsten nicht. Vielleicht gehört er auch – wie andere alte Männer seiner Berufsgruppe – endlich in Ruhestand geschickt. Zur Strafe mit der gleichen Pension wie seine weiblichen Kollegen.

Rechtsstaat oder Recht staad

Ja, dies zur Strafe! Würde zum rechtsstaatlichen Verständnis unserer Zeit passen. Keine Ahnung was wirklich passiert ist, aber lasst uns erst einmal drei ganze, unterschiedliche multi-ethnische Region verurteilen. Die Afghanen wurden dabei ganz vergessen. Oder mit marokkanischem Haschisch verwechselt. Für manche Rechte ist Zentralasien auch zu weit weg vom Tellerrand. Bestrafen wir Asylwerber mit Maßnahmen, die uns politisch gerade passen (weil Bayerns Seehofer sonst Stress macht)!? Nicht weil sie schuldig sind, sondern weil sie aus der selben Region stammen wie die mutmaßlichen Täter!? Und warum sollten wir auch das Strafmaß für solche Taten selbst erhöhen, das dann alle Täter herkunftsunabhängig treffen würde!? Weil's eh nur um Sexual-Delikte geht!? Und wenn's nicht der Ausländer war, müssten wir zugeben, dass wir da ein Problem haben!?

Verfahren gegen Unbekannt

Eigentlich ließe sich die Köln-Debatte einfach zusammenfassen: Wir wissen zwar noch nix genaues, müssten deshalb aber unbedingt mehr Fremde abschieben (und vielleicht mehr Asylheime anzünden). Vielleicht interessieren die eigentlichen Täter auch genauso wenig wie die Opfer? Der Großteil der Frauen in unserer aufgeklärten Gesellschaft hat sexuelle Belästigung am eigenen Leib erlebt, viele erleben sie regelmäßig. Mit den meisten Männern kann man schwer über dieses Thema reden. Deshalb wissen wir nicht, ob es sich bei der Kölner Silvesternacht um die Folge von Zuwanderung handelt oder um eine Kettenreaktion von Anzeigen, die bisher noch nie in dieser Anzahl aufgegeben wurden. Oder um beides? In den letzten Tagen hat sich wieder einmal gezeigt, dass Frauen meist erst dann den Mut (dann auch in anderen Städten) finden, solche Verbrechen anzuklagen, wenn es andere Frauen bereits getan haben. Je mehr, umso besser. Anonsten heißt es nämlich schnell: Einfach eine Armlänge Abstand halten!

Natürlich kenne ich nicht die ganze Wahrheit. Aber die rechten Trolle dort draußen auch nicht. Problematisch wird es, wenn ihre Unkenntnis politisches Übergewicht bekommt. Habe die Erfahrung gemacht: Wenn nach mehr rechtsstaatlicher Härte gerufen wird, ist der Rechtsstaat recht hilflos.

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CaSchroe

CaSchroe bewertete diesen Eintrag 12.01.2016 00:48:44

Livia

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