Die Wunden sind frisch, verständlich emotionale Reaktionen nach den Anschlägen in Paris. Doch es lebe die Republik! In ihr herrscht Säkularismus. Sollte auch im bürgerlichen Islam-Diskurs so sein. Eine Zusammenfassung:

Schuld wird fortgeschrieben

Für die Anschläge gibt es immer mehr Schuldige. Möchtegern-Diktator Orban und die neumächtigen PiSer_innen in Polen beschuldigen die EU-Flüchtlingsquote (die es noch gar nicht gibt). Rechtspopulist_innen in der ganzen EU fühlen sich bestätigt: Flüchtlinge und Migranten sind schuld.

Nebenbei ist der französische Staat schuld, weil er die Anschläge angeblich hätte verhindern können (so wie jeder Anschlag irgendwo von irgendwem, irgendwann durch irgendwen verhindert hätte werden können). 

Für gewisse Geheimdienste sind sogar Edward Snowden, die digitale Privatsphäre und die Playstation schuldig im Sinne der thematischen Nutzbarmachung. Die Massenmorde von Paris werden wie Mehrzweck-Morde ausgeschlachtet.

Andere veröffentlichen belangloses Jammern: Symbole und Gesten des Friedens und der Einheit gegen den Terrorismus würden diesen nicht besiegen? Zu viel Solidarität mit Frankreich, den Flüchtlingen, den Muslimen? „Das hat mit Islam nichts zu tun“, könne man nicht mehr hören?

Nicht im Islam daham

Warum die Suderei? Den islamistischen Terrorismus zunächst durch den Islam zu verstehen, war schon vor 9/11 eine vielbefahrene Sackgasse. Diese zweitgrößte Weltreligion kann nicht am Anfang einer solchen Untersuchung stehen.

Warum werden so oft Islamwissenschaftler_innen als Terrorexpert_innen befragt? Wer den Islam kennt, kenne Terrorismus? 

Und warum glaube man, europäische Muslime durch (noch mehr) „Krieg“ gegen den Terror zu entfremden? Weil man vermeint, dadurch den Islam selbst zu attackieren?

Die Medien und die alte EAV-Platte

Diese Suggestionen sind ganz im Sinne der Terroristen. Sie nennen sich „Islamischer Staat“, versuchen sich über den Islam zu legitimieren. Unsere Medien helfen ihnen dabei. 

Sie geben sinngemäß einen alten EAV-Song wieder: „Das Böse ist immer und überall.“ Sie schreiben, dass die Terroristen unsere europäischen Werte, unseren Lebensstil – mit Paris vermutlich die Liebe in ihrer eigenen Stadt – vernichten wollten (auch wenn das unmöglich ist). Sie schreiben die Angst, den Terror fort. Worüber sich nur Islamisten freuen. Und Rechtspopulist_innen, die bekanntlich ebenfalls von der Furcht (vor Muslimen) leben.

Den Medien genügt die Aufregung. Die meisten Augen richten sich auf irgendwelche Muslime. Der Islam wird zu Thema anstelle der kausalen Zusammenhänge von globaler Korruption, Elend und Dschihadismus.

Dabei gebe es nicht umsonst die Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus. Dschihadismus hat auch nur etymologisch etwas mit  Dschihad zu tun. Doch selbst im kriegerischen Dschihad wäre alles verboten, was diese „religiösen Analphabeten“ des „Daesh“ an Verbrechen begehen.

Daesh wie „Dahes“ = (Arabisch in etwa:) Die Zwietracht Sähenden

Richtig: Daesh – vom arabischen Akronym DAIISH – anstelle von „IS“! Denn dieser ist wederIslam noch ein Staat. Diese Götzendiener der Unmenschlichkeit suchten und verloren ihre Bedeutung, ihre Menschlichkeit und ihre Religion. Sie kämpfen um nichts, erreichten durch ihre Anschläge für sich nichts.

Vive la République!

Deswegen ist die sprachliche Differenzierung wichtig. Wir dürfen uns von Terroristen (und Rechtspopulist_innen) nicht deren Worte in den Mund legen lassen. Wir dürfen ihr Nichts nicht mit Materie füllen.

Wir, die Zivilgesellschaft(en) Europas, dürfen uns durch die Terrorattentate und ihre mediale Verwurstung nicht entzweien lassen. Deshalb ist wichtig zu erklären: Schuldig sind nur die Terroristen. Deshalb sind Botschaften der französischen und europäischen Geschwisterlichkeit nicht umsonst. Eine multikultivierte, pluralistische Gesellschaft versalzt den Nährboden des Extremismus. Die Republik ist das Verprechen einer solchen Gesellschaft.

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Silvia Jelincic

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fischundfleisch

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