Über den Wahnsinn von Mord und Terror im öffentlichen Raum, seine Verwandtschaften, seine Fördererinnen und Nutznießer. Und was gegen das alles zu tun wäre.

Der Terrorismus zeichnet sich dadurch aus, dass er immer dann und dort zuschlägt, wo am wenigsten damit gerechnet wird. Das war schon zur Zeit der Assassinen so. Einfachere Zeiten mit einfachen Mitteln. Auch wenn diese ihre Opfer gezielt und einzelnd erdolchten, lebt ihr Name bis heute weiter, so groß war ihre Wirkung, Angst und Schrecken zu vebreiten. Genauer: Die Furcht vor der Möglichkeit, jederzeit Opfer werden zu können, wie statistisch unwahrscheinlich es auch sei.

Diese Wirkung zu erzielen, ist alles, was Terrorist_innen zu erreichen hoffen können. RAF, IRA, Al Kaida (erinnert sich noch jemand?), der Islamistische Schlächter-”Staat” (IS), Neonazis oder evangelikale Waffennarren, die alle sozialen Errungenschaften als Perversion betrachten, von denen sie nicht selbst profitieren: Sie alle können uns nicht alle töten. Uns zu terrorisieren ist das Höchste ihrer pervertierten, nur noch selbstbezogenen Gefühle.

Wie viele sie töten können, ist allein eine Frage der verwendeten Waffengattung und der Organisation, keine Frage der jeweiligen Wahn-Ideologie bzw. des jeweiligen Religions-Wahns. Sprengstoff und vollautomatische Schußwaffen sind natürlich besonders feige. Was den Terror-Effekt betrifft, sind plötzliche Messerattacken aber nicht weniger erschreckend. Ich bezweifle auch, dass die Höhe der Opferzahlen das Ausmaß der Angst bestimmt - oder das der medialen Berichterstattung.

Jahrtausendterrorismus: International in zwei Welten

In den versehrten Regionen, in denen die USA und ihre Verbündeten "Krieg gegen den Terror" vorgeben oder vorgaben, werden gefühlt wöchentlich Anschläge mit jeweils duzenden Toten verübt. Es berührt die "westliche" Welt sehr wenig. Niemand profiliert sich mit "Chez Suis Bagdad". "Pray vor Kabul" hab ich zumindest schon irgendwo als Fußnote zu den letzten Anschlägen in Europa gelesen. Sich in diesen Regionen vor terroristischen Anschlägen zu fürchten, ist verständlich. Der Terrorismus hat dort leichtes Spiel. Das Gefahrenpotenzial scheint seit Jahren gleich hoch zu sein. Das ist die eine Welt des globaliserten Terrorismus.

Im "Westen" ist die Sache anders. Hierher kam der Terrorismus dieses Jahrtausends zunächst mit großen Flugzeugen, dann mit kleinen. Dann mit Profi-Bomben (sogar in Unterhosen - wenn auch vereitelt). Dann mit Sturmgewehren und Granaten. Dann mit einem LKW. Mit Amateur-Bomben, Axt und Messer. Die Wege, Ziele, Zeitabstände und Resultate des Terrorismus im Westen sind uneinheitlich. Terrorist_innen müssen sich hier - im Gegensatz zu den Krisenregionen - immer wieder etwas Neues einfallen lassen. Die Sicherheitsbehörden müssen immer aufs Neue dazulernen (z.B. dass ein LKW grundsätzlich nichts auf einer, am Nationalfeiertag quasi immer, zur Fußgängerzone erklärten Promenade verloren hat).

Entweder die Täter_innen scheitern im Vorfeld und die Öffentlichkeit bekommt nicht viel davon mit. Oder sie suchen sich den für sie geeigneten Ort, die passende Zeit und erwischen uns unvorbereitet. Der tötliche Lastwagen in Nizza fuhr zunächst im Schritttempo an der Strandpromenade entlang. In Zukunft wird so etwas, z.B. für einen Trucker mit kaputtem Navi, unter Umständen lebensgefährlich sein. Dafür werden wir uns noch wundern, was ansonsten alles möglich ist. Vielleicht nicht heute oder morgen, aber irgendwann.

Relative Sicherheit

Das zeigt nicht, dass der Westen leicht angreifbar ist. Im Gegenteil. Der Terrorismus muss sich immer neue Schwachstellen in Europa suchen, weil die Schwachstellen mit jedem Angriff weniger werden - auch ohne Polizeistaat oder Militärdiktatur. In den USA ist der Terror mittlerweile nur noch hausgemacht. Wir müssen den Sicherheitsbehörden zugestehen, dass sie nicht alles voraussehen können, dass sie dazulernen müssen, Fehler machen. 100% Sicherheit wird es nie geben. Jeder und jede von uns kann jederzeit ermordet werden - so theoretisch wie jede Autofahrt die letzte sein könnte oder die weit höhere Chance, an den Folgen des (Passiv-)Rauchens zu krepieren.

Mut statt Angst - nachfragen statt verzweifeln

Ich vezichte bewusst darauf, islamistisch und rechtsradikal motivierten Terrorismus und Amokläufe auseinander zu halten. Für die Tatsache, dass wir alle sehr sterblich sind, ist diese Differenzierung unerheblich. Man darf sich vor ungeerdeten Leitungen im Eigenheim genauso fürchten wie vor multiressistenten Keimen in Krankenhäusern oder höflichen, unauffälligen Einzelgängern, die sehr viel Zeit in ihrem Keller verbringen. Aber fürchten allein bringt nix.

Ich kann quasi prophezeien, dass es irgendwann, in den nächsten jahren, in Europa wieder einen Mordanschlag im öffentlichen Raum geben wird. Aber ab wann sollen wir uns fürchten? Sicherheitshalber für den Rest unseres Lebens?

Das Einzige, das irgendetwas bringen könnte, ist Mut - der Mut zu handeln. Beim Einzelgänger anklopfen, ihn auf einen Kaffee einladen und dann einmal ganz offen mit ihm reden. Oder bei Polizei, Geheimdienst und Regierung anklopfen und fragen, warum sie nicht besser auf ihre bereits verhafteten oder observierten Psychopathen aufpassen; oder warum sich niemand um diese Kranken kümmert. Oder bei den Rechtspopulist_innen und ihren Medien anklopfen und fragen, warum sie das selbe Ziel verfolgen wie die verdammten Terroristen_innen - nämlich Angst und Schrecken zu verbreiten und dann die anderen dafür verantwortlich zu machen.

Multikulti schützt – aber nur in echt

Die Geisteswissenschaften mögen sich mit den Facetten der jeweiligen Wahnvorstellung auseinandersetzen, mit denen die Täter Mord und Terror entschuldigen wollen. Persönlich ist es mir jedoch gleich, ob man mich aufgrund extremreligiöser Scheinheiligkeit oder rechtsextremer Schein-Übermenschlichkeit töten will - vor allem sicherheitsstrategisch betrachtet. Es ist beides mörderischer Wahn. Der bedeutsame Unterschied liegt in den jeweiligen Organisationen und damit in den jeweiligen Möglichkeiten der Attentäter_innen. Weniger, als man zunächst glauben möchte, in der Wahl ihrer Feindbilder.

Die Einen könnten mich angreifen wollen, weil ich ein zynischer Freund westlicher Satire bin; die Anderen, weil ich ein antifaschistischer Freund westlicher Aufklärung bin; und beide, weil ich bisexuell bin (vielleicht zielen sie nur den schwulen Teil von mir. Trotzdem nicht weiter verraten!).

Ins Kreuzfeuer können wir alle kommen. Deshalb ist es wichtig, dass sich die zivilisierten Minderheiten gegenseitig schützen. Zum Beispiel, indem sie sich gemeinsam als multikulturelle Zivilgesellschaft in einem demokatischen Rechtsstaat organisieren. Man müsste es erfinden, wenn es das nicht theoretisch bereits gebe. Es mangelt leider oft an der praktischen Umsetzung. Und am Rechtspopulismus und Extremismus, der abscheuliche Gründe hat, es zu bekämpfen.

Der Wahnsinn und seine rechtspopulistischen Terrorismus-Gewinnler_innen

Wenn Menschen bestimmter Minderheiten zum Angriffsziel Wahnsinniger werden, geht uns es uns alle an. Schließlich beeinflusst die Gewaltbereitschaft der einen Wahnsinnigen, die der anderen Wahnsinnigen. Hemmschwellen fallen. Das ist gefährlich. Deshalb muss, wer den Terrorismus bekämpfen will, auch den Populismus - der Berufspolitiker_innen und Medienmacher_innen - bekämpfen. Gerade der Rechtspopulismus ist Terror-Gewinnler. Deshalb fördert er extreme, trüerische und wahnsinnige Maßnahmen und Ansichten, die wiederum Angst und Gewalt fördern. Verängstigte, getrogene bis wahnsinnige Menschen wählen rechtspopulistische Parteien.

Diese Terrorismusprofiteure sind ideologisch vernetzt. Gewisse Verbindungen bestehten sogar zu Tätern. Anders Breivik (der keinesfalls als Wahnsinniger gelten will) gefällt die FPÖ, dem Münchner Attentäter David S. gefiel Anders Breivik sowie die AfD, der wiederum Diktatoren wie Putin gefallen, was sie nicht nur mit der FPÖ, sondern mit auch Donald Trump gemeinsam haben, den Reinhold Lopatka (Clubchef und kein Freund des Sozialstaates, ÖVP) Selfie-würdig fand, als er die Republican National Convention in Cleveland besuchte. Das sind allesamt Menschen, die in oder von der Angst, im oder vom Trug und Wahnsinn leben.

Neue Grenzen braucht die Welt

Deshalb werden die Grenzlinien in unserer Gesellschaft und in unserer politischen Landschaft üblicherweise falsch gezogen. Islam, Islamismus, "orientalische" Folklore, Traditionsbesessenheit, Rassismus, Frauenfeindlichkeit, Hass auf Homosexuelle hier VS Christentum, Kreuzzüglerei, "westliche" Mythologie, Konservativismus, Rassismus, Frauenfeindlichkeit, Hass auf Homosexuelle dort? In unserer gemeinsamen Wirklichkeit müsste man die Terrorist_innen, Extremist_innen, Anti-Humanist_innen und Populist_innen aller Art auf die eine Seite stellen und die Muslim_as, Christ_innen, Agnostiker_innen, Zyniker_innen, Wieauchimmersexuellen und alle anderen, die in Frieden, Freiheit, Wohlstand und Gerechtigkeit leben wollen, auf die andere Seite. Erst dann hätten wir ein klares Bild von Feind und Freund, in dieser terrorisierten Welt.

Es würde dadurch klarer werden, dass wir das Gegenteil von dem fördern und fordern müssen, was die Terror-Profiteure und Wahnsinnigen dieser Welt anstreben. Das könnten wir bereits bei den nächsten Wahlen ausprobieren.

wikicommons

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