Die Geschichte reimt - auf Great Depression und Weltkrieg reimen sich Große Krise und diverse Konflikte. Die Stimmung steht auf Sturm. Das ist eine Chance für einen new (New) New Deal. Oder unser Niedergang. Alles beginnt oder endet in der Wirtschafspolitik.

Dorothea Lange/USA

Stimmung!

Es herrscht eine seltsame Stimmungslage im medial-gesellschaftlichen Fühligkeitswetter-System. Eine gewisse Gereiztheit. Zugleich eine vage Vergangenheitssehnsucht, möglicherweise Rückschrittlichkeit. Viele Omas färben sich die kurzen Haare bunt, während junge Innenstadtbürger Vollbart und Pomade wieder entdecken. Die Zwischenkriegszeit als Revival-Trend. Weniger in den Moden oder im Kino, mehr noch in den Köpfen derer, die gar nicht so aussehen. Es ist wieder gestattet, eisern (= ignorant und emotional untot) zu sein, wenn man die Stellung der eigenen Nation oder Familie gefährdet glaubt; wenn man den eigenen Reichtum nicht teilen will mit dem Gesindel dieser Welt. Man darf wieder Körperfunktionen über Menschenwürde stellen. Die "Seele" wird verachtet. Verständlich, wenn man sich auf Dreiviertel der Welt von Hungerleidenden umzingelt wähnt. Das nennt man dann "Realismus" und dieser ist als Begriff genauso bedenklich wie von "Stimmung" zu sprechen, die "herrsche".

Hochriskante Spekulation der Politik

Sie versucht bestenfalls vorzuherrschen. Die "Stimmungsmache" ist ein Spekulationsgeschäft, Hochrisiko. Wenn unsere Mikl-Leiterin für Inneres den Bau einer "Festung Europa" verkündet - die noch vor zwei Jahren als Synonym für moderne Barbarei im Asylwesen galt, unter der Flüchtlinge bereits seit über einem Jahrzehnt leiden - dann fühlt sie sich sicher genug, nicht zu viele Menschen damit zu verstören. Sie hat Rückendeckung durch eine pseudo-"realistische" Stimmung, die sie selbst coproduziert hat und in die sie durch solche Aussagen weiter investiert. Die "Das wird man wohl noch sagen dürfen"-Fraktion traut sich endlich zu sagen, was sie zwar immer schon sagen durfte, aber nie sollte. Diese Fraktion kennt den Unterschied zwischen Dürfen und Sollen. Aber das Sollen wird ignoriert, wenn das Dürfen durch das mediale Mitläufertum freigegeben wird. "Warum ich das tue? Weil ich es kann.", lautet eine moderne Phrase.

Das "Opfer" wird vom juristischen Begriff zu einem Schmähwort auf den Pausenhöfen unserer unterfinanzierten öffentlichen Schulen. Und das "weiche Herz" gilt als Schwäche alter Damen, die sich nicht vorstellen können, warum sie von der Jugend angebettelt werden. Als Problem wird das Angebetteltwerden gesehen, nicht das Bettelnmüssen.

Es sind jedoch nicht die vorherrschenden Meinungsmacher_innen in Regierung und Medien, die davon profitieren. Sie erzeugen eine Lose-Lose-Situation für den Staat und sich selbst. Es profitiert eine Minderheit vergessener Möchtegernwieder-Faschist_innen (und solche, die sich selbst nicht bewusst sind, dass sie es sind) - vorerst bei uns nur kellerpolitisch.

Ökonomische Glaubenskrise

Bei den Galliern bzw. Kelten gab's die Druiden, die (laut Gaius Iulius Caesar) bereits die selbe Funktion hatten wie der kirchliche Klerus im Feudalismus. Sie legitimierten die Macht der Mächtigen und die Unterdrückung der Unterdrückten mit mystifizierten Nonsens. Heute, in der (neoliberalen) Marktgesellschaft erfüllen "Wirtschaftsexpert_innen" diese Aufgabe. Sobald ihre Orakelsprüche falsch liegen, werden unverstehbare Begriffe erfunden, die erklären sollen, dass sie trotzdem Recht hätten. Und wer trotzdem nicht gläubig ist, wäre doch nur so ein verdammter Linker.

Im letzten Falter schrieb Christian Felber einen pointierten Artikel, "warum 'too big to fail' endlich Geschichte werden sollte. Vor allem die erwähnte Wiederholung der Geschichte ist auffällig. Die "Great Depression" in den 1930ern betraf auch die Wiener Creditanstalt, was in Bankenrettung, Sparmaßnahmen und Massenarbeitslosigkeit endete. "Der Aufstieg der Nazis erfolgte im Gleichschritt".

Ich bin überzeugt, dass sich die Geschichte nicht wiederholt (eher "reimt" sie sich). Eine Krise bedeutet heute nicht das selbe wie damals. Unter den Porduktionsbedingungen der Zwischenkriegszeit kannte man keine Mülltonnen, die mit unverdorbenen Lebensmitteln überquollen. Es gab keine Roboter, die beinahe alle Güter unseres täglichen (materiellen) Bedarfs herstellen könnten. Es verteilte sich noch kein Nuklearwaffenarsenal über unseren Planeten, mit dem man das Leben auf selbigem mehrfach auslöschen könnte.

Umbruchsstimmung

Was jedoch damals wie heute zutrifft, ist ein Umbruch, ein notwendiger Kollaps der "alten", vorherrschenden Ordnung. Er wird umso gewaltsamer und schlechter ausgehen, umso länger er unterdrückt wird. In den USA führte der New Deal unter Roosevelt zu einer Entlastung der damaligen Krise und einer Neuordnung der Finanzwirtschaft, die den endgültigen Aufstieg der USA zur Supermacht ermöglichte. Zugleich führte die Machtergreifung Hitlers unter Hindenburg zu einer gänzlich anderen Entwicklung, in Deutschland und Europa. "Wehret den Anfängen" und lernt aus der Geschichte: Statt "Stimmung" sollte die Regierung wieder aktive Politik - auf Grundlage humanistischer und ökonomischer - Vernunft machen und sich für einen New Deal unserer Zeit einsetzten. Eine Zerschlagung der Großbanken fordert mittlerweile sogar der konservative US-Notenbanker Neel Kashkari. Selbst manche Hohepriester der Blasen-Ökonomie geraten also in eine Glaubenskrise. Und wenn das passiert, gibt es entweder einen neuen Glauben oder einen Glaubenskrieg.

(Ge)Rechtliches

Die österreichische Reagierung plant Asyl-Schnellverfahren an den Grenzen und strebt generell eine Verkleinerung der Asylchancen an (worauf man stolz ist). Man wolle sich auf die Pflichten im Rahmen der "Menschenrechte" beschränken, laut Standard, der auch nicht genauer wird. Offenbar meint man die Europäische Menschenrechtskonvention. Augenauswischerei! Es gib auch noch Genfer Flüchtlingskonvention oder Dublin-Übereinkommen, an denen sich Österreich rechtlich orientieren muss. Und man hat bisher schon nicht mehr getan. Das "Durchwinken" war kein Plan, sondern eine hilflose Reaktion, politische Hilflosigkeit. Für einen neuen Eisernen Vorhang fehlte zu jenem Zeitpunkt noch die richtige "Stimmung", der medial-öffentliche Sanktus. Jetzt ist er da, Hurra! Zum Glück haben andere Staaten die "Willkommenskultur" bereits für uns beendet. Die eiserne Reagierung kann sich mit fremden Stacheldraht schmücken. Ihre Mitglieder verstecken sich hinter dem Recht. Gerechtigkeit wird nicht einmal mit der Feuerzange berührt.

Linkes Verniedlichen der eigenen Sache

Und selbst "linke" Medien verniedlichen das "Gutmenschentum", die "Willkommenskultur (= Kultur)". Diese Begriffe gehen dadurch den selben Weg wie die "Kapitalismuskritik", die "Alternativen". Sie hätten auch das selbe Potenzial. Stattdessen unterwirft man sich gehorsam dem "Realismus" der Resignation und Alternativlosigkeit. Ich glaube, jene "Linken", die keine mehr sind, merken es selbst nicht. Ihr "Linkssein" ist keine Positionierung, sondern nur noch eine Fremdbezeichnung der Rechteren. Darum sollten wir sie vergessen, die ganze Links-Rechts-Polarität, diese 2D-Ansicht der politischen Landschaft. Es werden sich Menschen in allen Lagern finden, die begreifen, dass die Probleme unserer Zeit - von der Arbeitslosigkeit über den Klimawandel bishin zu Korruption und Terrorismus - mit der Ökonomie bzw. der (Finanz-)Wirtschaftspolitik beginnen. Sie könnten auch (langfristig) mit ihr enden. Wenn wir eine richtige wählen würden. Solange wir noch wählen können.

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