Handbuch der streitbaren Willkommenskultur

Meine Großmutter floh aus 1945 aus Pommern, ihre drei kleinen Töchter an der Hand und auf dem Arm. Auf Pferdewagen, auf Lastwagen, meist zu Fuß. Ihr Mann, mein Großvater, lag und liegt in einem unbekannten Grab irgendwo bei Stalingrad. Wäre er bei seiner Familie gewesen, säße er sicher mit auf dem Fuhrwerk, dem Laster oder liefe neben seiner Frau und seinen Kindern gen Westen.

Die Flucht der vertriebenen Deutschen mit der aktuellen Situation in Syrien zu vergleichen, verbietet sich allerdings schon wegen der ungleichen Ursachen. Das ist es aber gerade nicht, was mir zu schaffen macht, was ich nicht verstehen kann. Ich frage mich, was bringt junge syrische Männer dazu, ihre Familien, ihre Frauen und Kinder in Syrien zurück, ja, im Stich zu lassen. Es kommen deutlich mehr Männer als Frauen in Deutschland an, von den wenigen Kindern mal ganz zu schweigen. Wahrscheinlich kennen wir dank Sat1, Pro7, ARD, ZDF und Spiegel mittlerweile jedes einzelne von ihnen. Die meisten der Frauen und Kinder stecken aber noch immer im Bürgerkriegsland Syrien oder in benachbarten Auffanglagern fest. Man komme mir jetzt bitte nicht mit dem Argument der Stärke! Es würden sich nur die „Jungen und Gesunden“ auf den Weg machen und ihre Familien dann später nach holen möchten.

Erstens würde ich meine Hand dafür ins Feuer legen, dass eine Frau, die ihre Kinder dabei hat und von ihrem Mann unterstützt wird, stärker als eine Löwin ist und die Strapazen einer solchen unsicheren Reise mindestens so gut verkraften kann, wie jeder Mann. Zweitens müssen sich die „Nachzügler“ ja immer noch auf eine unsichere Reise begeben, wobei beim Aufbruch des Ehemannes nicht einmal sicher ist, ob er in Europa Asyl erhält oder ob er lebendig dort ankommt und ob er sich an seine Familie in der Levante erinnert. Drittens kann mir bisher niemand erklären wie es diese Männer fertig bringen, sich nach Europa auf den Weg machen, tausende Dollar an Schlepper bezahlen und dafür den Rest des Familienbesitzes verkaufen und dann auch noch Frau und Kinder dem Krieg, Assad und seinen Fassbomben oder dem IS mit seinen Sklavenhändlern überlassen können.

Worauf hofft man(n)? Welche Rendite lockt, um das unmittelbare Überleben der Familie gegen eine mehrmonatige Reise ins Ungewisse einzutauschen? Was läuft da falsch, warum verstehe ich das nicht? Was ist los mit mir, wo ist meine Empathie, mein Mitleid. Habe ich mir die Willkommenskultur erkältet?

Vor meinen Augen verschwimmt alles…

…alles löst sich auf, es gibt keine Gewissheiten mehr, keine moralische Stütze, alles ist erlaubt, alles beliebig. Am Münchner Hauptbahnhof stehen 17 jährige Mädchen mit „Refugees welcome“ Schildern, um unbekannte Araber in Deutschland auf Englisch zu begrüßen, NGO’s, die in Deutschland für Emanzipation und Frauenrechte stehen, kämpfen in der israelischen Negev-Wüste für das Recht der Beduinen auf Polygamie, grüne Fundamentalisten und Atomkraftgegner kämpfen dafür, dass der Iran Atomtechnologie entwickeln darf, deutsche Ministerpräsidentinnen ziehen peinlich berührt ihre „unreine Hand“ zurück, weil ein muslimischer Asylant sowas nicht anfassen mag, linke Aktivisten halten auf Demos Schilder hoch auf denen steht „Kein Mensch ist illegal“ – ergänzen aber auf Nachfrage sofort „Außer jüdische Siedler“, pro-palästinensische Demonstranten rufen auf Arabisch „Tod den Juden“ und des arabischen unkundige deutsche Friedens(taub)en marschieren ihnen mit Peace-Zeichen blind und taub hinterher. Deutschland ist plötzlich grenzenlos, reicht von Aachen bis Abottabat, von Kiel bis Kairo, von Dresden bis Damaskus.

1683 standen die Türken vor Wien, jetzt holt der osmanische Sultan die Schutzgelder in Berlin ab und Jan Sobieski ist wohl gerade anderweitig beschäftigt. Zerstört ist die Hoffnung vom ‚Ende der Geschichte‘, Francis Fukuyama ist als Scharlatan entlarvt. Europa schickt Israel, der einzigen Demokratie im nahem Osten, einen Haufen NGO’s auf den Hals, deren Mitarbeiter nach „dem Juden“ suchen, dem sie was ans Zeug flicken können und dabei unterstützen sie direkt den faschistoiden Islamismus mit Geld und Öffentlichkeitsarbeit, wo sie nur können. Amerika feiert einen Deal mit den iranischen Mullas und freut sich auf eine „neue Ära“ friedlicher Zusammenarbeit, während in Teheran weiter hochoffiziell „Tod Amerika, Tod Israel“ gerufen wird und amerikanische Flaggen brennen…

Das Bild wird wieder schärfer, ich hatte wohl einen Albtraum

Ich muss mich irgendwo festhalten in dieser Zeit, einen Pflock einschlagen in unruhige Erde, an dem ich ein Seil befestigen kann. Mit diesem Seil kann ich mich vielleicht in den umgebenden Sumpf begeben, helfen, mitfühlen, die Hand ausstrecken und „es schaffen“. Dafür brauche ich Unterstützung. Kant, Spinoza, Voltair, Pankhurst, Nitzsche, Zetkin, Schiller, Brecht müssen helfen, diesen Pflock einzuschlagen und das Seil zu spannen. Keinen Millimeter Seil darf ich preisgeben. Zu viele Jahrhunderte, zu viele Millionen Menschenleben hat es gekostet, soweit zu kommen, zu hässlich die Dämonen, mit denen wir kämpfen mussten. Zu viele Irrwege, zu viele Ismen, zu viele Diktatoren, zu viel Religion. Europa musste sich zuerst von all den Diktatoren, den Ismen und Religionen befreien, die Grenzen in den Köpfen verankert hatten und Feindbilder und Erbfeinde betonierten. Die Grenzen, die wir zu allerletzt eingerissen haben, waren die physischen Grenzen zu unseren Nachbarn, wissend, dass eben dieser Nachbar nicht mehr nach der Überschreitung selbiger strebte. Erst dann wurden diese Grenzen überflüssig. Und erst dann und nur diese, Frau Merkel, Herr Abbas!

Das Ende der Perfektion

Wie kann es sein, dass die islamischen Staaten, die nach eigenem dafürhalten über eine so perfekte Ideologie, Religion und Gesetzgebung (z. T. Scharia) verfügen, reihenweise so „grandios“ scheitern? Sicher, man kann einen Pakistani nicht für das Scheitern Syriens oder einen Libyer für das Versagen Afghanistans verantwortlich machen. Aber der nächste islamische Migrant, der einer deutschen oder österreichischen Helferin den Handschlag verweigert, sollte genau folgendes ins Arabische übersetzt bekommen:

„Es mag für Sie neu sein, aber in Europa sind wir in Sachen Humanismus weiter entwickelt als ihr ehemaliges Heimatland, welches in Anarchie und Chaos versunken ist und aus dem Sie vor Gewalt und Willkür geflohen sind. Bei uns haben Frauen und Männer prinzipiell gleiche Rechte und gleiche Plichten und sind deshalb auch mit demselben Respekt zu behandeln. Hier gibt es Schwule und Lesben und diese sind, auch wenn es Sie überrascht, Menschen mit den gleiche Rechten wie alle anderen auch. All das haben wir uns in hunderten Jahren bitter erkämpft und sind selbst heute noch nicht ganz am Ziel.

Hier ist es Sitte, jemandem in guter Absicht die Hand zu reichen, um zu danken, zu grüßen oder seinen Respekt auszudrücken, egal ob es sich beim Gegenüber um Frau oder Mann handelt. Respekt bedeutet hier übrigens nicht Unterwerfung, sondern Anerkennung von Person und Leistung. Eine Frau kann ihnen in diesem Land sagen, wo es lang geht, als Polizistin kann sie Sie sogar verhaften und als Ärztin kann Sie Ihr Leben retten. Als Kanzlerin hat sie Sie übrigens auch willkommen geheißen. Perfektion – zumal religiöse – macht uns misstrauisch, zu oft in unserer Geschichte hat uns jemand den ‚perfekten Plan‘ zu verkaufen versucht. In Europa ist Gott nicht Rächer und eifersüchtiger Strafer, sondern allenfalls Beobachter, gern gesehener Gast oder auch nur kulturelles Nachbeben.

Sie sind Moslem, ich bin Christ. Juden und Atheisten leben auch gleichberechtigt hier, niemand ist hier prinzipiell besser, niemand schlechter als der andere. Religion ist hier Privatsache, unsere kulturelle Geschichte ist aber zum großen Teil christlich/jüdisch fundiert. Sie sind aber herzlich eingeladen, friedlich ihren eigenen, anderen Beitrag anzubieten. Anzubieten, nicht aufzuzwingen, sowas läuft hier gar nicht! Am besten, Sie kommen gleich damit klar, sonst steht es ihnen frei, sich nach Saudi-Arabien auf den Weg zu machen, wo Sie von muslimischen Männern begrüßt und Ihre Kinder von Männern in perfekter islamischer Monokultur unterrichtet werden. Wo Mekka ist, zeigt ihnen die App auf Ihrem iPhone, die Straße in diese Richtung ist frei und leer, wir wünschen gute Reise.“

Wer glaubt, so direkt könne man doch nicht sein, das wäre doch sehr aufdringlich und von oben herab, dem sei gesagt: Von Angesicht zu Angesicht befindet man sich immer in Augenhöhe, gleicher als diese kann eine Situation nicht sein. Denken Sie also an das Seil und an den Pfosten, den wir in den Sumpf geschlagen haben und bleiben Sie mutig.

Helfen Sie mir bitte, meine Albträume zu verscheuchen, bevor es auch Ihre werden.

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billi57

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