Mathematiknachhilfe (für die SPÖ und ÖVP)

Liebe SPÖ (und auch ein bisschen ÖVP*),

Ich weiß, dass jetzt bei euch die Köpfe rauchen. Aber vielleicht kann ich euch ein bisschen Denkarbeit abnehmen. Es ist nämlich in Wirklichkeit sehr einfach.

- In der Demokratie hat jeder Mensch, egal welchen Standes, welcher Herkunft oder anderer Umstände GENAU EINE Stimme bei einer Wahl zu vergeben.

- Und es gibt VIEL MEHR Arbeiter, Arbeitslose, kleine Angestellte, alleinerziehende Mütter und/oder dem Prekariat Angehörige als Angehörige des (schrumpfenden) Mittelstands oder gar Topverdiener und Vermögende.

Ich weiß schon, dass ihr selbst mittlerweile größtenteils aus dem Mittelstand kommt und täglich hauptsächlich mit Euersgleichen zu tun habt (auch wenn eure Eltern oder (Ur-)Großeltern es erst mühsam in diesen hinauf geschafft haben). Und dass das, no na, abfärbt. Und ich will jetzt nicht, wie so manche, pathetisch posaunen „Die SPÖ hat den Kontakt zur Arbeiterklasse verloren“... aber ein bisserl was is' schon dran wahr.

Ich versteh' schon. Die sind halt oft ein bissi schmuddelig, riechen vielleicht streng und sind gelegentlich auch etwas unangenehmere Typen. Fakten, mit denen übrigens auch die Grünen immer wieder so ihre Probleme haben. Aber, sorry, da muss man halt durch...

- Wenn man sich nun in Balkendiagrammen das Wählerverhalten nach Vermögen und Bildungsstand anschaut, ist ganz klar und eindeutig, wer die FPÖ stark macht: EURE EX-KERNWÄHLERSCHICHT.

Anders gesagt, wer in einem eher KLEINEN TEICH fischt, wie es die ÖVP, die Grünen und auch ihr mittlerweile tut, kann nur kleine Beute einfangen. Wer in einem GROSSEN TEICH fischt, wie es derzeit fast exklusiv die FPÖ tut, der wird mit vollen Netzen nach Hause gehen.

Ich nehme an, ihr kennt diese SORA-Grafiken zur Steiermarkwahl:

- Wenn ihr also wieder MEHR STIMMEN haben wollt (wovon ich irgendwie ausgehe), dann MÜSST ihr euch einfach mehr um die Sorgen und Bedürfnisse der „KLEINEN LEUTE“ kümmern. It's demographics, stupid! Und diese Sorgen und Bedürfnisse dieser Leute heißen NICHT „Ausländer“ und Immigration (oder nur am Rand), sondern diese Sorgen und Bedürfnisse heißen GELD, BILDUNG, nacktes ÜBERLEBEN.

Es genügt nämlich nicht, was ihr – und auch die ÖVP – jetzt schon seit über 20 Jahren versucht, nämlich halt auch immer ein Schäuferl Rechtspopulismus nachzulegen, um den Aufstieg der FPÖ zu verhindern. Das sind leere Kilometer. Das Kerngeschäft der FPÖ sind nämlich nicht „die Ausländer“, das Kerngeschäft der FPÖ ist DIE ANGST!

ANGST vor dem Jobverlust, ANGST keinen Job zu finden, ANGST in der sozialen Hierarchie immer weiter nach unten zu rutschen, manchmal auch wirklich ANGST ums würdige Durchbringen der eigenen Familie.

Schlicht und ergreifend die täglichen Ängste der UNTERSCHICHT. Einen Begriff, den ich hier ganz absichtlich verwende. Es gibt sie nämlich wieder die Unterschicht. Die Zeiten des sozialen Wohlfahrtstaats mit seinen ausgleichenden Segnungen sind in Österreich leider schon länger vorbei. Die UNTEREN rutschen ab und statt ihnen zu helfen und sie aufzufangen, überlasst ihr sie der FPÖ.

Jetzt AUCH gegen Ausländer zu sein nützt gar nichts. Die Unterschicht ist hauptsächlich deshalb "gegen Ausländer" weil sie Angst hat. Und weil die FPÖ ihnen SAGT, die Ausländer sind an ihrer Situation schuld. Selbst wenn alle Ausländer aus Österreich ausgewiesen und die Grenzen dicht gemacht werden, dann werden halt als nächstes alle Moslems schuld sein, oder alle Brillenträger. Mit anderen Worten, solange nicht ihr (und wer sonst?) dafür sorgt, dass es den kleinen Leuten wirklich besser geht, wird die FPÖ Wahlerfolge einfahren. Ausländerthema hin oder her.

Siehe das Wahlergebnis in Neudörfl, ihr wisst schon was ich meine.

Das permanente Einknicken vor der ÖVP, denen ihr von eurer sozialen Situation her natürlich mittlerweile näher steht als den Hilfshacklern, macht euch unglaubwürdig. Sogar Merkel-Deutschland hat eine Erbschaftssteuer! Also, echt jetzt?

Heißt das, die Lösung sei Klientelpolitik? Nun... ja. Der Versuch in der Steiermark zu behaupten „wir sind alle die Mitte und es gibt keinen Unterschied zwischen einer Arbeitnehmerpartei und einer Arbeitgeberpartei mehr“ hat ja nicht wirklich so ganz funktioniert. Siehe dort auch KPÖ, nebenbei gesagt, gell? Kurz, und ich bin kein eingetragener Genosse, wenn die Bobo-SPÖ nicht wieder SOZIALISTISCHER wird, dann war's das über kurz oder lang an den Wahlurnen. Und die roten PensionistInnen sind halt leider eine aussterbende Gattung.

Noch mal: wenn ihr jetzt nach der Wahl so weitermacht wie bisher und nur ein BISSI BÖSER und ein BISSI GEMEINER gegenüber den "Ausländern" seid, wird sich rein gar nichts ändern. Solange die, ich wiederhole den Begriff, Unterschicht in Österreich nicht wieder das Gefühl hat eine FAIRE CHANCE in diesem Land zu haben, eine faire Chance auf Geld, auf gewissen Wohlstand und auf Bildung (früher eine 1A-Waffe im roten Arsenal), wird die FPÖ siegen. Punkt.

Ach ja, noch etwas. Schönen Gruß von den intellektuellen Freiberuflern und Künstlern. Die in der Art einer Kindesweglegung durch die Hintertür rauszuschmeißen und der schwarzen SVA umzuhängen, die jetzt auch nicht so recht weiß, was sie mit ihnen anfangen soll, war auch nicht der smarteste Move. Was Wählerstimmen betrifft und vor allem die PR. Denn gerade prominente Künstler und Intellektuelle waren in der Hochzeit der SPÖ einer ihrer stärksten Waffen der Öffentlichkeitsarbeit. Nur so nebenbei.

* Liebe ÖVP, für euch trifft das Gesagte sinngemäß ebenfalls zu. Auch die kleinen und mittleren Angestellten sowie Beamten, kurz die untere Mittelschicht, spürt die Gefahr des Abstiegs und wird so von euch hin zur FPÖ gezogen. Die Interessen der oberen Mittelschicht und der wirklich Reichen zu vertreten, bringt vielleicht tolle Einladungen zur nächsten Golfpartie, aber rein zahlenmäßig halt EINDEUTIG WENIGER Stimmen. Simple math, no rocket science, wie man so sagt. Ihr seid doch eine Wirtschaftspartei. Rechnet euch das selbst aus.

Euer

Ernsthaft Besorgter

Noch ein PS an die SP:

Wenn in der seit langem an Bedeutung verlierenden SJ nur noch ganz wenige kratzbürstige, protestierende Marx-LeserInnen lautstark poltern und beim traurigen Resten der Roten Falken (die ich aus persönlichem Kontakt durchaus schätze) fast nur noch Kinder von Funktionären und Sozialdemokratie-Romantikern ums Feuer sitzen und alte Arbeiterlieder singen (anstelle der Kinder der wirklichen Arbeiterklasse von heute) – dann stimmt da doch irgendwas nicht. Und lässt wenig Gutes für die Zukunft ahnen.

PPS:

Und könntet ihr beide auch ein bissi mehr drauf aufpassen, was diese in ihrer Methodik offenbar SA-artig agierenden Identitären so treiben? Danke, ganz lieb.

Addendum:

Und hier geht's ab sofort zur Fortsetzung: “Wie man FPÖ-Wähler zurückgewinnt - Für Dummies“

https://www.fischundfleisch.com/blogs/politik/wie-man-fpoe-waehler-zurueckgewinnt-fuer-dummies.html

Quelle und (c) der Grafiken:

http://www.sora.at/fileadmin/downloads/wahlen/2015_LTW-Stmk_Wahlanalyse-Grafiken.pdf

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