Lasst uns „mädchenhaft“ sein!

Schon als Kind, schreibt die amerikanische Philosophin Martha Nussbaum in ihrem aktuellen Buch „Politische Emotionen“, habe sie den Wunsch gehabt, „etwas Besonderes“ zu sein, „also ein Mädchen zu sein, das etwas tat, was Mädchen gewöhnlich nicht tun“ (Seite 379). Der Satz ließ mich aufmerken, denn ich erinnere mich gut an ähnliche Gefühle. Auch ich hatte als Jugendliche den Wunsch, anders zu sein als andere Mädchen, Dinge zu tun, die „Mädchen gewöhnlich nicht tun“. In solchen Sätzen zeigt sich, wie tief in unser Unterbewusstsein die Abwehr gegen Frausein, gegen Weiblichkeit eingegraben ist.

Denn es geht hier ja nicht einfach um den menschlichen Wunsch nach Individualität und Originalität. Würde es darum gehen, müsste der Satz lauten: „Ich wollte ein Mädchen sein, das etwas tat, was Menschen gewöhnlich nicht tun.“ Das wäre wirklich etwas Besonderes, ein ambitionierter Wunsch, ein großer Ehrgeiz. Stattdessen liegt der Fokus speziell auf der Abgrenzung von den anderen Mädchen. So als wäre es schon für sich genommen eine Errungenschaft, nicht „mädchenhaft“ zu sein. Aber das ist nur ein billiger Trick, um Frauen dazu zu verführen, den Männern nachzueifern.

Andersrum würde es ziemlich merkwürdig klingen, wenn ein Mann sagte, er möchte Dinge tun, die „Männer gewöhnlich nicht tun.“ Ein Mann macht sich leicht verdächtig, wenn er allzu oft Dinge tut, die Männer gewöhnlich nicht tun. Er läuft Gefahr, seine Männlichkeit zu verlieren, zu „verweiblichen“. Noch immer werden kleine Jungs regelmäßig davor gewarnt, sich zu „mädchenhaft“ anzustellen. Klar: Wenn das gewöhnliche Weiblichsein schon für Frauen etwas Schlimmes ist – um wie viel schlimmer dann für einen Mann!

Nein, Männer kokettieren nicht damit, dass sie „weibliche“ Dinge tun, denn im Unterschied zu dem umgekehrten Fall bei den Frauen bringt ihnen das kein Prestige ein. Ganz im Gegenteil: Wenn Männer tatsächlich mal Dinge tun, die gewöhnlich eher von Frauen getan werden, dauert es höchstens eine Nanosekunde, bis die entsprechenden Dinge sorgfältig mit symbolischer Männlichkeit ausgestattet werden. Zum Beispiel mit martialisch wirkenden Hilfsmitteln für Väter, die sich auf der schwierigen Mission befinden, ein kleines Baby zu versorgen.

Gleichberechtigt sind Frauen heute zwar, zum Glück. Aber wir müssen unserer Kultur auch noch diese subtileren Abwertungsmechanismen austreiben. Frauen, die etwas erreichen, die etwas Besonderes sein wollen, müssen nicht auf die „gewöhnlichen“ Frauen herabblicken und quasi auf die Seite der Männer überwechseln. Das ist eine Sackgasse. Die Freiheit der Frauen geht weit darüber hinaus. Und es ist gerade die Orientierung an anderen Frauen, die uns dabei helfen kann, unsere Freiheit zu verwirklichen.

Deshalb: Lasst uns mädchenhaft sein! So mädchenhaft wie Pippi Langstrumpf, wie Anne Frank, wie Martha Nussbaum und all die anderen Mädchen und Frauen, die unsere Vorbilder sein können.

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Silvia Jelincic

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Erkrath

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fischundfleisch

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