Das Gymnasium als bürgerliches Identifikationsprojekt?

Bernhard Görg (1992-2002 Landesparteiobmann der ÖVP Wien) beschwört in seinem Gastkommentar in der Presse seine eigene Partei, das Gymnasium als Identifikationsprojekt der Bürgerlichen nicht aufzugeben.

Die Thesen Görgs haben den Geruch eines heimatlichen Stalls. Ideen, die Großeltern und Eltern vertreten haben, Ideen, die von Generation zu Generation weitervererbt wurden. Wohlerworbener und wohlerhaltener bürgerlicher Wohlstand, bürgerliche Bildungsstandards und die Abgrenzung gegen die "Roten", am schönsten umschrieben mit dem Begriff der "Döblinger Regimenter".

Natürlich war das Gymnasium immer ein Identifikationsmerkmal der ÖVP, der Totem der Elite. Hier hat Bernhard Görg vollkommen recht. Nur hat sich parallel zum Abstieg der Wiener ÖVP einiges getan und es scheint wohl ein Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Entwicklungen seit Ende der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts und dem Schrumpfen der urbanen ÖVP Wähler zu bestehen.

Nach knapp 50jährigen Entwicklung der urbanen Bevölkerung gibt es keine traditionellen SPÖ und ÖVP Wähler mehr. Die Bevölkerung hat sich vom Trauma des zweiten Weltkriegs gelöst. Die Wirtschaft hat sich wohl noch schneller als die Flexibilität der Bevölkerung entwickelt und verändert sich in zunehmendem Tempo.

Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Wähler haben sich massiv gewandelt. Waren Alleinverdiener 1980 noch Standard, kann eine Familie mit einem durchschnittlichen Monatseinkommen eines Alleinverdieners heute nicht mehr überleben.

Und natürlich haben sich die Anforderungen an die Bildung seit 1980 massiv verändert. Der klassische bürgerliche Bildungsweg von der Matura über das Jusstudium zu einer lebenslangen Versorgungskette ist kaum noch existent.

Die klassische Karriere mit Stabilität in Einkommen und Aufstieg ist genauso betroffen wie klassische bürgerliche Werte wie Ehe und Familie. Die Nachkriegsgesellschaft hat sich aufgelöst.

Genau diesem komplexen Umfeld muss sich auch die Bildung stellen. Und ich bezweifle, dass das Gymnasium hierfür ein flexibles Instrument ist.

Im Zeitrahmen von 8 Jahren sind die Anforderungen einer modernen Gesellschaft nicht in einem Gymnasium abzubilden. Bildung muss wesentlich flexibilisiert und durchlässiger gestaltet werden, um mit den Anforderungen der Wirtschaft mithalten zu können und die besten Talente zu finden und zu fördern.

Das Gymnasium mag zwar immer noch das Identifikationsprojekt der ÖVP sein, aber die urban-bürgerliche Wahlerbasis ist schlicht abhanden gekommen. Der Rat mag zwar konservative Werte unterstreichen, geht aber sowohl bildungspolitisch als auch parteistrategisch vollkommen ins Leere.

Die (Wiener-) ÖVP muss sich genauso dynamisch entwickeln wie die Bürger, die Wirtschaft und auch die Anforderungen an das Bildungssystem.

Sonst war die Gemeinderatswahl 2015 wohl die letzte Schlacht.

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Christoph Cecerle

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