Nein!! "Wir sind mehr!", "Wir sind noch mehr!"... Bloß nicht in der Minderheit sein, oder was? Als ob das so wichtig wäre! Ist es nicht so, dass jeder gesellschaftliche Fortschritt erstmal die Sache Einzelner und kleiner Gruppen war? Mehrheiten entstehen, wenn sich Ideen durchsetzen - hoffentlich weil sie gut und richtig sind. Wären immer alle nur Mehrheit gewesen, säßen wir noch in den Höhlen. Nicht auszudenken, wären die ersten, die sich mit verquollenen Augen ans Tageslicht gewagt haben, zurückgepfiffen und niedergebrüllt worden: Wir sind das Volk!

Trotzdem wird ständig von dieser oder jener Seite diese oder jene Studie veröffentlicht, die deutliche Mehrheiten für bestimmte Positionen - möglichst die eigenen natürlich - belegen soll. Und diese Mehrheiten werden dann als Legitimation für politische Entscheidungen oder Forderungen herangezogen. Schon klar, wir leben in einer Demokratie und da gilt das Mehrheitsprinzip.

Aber Mehrheit zu sein legitimiert natürlich nicht alles. Mehrheitlich entscheiden, eine Diktatur einzuführen oder die Grundrechte bestimmter Gruppen einzuschränken ist natürlich nicht legitim. Aber auch mehrheitlich zu entscheiden, alle Mücken und Feldsperlinge auszurotten, um eine höhere Ernte zu erzielen, wie Mao es im "Großen Sprung" verlangt hat, oder alle Rücklagen aufzulösen und in die Produktion von Gummibärchen zu investieren ist nicht legitim, selbst wenn es eine glasklare Mehrheit dafür gäbe. Damit werden zwar keine Grundrechte verletzt und es wird auch keine Diktatur eingeführt, aber es werden Fakten geschaffen, die alle betreffen und die nicht revidierbar sind.

Karl Popper hat sich dafür ausgesprochen, politische Entscheidungen immer möglichst kleinschrittig zu treffen, damit man sie im Falle von Fehlentscheidung wieder rückgängig machen kann. Denn nie lassen sich alle Folgen politischer Entscheidungen absehen. Maos großer Sprung hat Millionen Hungertote zur Folge gehabt weil es nicht mehr möglich war, zurückzuspringen.

In der Migrationspolitik, in der alle so erbittert darum ringen, Mehrheit zu sein, werden ebenfalls unwiderbringliche Fakten geschaffen, deren langfristige Folgen noch kaum absehbar sind. Nie mehr wird es möglich sein, hinter 2015 zurück zu kommen. Die meisten Zugewanderten werden bleiben. Selbst wenn der politische Wille da wäre, die Entwicklung rückgängig zu machen - die Zahlen sind gigantisch, die Hindernisse umfangreich. Und Wolfgang Schäuble hat ganz aktuell deutlich gemacht, dass von politischem Willen in dieser Hinsicht keine Rede sein kann: Wir müssten uns daran gewöhnen, dass selbst von den klar Ausreisepflichtigen nur ein Bruchteil wirklich das Land verlassen wird. Dabei führt der Löwenanteil der wenigen Abschiebungen ohnehin nur ins europäische Ausland. Wenn es nicht Schäubles politischer Wille ist, die Mehrzahl aller Zugewanderten hier zu behalten, dann ist das Statement seine Kapitulationserklärung!

Natürlich kann es Ausnahmesituationen geben, in denen große, wegweisende und unwiderrufliche Entscheidungen unumgänglich sind. Aber dies kann in Bezug auf die Migrationskrise allenfalls für die Situation im September 2015, keinesfalls aber für die folgenden Monate und Jahre gelten.

Die Mutti aller Probleme ist, dass ohne Not eine gesellschaftsverändernde Entscheidung getroffen wurde - die Grenzen zu öffnen und offen zu halten -, mit der offensichtlich ein großer Teil der Bevölkerung nicht einverstanden ist. Unerheblich, ob dieser Bevölkerungsteil Mehrheit ist oder nicht! Denn das ist einer Demokratie nicht würdig.

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