Wir müssen uns heute ernsthafter mit dem Thema des Umweltschutzes und der damit verbundenen Zukunft des Menschen auseinandersetzen. Die hysterischen Rufe der Klimaretter wirken in diesem Zusammenhang kontraproduktiv und tragen keinesfalls dazu bei – sich dem Thema neutral und klarem Verstandes zu nähern. Gute Lösungen besitzen nicht die Fähigkeit aus Panik zu erwachsen.

DIE ZIVILISATION IST UNS EINFACH PASSIERT

Wie kam es überhaupt dazu, dass sich der Mensch seine Zivilisation schuf? Schließlich kennen wir dafür in der ganzen, sehr langen Geschichte des Lebens auf der Erde keinen Präzedenzfall. (Möglicherweise existieren in den Weiten des Weltalls noch andere Zivilisationen, aber von diesen wissen wir nichts.) Mit der Sesshaftigkeit freilich war das zivilisierte Leben, wie wir es heute kennen, nicht „angelegt“.

Mit ein wenig Phantasie kann man sich vorstellen, dass es bei den einfachen Behausungen der ersten Ackerbauern und Viehzüchter hätte bleiben können; dies umso mehr, als bis in die Gegenwart hinein ein paar Menschengruppen von der Zivilisation im heutigen Sinn nicht erfasst sind. Die jetzige Zivilisation war jedenfalls nicht vorgesehen, von niemandem geplant. Die Zivilisation, meinte der Wiener Biologe Rupert Riedl (1925 bis 2005), sei uns einfach passiert. So ist es. Freilich war das ganze Geschehen von den ersten Siedlungen zu den heutigen Megastädten kein einfaches. Es war ein komplexer Prozess der Selbstorganisation, des Ineinandergreifens zahlreicher Mechanismen, der verwickelten Wechselwirkung zwischen gesellschaftlichen, technologischen, ökonomischen und ideologischen Faktoren, die niemand durchschaute und die auch heute nur mit einiger Mühe rekonstruierbar sind.

Der Soziologe Norbert Elias (1897 bis 1990) widmete dem Prozess der Zivilisation ein umfangreiches und bis heute viel beachtetes Werk. Er stellt darin fest, dass dieser Prozess nicht rational, durch zielbewusste Steuerung einzelner Menschen oder Menschengruppen stattgefunden habe. Ausdrücklich weist er aber darauf hin, dass Absichten und Handlungen einzelner Menschen beständig ineinandergreifen und so eine Entwicklung in Gang setzen, die ihre eigene Ordnung entfaltet:

Diese fundamentale Verflechtung der einzelnen, menschlichen Pläne und Handlungen kann Wandlungen und Gestaltungen herbeiführen, die kein einzelner Mensch geplant oder geschaffen hat. Aus ihr, aus der Interdependenz der Menschen, ergibt sich eine Ordnung von ganz spezifischer Art, eine Ordnung, die zwingender und stärker ist als Wille und Vernunft der einzelnen Menschen, die sie bilden. (Elias 1976, Band 2, S. 314)

Allerdings darf diese Ordnung nicht metaphysisch gedacht werden. Es sind einzelne Menschen, die sie geschaffen haben, wenn sie auch nicht wussten, wohin ihre „Schöpfung“ letztlich führen wird. Noch nie war es einem Erfinder, der mit seiner Konstruktion einen ganz bestimmten Zweck verfolge, wirklich bewusst, welche Nebenwirkungen diese zeitigen könnte (und gezeitigt hat). Und als die ersten Europäer in der Neuen Welt ankamen, hatten sie keine Ahnung, wie rasch (innerhalb weniger Jahrhunderte) sich der amerikanische Kontinent wandeln würde, bloß deshalb, weil er (von Europäern, die obendrein dachten, in Indien gelandet zu sein) entdeckt worden war.

In gewissem Sinne verhält es sich mit unserer Zivilisation freilich so wie mit dem Geweih des Riesenhirschen oder den Schwanzfedern des Pfaus. Diese bizarren Gebilde sind den Tieren einfach passiert, ohne dass sie etwas dafür oder dagegen tun konnten. Da sie ihnen ursprünglich Vorteile brachten, hätten sie sogar für den spekulativen Fall, dass ihnen die Entwicklung bewusst gewesen wäre, natürlich nichts dagegen getan. Seine Zivilisation brachte dem Menschen Nutzen, aber er dachte – trotz seiner kognitiven Kapazitäten, welche die eines Hirsches oder Pfaus im Allgemeinen um einiges übersteigen – nicht daran, dass sie ihm davongaloppieren wird.

Zivilisationskritiker hat es zwar so gut wie immer gegeben, aber nie wussten sie – nie konnten sie wissen –, was die Zivilisation über ihren jeweiligen Zeithorizont hinaus sonst noch alles bringen wird. Aus der Perspektive einer Gegenwart kann die Zukunft nur verschwommen wahrgenommen werden. Wir befinden uns heute nach wie vor in derselben Lage. Aber wir könnten inzwischen aus der Evolution der Organismen gelernt haben, dass sie letztlich aus lauter Sackgassen besteht.

Keine Art von Lebewesen ist „perfekt“, in der Evolution gibt es nur das relative Optimum – und auch das meist nur vorübergehend. Sonst wäre unverständlich, dass seit der Entstehung des Lebens auf der Erde vor beinahe vier Jahrmilliarden schätzungsweise eine Milliarde Arten ausgestorben sind. Gewiss, die Gründe für das Aussterben von Arten sind vielfältiger Natur, aber es kann an dieser Stelle nicht näher darauf eingegangen werden. Der Hinweis mag genügen, dass Homo sapiens keine Ausnahme darstellt, dass er sich aus dem „großen Lebensstrom“ nicht hinauskatapultieren und demzufolge genauso verschwinden kann wie die unzähligen Arten in der Erdgeschichte vor ihm.

Da nun aber doch manche von uns bemerken, dass unsere Zivilisation immer schneller in eine Sackgasse gerät, könnten wir vielleicht die Notbremse ziehen. Das ist leicht gesagt. Wo sollen – und können wir überhaupt – das Bremsmanöver ansetzen? Im großen Geschiebe unserer Massengesellschaften, in dem jeder Einzelne – verständlicherweise – pausenlos auf der Hut sein muss, dass er nicht auf der Strecke bleibt, dominieren in erster Linie andere Sorgen. Das ist ja gerade das Fatale. Die Menschen sollen nicht bemerken, dass etwas faul ist in ihrer schönen neuen Welt, sondern in dem Glauben gelassen werden, dass in allen ihren Lebensbereichen beständig ein Fortschritt erzielt wird. Die Frage, wie dieser denn eigentlich zu bemessen sei, soll erst gar nicht aufkommen. Aber auf jeden Fall kommt uns manches, was als „Fortschritt“ bezeichnet wird, teuer zu stehen.

Unsere heutige (westliche) Zivilisation wäre freilich nicht die erste, die untergeht. In seinem umfang- und inhaltsreichen Werk Kollaps beschreibt der amerikanische Evolutionsbiologe und Anthropologe Jared Diamond den Untergang verschiedener Zivilisationen in der Vergangenheit und findet dafür gemeinsame Grundmuster. Der Niedergang einer Zivilisation ist praktisch immer an schnelles Bevölkerungswachstum, Zerstörung der natürlichen Lebensräume und politische Fehlkalkulationen gekoppelt. Das erinnert natürlich stark an unsere Zivilisation. Man sollte meinen, dass wir aus früheren Untergängen etwas lernen und heute die Dinge besser machen könnten.

DIE FRAGEN NACH DER ZUKUNFT

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Unsere Zivilisation erscheint ja als außergewöhnlich innovativ. Allerdings weisen ihre Innovationen – in eine Richtung, die uns Angst einflössen muss. In der Evolution der Lebewesen hatte noch jede Innovation ihren Preis. Die insgesamt bedeutendste Innovation in der (biologischen) Evolution des Menschen, die schnelle Vergrößerung und Differenzierung des Gehirns, hat dieser Gattung zwar immense Vorteile gebracht, aber es macht sie auch anfällig für Hirngespinste.

Nur ein mit Vernunft begabtes Lebewesen kann zugleich unvernünftig sein, Ideologien ersinnen und von besseren Welten träumen. Diese Träume wären nicht schlimm, würden sie Träume bleiben. Aber sie dringen in die Realität vor und ergreifen also den Träumer auch im Wachzustand. Genau gesagt: Einige unserer Träumer, religiöse und säkulare Propheten, glaubten schon immer zu wissen, welcher Platz dem Menschen in dieser Welt zugewiesen sei – und wie sich das Individuum in ihre Träume einzufügen habe.

Die Umwelt schützen und Menschen dabei helfen, wie wir uns in diese harmonisch einfügen können ist die größte Herausforderung unserer Zeit. Wir dürfen die Beantwortung dieser Fragen nicht Fantasten, Religionen, Ideologen, Politikern oder gar Umweltorganisationen überlassen, nein – sondern ausschließlich der Wissenschaft – die sich ernsthaft mit diesen Fragen zu beschäftigen hat.

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