Der amerikanische Ökonom John Kenneth Galbraith (1908 bis 2006) hat vor Jahrzehnten schon kritisch darauf hingewiesen, dass wir uns ständig abmühen, überflüssige Produkte herzustellen, um künstlich „Bedürfnisse“ zu befriedigen, die letztlich nur durch die Werbung hervorgerufen werden. Warum eigentlich? Die steinzeitlichen Jäger und Sammler wollten zunächst lediglich ihre unmittelbaren Bedürfnisse befriedigt wissen. Sollten sie etwas erbeutet oder gefunden haben, was diese Bedürfnisse überstieg, aber ihre Aufmerksamkeit erregte und Freude in ihnen auslöste (allzu oft dürfte das nicht der Fall gewesen sein), haben sie das betreffende Objekt wohl nicht einfach liegen gelassen.
Das war harmlos. Was werden sie denn schon gefunden haben?! Ein auffällig strukturiertes Schneckengehäuse, einen ihnen bemerkenswert erscheinenden Stein, ein abgebrochenes Hirschgeweih … (Im letzten Fall mögen sie aber gleich auf das unmittelbar Nützliche bedacht gewesen sein und sich gefragt haben, wo denn der Hirsch geblieben sein mag, der ja eine üppige Mahlzeit versprach. Oder sie werden die Geweihenden als Waffen beziehungsweise Werkzeuge benutzt haben.) In der heutigen Konsumgesellschaft jedoch werden unzählige Dinge produziert, denen keine andere Bestimmung anhaftet als die Aufmerksamkeit eines potenziellen Käufers zu erregen, der nicht fragt, was er braucht und was ihm etwas bedeutet.
Dem steinzeitlichen Jäger in uns ist die für sein unmittelbares Leben und Überleben unentbehrliche Beute abhandengekommen. Aber er bedarf ihrer nicht mehr, weil ihn seine Zivilisation ohnedies mit allem Notwendigen versorgt. Doch juckt es ihn unter den Fingernägeln. Er fühlt sich (sofern noch nicht vollkommen träge geworden) angetrieben, irgendetwas zu „erbeuten“ (freilich nur, wenn ihm sein Terminkalender gestattet, diesen Antrieb auszuleben). Also macht er sich auf den Weg nach einer Ersatzbeute, um seine ursprünglichen Jagdgelüste trotzdem noch irgendwie zu befriedigen.
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Doch nein, er muss sich ja nicht mehr „auf den Weg“ begeben, wozu gibt es denn Online-Shopping! Es ist eine, so oder so, freilich insgesamt ziellos gewordene oder übers Ziel hinausschießende „Jagd“ nach Gegenständen, deren Nutzen objektiv gesehen fragwürdig erscheinen mag, sich aber – in den Augen des „modernen Jägers – allein aus ihrer bloßen Verfügbarkeit ergibt. Die Wirtschaftsform der westlichen Industriegesellschaft zielt nicht mehr auf die Befriedigung der unmittelbaren Bedürfnisse des Konsumenten ab, sondern ist in erster Linie bestrebt, Bedürfnisse zu schaffen. Der Steinzeitmensch in uns reagiert darauf unreflektiert und positiv.
Die bloße Verfügbarkeit von irgendetwas verschafft ihm das Gefühl, dieses Etwas auch, wenn schon nicht zu brauchen, so doch zumindest besitzen zu sollen. Seiner überdrüssig geworden, kann er es jederzeit wieder wegwerfen, ersetzen, das sich wiederum durch keine besondere und langfristige Brauchbarkeit ausweisen muss. Und so dreht sich die Spirale weiter. Eines der besten Beispiele dafür ist die moderne Spielzeugindustrie. Kinder werden heutzutage mit so viel Spielzeug überhäuft, dass sie jedem einzelnen Objekt nur sehr kurz ihre Aufmerksamkeit schenken (können), um sich gleich auf das nächste zu stürzen. (Man kann ja nicht früh genug damit beginnen, Menschen zu Konsumtrotteln zu erziehen.)
Die heutige Zivilisation ist also in gewissem Sinne ein hypertrophes Organ. Sie ist zwar unserer Art eigen, wird aber deren „ureigenen“ Bedürfnissen immer weniger gerecht. Der Mensch ist zwar als biologische Spezies an Kultur angepasst, das heißt, seine Natur erlaubt ihm, Kultur auf eine Weise zu produzieren, die die entsprechenden Fähigkeiten anderer Primaten (vor allem Schimpansen) bei Weitem übertrifft. Aber das bedeutet keineswegs, dass sich Kultur in jedem ihrer Aspekte und auf Dauer für den Menschen nützlich erweisen muss.
Die Zivilisation in ihrer jüngsten Ausprägung erweist sich mehr und mehr als Irrweg. Sie war, wie gesagt, nicht beabsichtigt. Aber auch die Pfauenfedern waren nicht beabsichtigt. Da die Evolution – im Gegensatz zu einer immer wieder anzutreffenden Irrmeinung – von keinem intelligenten Planer ersonnen wurde, bewegt sie sich fortwährend auf einem Zickzack-Kurs, der häufig genug in eine Sackgasse mündet. Sollte das im Falle unserer Zivilisation anders sein? Nein.
Unsere Zivilisation ist nur eine dünne Gipsschicht auf einem alten, in Jahrmillionen konsolidierten Gesteinsbrocken. Ihre Bewährungsprobe hat sie noch lange nicht bestanden. Die Anzeichen mehren sich, dass sie ihren „Träger“ bereits in eine Sackgasse geführt hat, weil sie an seinem stammesgeschichtlichen Erbe sozusagen vorbeiläuft. Mit anderen Worten: Man kann zum biologischen Erbe stehen, wie man will: es hassen, ignorieren, respektieren oder lieben. Aber Tatsache ist: Nur ein Leben, das nicht gegen, sondern mit der eigenen Natur geführt wird, kann auf Dauer erfolgreich sein.

Bessi/pixabay https://pixabay.com/de/photos/baum-wolken-felder-gras-grasland-832079/