Alles riskiert und alles verloren.

2022 fiel Putins Welt wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Er hat Russland zur Regionalmacht demontiert. Was Obama vor Jahren schon andeutete und Putin in Rage versetzt, das hat Putin nun selbst zu Ende gebracht.

Putin hat einen blutigen Krieg entfacht und Russland international weitestgehend isoliert. 2022 für den Kreml-Chef ein Annus horribilis - Erfolge? Fehlanzeige!

Das Jahr 2022 ist der Wendepunkt in der Regierungszeit Wladimir Putins, der Moment, in dem er alles riskierte und alles verlor. In über zwanzig Jahren seiner Herrschaft baute er die internationale Stellung Russlands kontinuierlich aus.

Er ging dabei taktisch geschickt vor, seine Gegenspieler frassen ihm aus der Hand und mit wenigen Mitteln machte er die halbe Welt von sich abhängig. Das brachte große wirtschaftliche Effekte, von denen er und seine Freunde kräftig profitierten.

In mehreren Kriegen festigte er seine Herrschaft und gestaltete das Militär zu einer Kraft, die im Innern für Ordnung sorgte und außenpolitisch stark wurde. Er brachte den Westen in die Energieabhängigkeit, er gestaltete gezielt die Abhängigkeiten in Energie und Rohstoffen.

2022 fiel Putins Welt wie ein Kartenhaus in sich zusammen.

Und er schuf eine internationale Kraft der Desinformation, die auf Wahlen und politischer Meinungsbildung in demokratischen Staaten Einfluß nahm.

Militär, Energie und Desinformation waren die zentralen Fähigkeiten Russlands, in anderen Bereichen konnte Russland nicht mit den großen Mächten der Welt Schritt halten.

Es war Putins Ideologie, Russland als eine besondere Weltmacht aufzubauen, neoimperalistisch und mit eigens geprägtem Putinismus.

In Putins Welt gibt es die Russische Welt, die geographisch weit über Russland hinausreicht. Er vertritt eine völkische Ideologie die ihn zum Schutzherrn der Russen in allen Ländern dieser Welt erhebt; geographisch im nahen Umfeld und angelehnt an die Ausdehung der Sowjetunion. Russen sind Sowjet, Sowjets sind Russen. Dass Russland schon immer gewaltätig sein Reich erweiterte und dabei viele Völker unterjochte, blendet er aus.

Aber diese Menschen identifizieren sich nun anders und machen keine Anstalten unter seine Fittiche zurück zu kehren. Er hätte es wissen können, doch es störte sein geschichtliches Narrativ.

Deshalb konnte er sich selbst vor dem 24. Februar 2022 vorlügen, dass die Ukraine fallen, die Menschen ihm zujubeln und der Krieg binnen weniger Tage vorbei sein werde.

Die russische Diplomatie legte drei Forderungen auf den Tisch

Er wäre das Risiko eines Krieges nicht eingegangen, falls es anders gelungen wäre, seine Ziele zu erreichen, dass sich die europäischen Staaten angesichts der Kriegsgefahr freiwillig in ihr Schicksal ergeben. Die russische Diplomatie hatte drei Forderungen auf den Tisch:

Erstens solle die Ukraine Russland überlassen werden, was mit Forderungen nach Denazifizierung und Demilitarisierung untermauert wurde.

Zweitens sollten alle ausländischen Truppen aus den ehemaligen Mitgliedsstaaten des Warschauer Pakts, also von Polen bis Rumänien, abziehen. Entlang der russischen, belarussischen und ukrainischen Grenze sollten sich die Staaten nur auf ihr eigenes Militär verlassen – und damit dem militärischen Druck Moskaus unterworfen werden.

Drittens sollten die amerikanischen Nuklearwaffen aus Europa abgezogen werden, die nukleare Abschreckungskooperation zwischen den USA und den europäischen Nato-Staaten hätte ein Ende gehabt. Die amerikanischen Soldaten wären bald ganz abgezogen. Was mit Trump schon verabredet war, ist bislang kaum bekannt. Bolten aber sagte diese Tage aus, dass sich Trump aus der NATO zurückziehen und Europa den Russen überlassen wollte.

Russland hätte seine drei zentralen Fähigkeiten – militärischer Druck, Energieabhängigkeit und Desinformation – genutzt, um Europa politisch zu dominieren. Dann verfüge es über genügend Bevölkerung und Wirtschaftskraft, um als bestimmende Weltmacht zu gelten.

In den Tagen nach dem 24. Februar hing das Schicksal der EU am seidenen Faden

In Erwartung eines raschen Sieges entschied sich Putin zum Krieg. Selenskji sollte Hals über Kopf mit einem Koffer Geld fliehen und die zerstrittenen Europäer könnten sich nicht auf eine gemeinsame Reaktion einigen. Die USA hätten Zweifel an europäischen NATO-Trittbrettfahrern und würden sich zurückziehen.

Es gab dafür sogar eine Chance, hätten die ukrainischen Streitkräfte nicht so effektiv reagiert. In den Tagen nach dem 24. Februar hing das Schicksal der EU am seidenen Faden, denn es hätte die EU zerrissen, wenn die Ukraine schnell besetzt worden wäre.

Die baltischen Staaten und Polen, die Slowakei und Tschechien hätten nach Abschreckung gerufen und der Westen Europas hätte die neuen Realitäten akzeptieren müssen; sprich die Ländern im Osten keine Unterstützung zugesagt. Die EU wäre daran zerbrochen. Die Ukraine hat die EU vor dem Scheitern bewahrt.

2022 hat Putin drei schwere Niederlagen erlitten

Putin erlitt 2022 drei schwere Niederlagen im Krieg: die Vertreibung aus Kiew, die Flucht aus Charkiw, der Rückzug aus Cherson. „Erfolge“ hatte er nur in der Zerstörung von Städten, ziviler Infrastruktur und Angriffen auf Zivilisten; alles "Erfolge" die ihn nach Den Haag bringen können.

Über 700 medizinische Einrichtungen wurden in den ersten 300 Tagen des Krieges zerstört. Russland konnte die Unterstützung durch China verbuchen, verlor aber parallel die Unterstützung der zentralasiatischen Staaten, die sich Peking zuwendeten.

Einen wirklichen Verbündeten hat Russland nicht, sogar Belarus wendet sich mit allen Bemühungen dagegen, in den Krieg gezogen zu werden. Iran, Syrien und Nordkorea sind die internationalen Partner.

Putin gelang es, die innenpolitische Lage weitgehend zu beherrschen. Eine effektive Opposition gab und gibt es nicht. Die Unterstützung für den Krieg durch die Mobilmachung nahm zwar rasant ab und es verließen Hunderttausende das Land, um sich dem Kriegsdienst zu entziehen. Zivilgesellschaftlichen Strukturen, die eine Organisation des Protests ermöglichen würden, wurden schon seit Jahren systematisch zerschlagen.

So wie Russland Deutschland von seiner Energie abhängig zu machen, so ist es nun zukünftig selbst von diesen Märkten abhängig.

Die Eliten sind unfähig einen Widerstand gegen den Krieg, der ihren Wohlstand und ihre Bewegungsfreiheit zerstört, zu organisieren. Die Zahl der Todesfälle stieg auffällig an; manche strebten ins Ausland, nur um dort irgendwie zu Tode zu kommen.

Die jüngste Ankündigung, unpatriotische Reiche zu enteignen, bleibt als Warnung stehen. Wer will sich auch öffentlich dazu bekennen, „Verräter und Abschaum“ (Wortwahl: Putin) zu sein, indem er nicht alles für das Vaterland zu tun gedenkt?

Die Repressionen im Innern gingen mit dem Krieg Hand in Hand.

Noch scheint die Wirtschaft zu funktionieren, aber Russlands wichtigste Fähigkeiten sind dramatisch dezimiert wurden. Die Armee ist auf Jahre hinaus geschwächt und diskreditiert. Sie muss wieder teuer aufgebaut werden. Aber dafür fehlen die Einnahmen aus der Energiewirtschaft und von technologischer Entwicklung braucht in Russland derzeit niemand zu träumen.

Selbst der Export an Rüstungsgütern dürfte sinken, denn sie haben sich als wettbewerbsunfähig erwiesen. Die Abhängigkeit von wenigen wichtigen Märkten – China, Indien – wird dazu führen, dass Russland die Preise diktiert bekommt.

Putins Ass im Ärmel: Er kann sich halten, weil es sein Herrschaftssystem so will

Putin hat die strategisch vorteilhafte Position Russlands mit einer überoptimistischen Fehlentscheidung zerstört. Russland wird so schnell nicht wieder in der Lage sein, Einfluss auf seine Nachbarn auszuüben, sieht man vom halbannektierten Belarus ab.

Obama hatte Unrecht, als er 2014 Russland als Regionalmacht bezeichnete, denn der Einfluss reichte damals weit darüber hinaus. Putin wird rückblickend in die Geschichte eingehen, der Russland tatsächlich zur Regionalmacht degradierte. Wenn er sich an der Spitze des Staates halten kann, dann ist das seinem gezielten Umbau des russischen Systems auf seine Person zu verdanken.

Victoria_Borodinova/pixabay https://pixabay.com/de/illustrations/putin-der-russische-pr%c3%a4sident-2972184/

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