Söder hat von Erdogan gelernt: Man kann Politik machen, in dem man die Justiz dem unangenehmen politischen Gegner auf den Hals hetzt. Die bayrische Justiz ist das willfährige Organ der bayrischen Landesregierung und die Polizeien der anderen Bundesländer waren im besten Falle überrumpelt von der Unverfrohrenheit des Söder. Im ungünstigsten Fall kam es ihnen gerade recht, weil ihnen die Überstunden auf der Strasse auf den Sack gingen.
Dabei geht es nur darum, die Politik an ihre Aufgabe aus dem Grundgesetz zu erinnern, die Umwelt auch für die nachfolgenden Generationen zu schützen.
Dass Söder nun mit juristischen Mitteln gegen ein Verfassungsziel vorgeht, dass lässt einen dumpfen Rechtsstaat-Geschmack aufkommen.
Söders Sonderaktion hat das Potential eine Wiederauflage der Spiegelaffäre von 1962 zu werden. Diese hat bekanntlich die Pressefreiheit in Deutschland massiv gestärkt. So kann es auch hier geschehen: Das Anliegen der LastGeneration wird öffentlich Zuspruch gewinnen.
Dabei empfinde ich schon als eine kleine Sensation: Die UNO äußert sich zu dem Vorgehen der deutschen bzw. bayerischen Behörden gegen die Aktivistinnen und Aktivisten von @AufstandLastGen. Damit dürften die Verantwortlichen des Einsatzes nicht gerechnet haben.
Auch ist mit einer Neuauflage des Mutlangenprozess-Themas um die Frage von "Fern-" und "Nahzielen" bei politischen Aktionen zu rechnen.
Die Politik hat in den vergangenen Jahrzehnten geflissentlich übersehen, dass Proteste auch Fernziele haben können.
Insgesamt scheinen die Reaktionen aus der Zivilgesellschaft doch sehr zugunsten der Aktivistinnen und Aktivisten zu laufen, wie einem Artikel in DER SPIEGEL zu entnehmen ist. Demnach haben Bürgerinnen und Bürger in den letzten zwei Tagen mehr als 300.000 Euro an @AufstandLastGen gespendet.
Auch von juristischer Seite gibt es Unterstützung für die Aktivistinnen und Aktivisten. Auf dem Verfassungsblog hat Katrin Höffler, Inhaberin des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Kriminologie und Rechtssoziologie an der Universität Leipzig, zugunsten der Aktivistinnen und Aktivisten argumentiert: „Ziviler Ungehorsam – Testfall für den demokratischen Rechtsstaat". Sie schreibt:
Selbst wenn man die Erheblichkeit in den Fällen des Abdrehens von Pipelines oder anderen Sonderkonstellationen doch bejahen sollte, so stünde § 129 Abs. 3 Nr. 2 StGB weiterhin entgegen. Er normiert eine Ausnahme für solche Fälle, in denen die begangenen Straftaten nur eine untergeordnete Bedeutung haben.
Und hier wird das wesentliche Argument konkretisiert: Man kann der Organisation „Letzte Generation“ insgesamt keinen kriminellen Zweck unterlegen. Es geht ihr in der Tat zuerst um Klimaschutz, und zwar auch nicht etwa über eine durch Straftaten erzeugte Einschüchterung der Gesellschaft, sondern vielmehr um eine Motivierung und Mobilisierung für das allgemein anerkannte Ziel. Wenn man also an dieser Stelle von Gesetzes wegen den Zweck der jeweiligen Organisation untersuchen muss, kommt man doch gar nicht wirklich daran vorbei, die in Bezug auf die einzelnen Taten sog. „Fernziele“ zu berücksichtigen! Infolge dieses allgemein billigenswerten, sogar vom Bundesverfassungsgericht im Klimabeschluss vorgegebenen Ziels „Klimaschutz“ ist übergeordneter Zweck der Gruppierung gerade nicht die Begehung von Straftaten. Und selbst wenn man nicht ganz so abstrakt ansetzen möchte, auch die weniger „fernen Ziele“ sind keine Straftaten, sondern eher moderate politische Forderungen: Einführung des Tempolimits, Implementierung von Bürger*innenräten etc. Straftaten sind demgegenüber ein untergeordnetes Mittel zum Zweck, nicht aber Selbstzweck der Gruppierung.
Auf dem gleichen Blog haben auch zwei ihrer akademischen Kollegen sich zu diesem Fall geäußert. Ihre Argumentation folgt etwas anderen Fragestellungen, aber beide kommen ebenfalls zu dem Schluss, dass die Einordnung der Aktivistinnen und Aktivisten als kriminelle Organisation auf der Rechtsgrundlage, auf die sich die bayerische Staatsanwaltschaft beruft, zumindest fragwürdig ist.
Hier die beiden Quellen: Michael Kubiciel – er lehrt Strafrecht an der Universität Augsburg: "Manövrieren an den Grenzen des § 129 StGB" und Thorsten Koch – er ist Gastprofessor für Öffentliches Recht mit dem Schwerpunkt Polizei- und Ordnungsrecht an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin: "Verhältnismäßigkeit, Normenklarheit und § 129 StGB".
Aber vielleicht hat die Aktion der bayerischen Staatsanwaltschaft ja auch nur etwas mit dem Landtagswahlkampf in Bayern zu tun, "Razzia bei Letzter Generation: Bayerns Justiz hat gewildert. Söders Generalstaatsanwaltschaft hat ihre willfährige Justiz in andere Bundesländer geschickt, um dort aufzuräumen. Was tut man nicht alles für den Wahlkampf."