(Folgenden Brief hat mir eine Freundin zugeschickt, mit der Bitte um Veröffentlichung. An dieser Stelle möchte sie derzeit anonym bleiben)

Sehr geehrter Herr Kurz!

Mit Schrecken verfolge ich die kalten Reden, Handlungen und Vorhaben rund um die Abschaffung der Notstandsbeihilfe.

Was erwarten Sie sich davon? Wir Bezieherinnen und Bezieher sind keine Sozialschmarotzer (das wäre eine infame Unterstellung), wir liegen nicht auf der faulen Haut herum, wir schreiben laufend Bewerbungen. Es hat einen Grund für unsere Langzeitarbeitslosigkeit. Wir sind Individuen, keine Ziffern, keine Nummer, keine Statistiken. Nur haben wir leider keine Lobby, wir Arbeitlose sind der Gesellschaft meistens egal (außer es wird wieder einmal gegen uns agitiert), denn wir sind eh brav still. Wir leben normalerweise gesichtslos am Rand der Gesellschaft und lassen uns alles gefallen.

Menschen, die Notstandsbeihilfe beziehen, sind meistens weit unten – wir sind durch Krankheiten, Schicksalsschläge oder einfach nur, weil wir älter werden und keine Arbeit finden, bzw. von den Betrieben und Firmen ignoriert werden, (die Aktion 20.000 wurde leider abgedreht) in dieser misslichen Lage. Niemand von uns bezieht Stolz Geld vom Staat. Die Notstandsbeihilfe kann übrigens gekürzt oder gestrichen werden und wird es auch, wie sämtliche Daten hierzu beweisen.

Ich selbst lebe unter der offiziellen Armutsgrenze und 45% meiner Geldleistungen sind fix verplant für Miete, BK, Strom und Fernwärme. Ich bin eine von denen, die es sich im Winter 2-mal überlegen, ob sie die Heizung einschalten oder nicht.

Ich hatte jahrelang keine Existenzängste mehr, konnte mich so aus der Alkoholsucht befreien, jetzt habe ich sie wieder, diese Ängste, die mich nicht einschlafen lassen, so wie früher (nur dass ich nie mehr trinken werde).

Herr Kurz, Sie sind angeblich Christ, also hören Sie bitte auf die mahnenden Worte aus Kirchenkreisen oder auf die Armutskonferenz und überlegen Sie es sich bitte noch einmal, ob Sie uns sofort und vor allem wie in die Mindestsicherung fallenlassen - denn es ist ein Fallenlassen, wir alle werden Geld verlieren. Ich finde in der Mindestsicherung weder leichter noch schneller einen Job als in der Notstandshilfe, auch wenn das womöglich die asoziale neoliberale Logik behauptet. Was haben Sie davon, Herr Kanzler, Herr Berufspolitiker, wenn Sie Menschen wie mich noch weiter in die Armut treiben? Und nein, es ist nicht gerecht und (sozial) fair, Menschen in die Armut zu treiben - das ist das Gegenteil von christilich, das ist zynisch und rücksichtlos. Warum sind Sie so, was haben wir Ihnen getan? Woher kommt diese Ablehnung gegen Menschen wie mich?

Der Bundespräsident hat gemahnt, auf alle Menschen zu schauen, auch auf die Schwachen. Eine Gesellschaft ist nur so gut, wie sie ihre schwächsten Mitglieder behandelt.

Bitte bekämpfen Sie die Armut und die Arbeitslosigkeit, nicht die Arbeitslosen, nicht mich.

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Spinnchen

Spinnchen bewertete diesen Eintrag 10.01.2018 10:56:44

Markus Andel

Markus Andel bewertete diesen Eintrag 09.01.2018 23:48:44

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