Wenn Kinder zur Religion gezwungen werden: Österreichs menschenrechtswidriges Gesetz

Der ORF hat letzte Woche über eine Volksschule in Meidling berichtet, in der ein guter Teil der Schülerinnen bereits im jungen Alter Kopftuch tragen soll. Die Reaktionen darauf waren eindeutig: Würden die Mädchen dazu gezwungen, sei das ein Fall für das Jugendamt. Doch eine Recherche zeigt: In Wirklichkeit kann dieses in einem solchen Fall kaum etwas tun.

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Ein Fall für das Jugendamt?

Schnell gab es Stellungnahmen zu dem vorliegenden Fall. Die Frauensprecherin der IGGiÖ gab etwa zu Protokoll: „Das sollte in der Volksschule und im Kindergarten überhaupt kein Thema sein. Hier wird tatsächlich etwas von Elternseite forciert, das in dieser Phase noch nicht vorgesehen ist.“ (1) Der Psychologe Ahmad Mansour meinte im Standard kürzlich: „Ein Kind unter elf Jahren mit Kopftuch ist Missbrauch.“

Und die Wiener Schulbehörde? Direktor Arno Langmeier: „Solange sie das freiwillig tragen, ist das absolut in Ordnung. Sobald aber ein Kind dazu gezwungen wird, muss das aber thematisiert und dem Jugendamt gemeldet werden.“

Thematisiert. Eine treffende Formulierung. Rechtlich gesehen kann durch die Schule nämlich tatsächlich nichts aktiv dagegen getan werden. Während andere Länder wie die Türkei ein Kopftuchverbot für Schülerinnen unter 10 Jahren haben, ist das in Österreich kein Thema.

Also thematisiert. Das geschieht durch eine Meldung an das zuständige Jugendamt des Wohnbezirkes. Dieses ist zuständig, wenn das Wohlergehen eines Kindes gefährdet wird – und sollte dann auch unbedingt informiert werden. Doch wann ist das Wohlergehen überhaupt gefährdet? Etwa wenn ein Kind im Zimmer eingesperrt wird und stundenlang beten muss, statt spielen zu können – hier würde man einschreiten. Aber beim „leichten“ Zwang, etwas zu tun? Also wenn nicht mit Prügel gedroht wird, sondern das elterliche Argument kommt "Das macht man halt so"? Und was ist etwa mit Beschneidung? Ist das physische Gewalt, die das Wohl gefährdet? Alles nicht unumstritten.

Prinzipiell muss man sagen: Das Jugendamt lässt nichts einfach unbeschaut. Jede Meldung wird bearbeitet. Schließlich kann auch, wenn der gemeldete Umstand trivial erscheint, gleichzeitig eine andere, tiefergehende Rechteverletzung und Misshandlung passieren. Zunächst wird Kontakt mit der Familie aufgenommen und das Gespräch gesucht. Zu den Maßnahmen des Jugendamts gehören Hausbesuche, Kontaktaufnahme mit LehrerInnen und KindergärtnerInnen und in erster Linie der Versuch, einvernehmlich die Situation zu bessern. Doch wie man auch im Amt sagt: Sind die Eltern zu keinem Einlenken bereit, wird im Fall des Kopftuchs die letzte Maßnahme gerade bei den Jüngsten versagen – der Gang vors Gericht und die Anwendung der Gesetze.

Ein problematisches Gesetz

Rechtlich gesehen sind Jugendliche nämlich erst ab 14 Jahren religionsmündig und können dann über ihre religiöse Bekenntnis und Art der Auslebung selbst entscheiden. Davor sind die Eltern für die religiöse Erziehung zuständig. Das erfährt auch jedes Kind, das nicht (mehr) den Religionsunterricht besuchen will: „Na, du meldest dich sicher nicht ab!“ mag da die Mutter oder der Vater mitunter sagen. Und ist das Kind nicht bereits 14 Jahre alt, hat es dem Folge zu leisten. Tatsächlich verbietet der Staat Österreich es Kindern und Jugendlichen unter 14 Jahren, selbstständig über ihre religiöse Einstellung zu entscheiden und vielleicht andere Ansichten zu entwickeln als die Eltern. Der erste Satz des Bundesgesetzes über die religiöse Kindererziehung von 1985 besagt: „Über die religiöse Erziehung eines Kindes bestimmt die freie Einigung der Eltern.“ Es handelt sich also um ein Elternrecht. Das Kind muss ab dem Alter von 10 Jahren zwar „angehört werden“, die Entscheidung liegt aber allein bei den Eltern.

Verstößt die Republik damit gegen internationale Konventionen? Die Kinderrechtskonvention sagt zu dem Thema:

UNO

Haben Kinder unter 14 Jahren in Österreich eine echte Religionsfreiheit (Die übrigens ein Menschenrecht ist)? Nicht wirklich. Nach geltender Rechtslage dürfen Eltern ihr unmündiges Kind zwingen, Kopftuch zu tragen – oder, wie bei den Zeugen Jehovas üblich, keine Feste zu feiern. Oder nicht gemeinsam mit Personen des anderen Geschlechts schwimmen zu gehen. Von der Beschneidung von Buben ganz zu schweigen, die laut der Religionsfreiheit der Eltern in Ordnung geht.

Da ist es interessant, noch einmal Paragraph 3 der Bestimmung aus der Kinderrechtskonvention anzusehen. Er konkretisiert, wann Religionsfreiheit eingeschränkt werden darf: Zum Schutze der öffentlichen Sicherheit, der Gesundheit, der Sittlichkeit oder wenn sie die Grundrechte anderer verletzt. Der letzte Punkt ist dabei wichtig. Zwar balanciert das Abkommen die Rechte von Eltern und Kindern in der Religionsfrage, aber: Eingeschränkt darf das Recht auf Religionsfreiheit werden, wenn es das Recht auf Religionsfreiheit Anderer verletzt. Die Religionsfreiheit der Eltern und ihr Recht auf "Leitung" darf die Religionsfreiheit der Kinder also laut Konvention eigentlich nicht verletzen. Das tut sie im österreichischen Recht aber.

Die hiesige Gesetzgebung aus dem Jahr 1985 verstößt daher gegen internationale Konventionen. Dazu ist anzumerken, dass die Kinderrechtskonvention in Österreich keinen Gesetzescharakter hat – es gilt ein sogenannter Erfüllungsvorbehalt, das heißt, Gerichte und Behörden dürfen sich bei ihrer Arbeit nicht direkt auf die Konvention beziehen. Aber 2011 sind einige wenige Grundsätze aus der Konvention in ein Verfassungsgesetz gegossen worden. Und hier wird es spannend: Artikel 4 BVG über die Rechte von Kindern besagt: „Jedes Kind hat das Recht auf angemessene Beteiligung und Berücksichtigung seiner Meinung in allen das Kind betreffenden Angelegenheiten, in einer seinem Alter und seiner Entwicklung entsprechenden Weise.“

Man kann also argumentieren, dass das Gesetz für religiöse Erziehung dem Verfassungsgesetz entgegengestellte Bestimmungen enthält und verfassungswidrig wäre.

Konflikte eher in der Jugend

In der Praxis kennt man im Jugendamt kaum Fälle mit unmündigen Kindern, bei denen religiöse Praktiken eine Rolle spielen. Präsenter ist das Thema bei den mündigen Jugendlichen: Wenn Weltansichten der alten und der jungen Generation clashen; sich die Jugendlichen von religiösen und sozialen Normen eingeschnürt führen. Hier ist die Rechtslage eine völlig andere: Die mündigen Jugendlichen haben ihre Recht auf Religionsfreiheit, sie dürfen außerdem auch andere Entscheidungen selbst treffen und müssen ihren Eltern nicht widerspruchslos gehorchen. Wünscht sich einE betroffeneR JugendlicheR, dass das Jugendamt Maßnahmen im Familienleben anordnet, so wird dem in der Regel entsprochen.

Glossar

  • Unmündig: Personen bis zum 14. Geburtstag
  • Mündig: Personen ab dem 14. Geburtstag
  • IGGiÖ:
  • Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich. Offizieller Dachverband aller Musliminnen und Muslime.
  • Verfassungsgesetz: Ein Gesetz, das Vorrang gegenüber allen anderen staatlichen Rechtsvorschriften hat. Der Verfassungsgerichtshof entscheidet darüber, ob niedrigerstufige Gesetze verfassungswidrig sind.
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