Beim bis dato schlimmsten Rammstein-Skandal mag man vermuten, dass es sich um eine gezielte Kampagne handelt, die die Band für immer zerstören soll. Rammstein ist, wie so vieles, was bei uns kulturell erfolgreich ist, ein DDR-Produkt. Das ist in dieser Zeit ohnehin schon ein schwieriges Merkmal, vor allem, wenn man sich als prominenter Ossi weigert, bei der üblichen DDR-Hetze mitzuspielen. Die Einstellung zur alten Heimat wurde immer wieder mal in Interviews mit den Bandmitgliedern deutlich. In Russland haben sie eine große Fangemeinschaft und haben sich trotz des politischen Klimas zwischen Ost und West nicht davon abhalten lassen, dort in den letzten Jahren weiterhin aufzutreten. Ihre Sympathie zu Russland haben sie sogar in einem russisch eingespielten Titel “Lubimiy Gorod”, zu deutsch: Lieblingsstadt, bekundet.
Nun werfen mehrere Frauen dem Sänger Till Lindemann vor, sich ihnen gegenüber übergriffig verhalten zu haben. Es heißt, dass es im Vorfeld der Konzerte ein ausgeklügeltes Recruitingsystem gibt, um Frauen auszuwählen, die dem Sänger nach der Show zugeführt werden, um mit ihm Sex zu haben. Dabei sollen - so wird behauptet - Frauen mit Drogen gefügig gemacht worden zu sein. Einige beschrieben das Verhalten des Sängers als missbräuchlich und gewalttätig. Das Medienecho erinnert an Me Too. Der Diskurs emotionalisiert, ohne dass bereits irgendetwas bewiesen wäre und eignet sich dafür, das Image der Band nachhaltig zu zerstören, da es um ehrenrührige Vorwürfe geht. Prominente Beispiele aus der Vergangenheit zeigen, dass eine Karriere sicher beendet ist, wenn es sich um sexuelle Anschuldigungen handelt. Man könnte sagen: Wenn andere negative Publicity nicht ausreicht, jemanden fertigzumachen, dann tut es diese Sache bestimmt.
Gewehr bei Fuß springen jetzt Leute wie Böhmermann, Tschirner und Konsorten - sozusagen die moralische Instanz, die sich an anderer Stelle einen Dreck um Anstand und Moral kümmert - und das Urteil Richtung Till Lindemann scheint bereits gefällt.
Schenk uns bitte ein Like auf Facebook! #meinungsfreiheit #pressefreiheit
Danke!
Trotz alledem fühle ich mich nicht berufen, Band und Sänger zu verteidigen. Wenn es eine gezielte Kampagne gegen Lindemann ist, um ihm nachhaltig zu schaden, dann hat er ihr ordentlich Stoff geliefert. Das Erfolgsrezept der Band war stets, Provokation zum Kerngeschäft der Show zu stilisieren. Sie bedienten bevorzugt Themen, wie Drogen, Sex, Gewalt und machten unverhohlen ihr Geschäft damit. Vor ein paar Jahren brachten sie ein Parfüm namens "Kokain" auf den Markt, warum auch immer. Man versteht als erwachsener Mensch nicht ganz, was den 60-jährigen Rocker geritten hat, vor einiger Zeit einen Pornofilm zu veröffentlichen, in dem man ihn beim sexuellen Verkehr mit verschiedenen Frauen sehen kann. Er selber ist Vater von zwei Kindern. Die Tatsache, dass solche Grenzüberschreitungen normalisiert werden, zeigt, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der keine Verhaltenskontrolle mehr besteht.
In einer Zeit schärfster politischer Reaktion ist es das, was einem die Unterhaltungsindustrie als scheinbare Gegenkultur in Form von Aufstand oder Tumult noch bietet: Satanistische Ästhetik und Nihilismus, welche immer mehr übertrieben werden müssen, weil sie kaum noch Aufreger garantieren. Lindemann glaubt, nach eigener Aussage an die Urtriebe, zu denen er vor allem die Sexualität und die Jagd zählt. Man mag darin sehr viel Nietzsche finden. Von Karl Marx ist es weit entfernt, egal wie "links" sich solche Protagonisten geben mögen.
Mit Rebellion hat so ein Schaffen in Wirklichkeit wenig zu tun. Bereits mit der 68er Bewegung konnte das Establishment üben, die Jugend durch scheinbaren "Protest" zu kaufen und perfektionierte dieses Vorgehen durch immer wieder kehrende außerparlamentarische Organisationen bis zur heutigen "Letzten Generation".
Auftritte in Russland oder die geringe Bereitschaft, sich von der DDR-Vergangenheit zu distanzieren machen aus Rammstein noch keine Systemkritiker. Brav haben sie kürzlich den so gelabelten “Angriffskrieg auf die Ukraine” verurteilt. Vom System haben sie selber zur Genüge profitiert und ihren Kommerz ausgeschlachtet bis zum geht nicht mehr, durch absichtliche Überschreitung der Grenzen des guten Geschmacks. Daraus machten sie nie einen Hehl. Jetzt wird diese Maschinerie zu ihrem eigens erschaffenen Monster, das sie selbst verschlingt.
Wenn das bisschen Horrorshow bestehend aus Grusellyrik, donnerndem Sound, gemischt mit etwas Pyrotechnik und Teufelskostümen schon künstlerischer Aufstand ist, besteht für das System keine Gefahr. Was der erfolgreiche Rockstar des Westens stets glaubwürdig für die Fans perpetuiert hat, ist die Ausnahme von der Regel, dass es ein beliebiges Individuum an die Spitze schaffen kann. Diese am Leben gehaltene Illusion nährt Verhältnisse, die so nie gerecht sein werden, wovon auch er, der Rockstar, selbst profitiert.
Die ganze “Systemkritik” einer Gegenkultur bleibt bestenfalls nur Unterhaltung, wenn am wesentlichen Grundpfeiler, der dieses “System” stützt, nicht gerüttelt wird: Die Aussicht auf individuellen Erfolg.
Von Vorverurteilungen nehme ich Abstand. Die Band in eigenen Worten: "Wir verurteilen jede Art von Übergriffigkeit und bitten euch: Beteiligt euch nicht an öffentlichen Vorverurteilungen jeglicher Art denen gegenüber, die Anschuldigungen erhoben haben. Sie haben ein Recht auf ihre Sicht der Dinge. Wir, die Band, haben aber auch ein Recht - nämlich ebenfalls nicht vorverurteilt zu werden."