Es ist eigenartig. Außgerechnet die "Heute" verpixelte ein angebliches Portrait des mutmaßlichen Attentäters von Berlin, während ganz Europa nach Anis Amri fandete. Vielleicht handelte es sich auch nur um eines der vielen Täter-Models aus dem Archiv, mit dem das Böse lediglich angedeutet werden sollte. Das echte Abbild des Verdächtigen machte bereits die Runde. Heute ist der Flüchtige tot.

Noch mehr Unsinn ist auch keine Lösung

Als man noch den falschen Verdächtigen einvernahm, waren sich die üblichen Verdächtigen der anderen Art bereits sicher: Man müsse die deutsche Flüchtlingspolitik "überdenken" - sprich Asyl einschränken. Wessen man sich natürlich lange vor der Amok-Fahrt am Berliner Breitscheidplatz sicher war. Man kommt also mit dem Reflex einer alten Idee daher, um ein Problem zu lösen, dass nur oberflächlich etwas mit der Flüchtlingssituation zu hat. Bei Anis Amri handelt es sich um einen mehrfach verurteilten, notorischen Kriminellen aus Tunesien. Er floh gewiss vor vielen Dingen, aber nicht vor dem Krieg; im Gegensatz zu den hunderttausenden anderen Asylwerber*innen, die nicht kriminell waren, wurden oder werden.

Aber in Zeiten des "Trumpismus" (eigentlich "Putinismus", nach dem Original) muss man sich auch mathematisch fragwürdige Gleichnisse von Trump junior anhören. Wenn man eine Schüssel voller Flüchtlinge (Zuckerl) hätte und drei wären vergiftet, würde sie welche essen wollen? Es ist dem Urheber natürlich klar, dass der Vergleich unsinnig ist. Reine Propaganda. Statt vergifteten Zuckerln schluckt man Bullenexkremente ziemlich schnell.

Mit der selben Logik könnte ich vor-"rechnen": Die Mehrheit der (islamistischen) Anschläge werden in Ländern verübt, aus denen Menschen eher fliehen als in sie zu flüchten/immigrieren. Demnach würde mehr Abwanderung mehr Terrorismus bedeuten. Deshalb müssten wir dafür sorgen, dass nicht nur weniger Menschen von hier deportiert werden, sondern, im Gegenteil, mehr zu uns kommen. Wegen der Sicherheit. Ich bin so frei, diese Logik anzuwenden – das nennt man freiheitliches Denken.

Asylproblematik als Ausrede

Mit erneuten Asyl-Debatten nach solchen Anschlägen versucht man vom eigenen Versagen in einem anderen Bereich abzulenken. Der Verdächtige war in mehreren Staaten amtsbekannt. Aber die Ämter Europas (und Amerikas) sind nicht ausreichend vernetzt, um diese Informationen zu nützen. Wozu lassen wir uns eigentlich von der NSA überwachen?

Vergessen wir die fehlenden Papiere und die Regeln im Asylwesen. Es ist die Aufgabe der Geheimdienste und der Polizei, nicht die der Asylbehörden, gefährliche IS-Sympathisanten, von denen man seit Monaten weiß (oder wissen sollte), auszuschalten. Spätestens seit dem Amoklauf von München wissen wir allerdings auch, dass sogar einzelne Bundesländer innerhalb Deutschlands über kein gemeinsames, funktionierendes Sicherheits- und Informationsnetz verfügen. In Zeiten, in denen ansonsten alle irgendwie vernetzt sind!?

Nationalistisches Versagen

Schuld an der mangelnden Kooperation innerhalb Europas sind rückwärtsgewandte, nationalistische Politikerinnen und machtversessener Provinzfürsten, die jeden Fortschritt bremsen. Zwar gaffen sie alle auf die gemeinsamen Fördertöpfe der EU wie die Möwen aus „Findet Nemo“, kreisend und kreischend: "Meins! Meins! Meins!" Aber wenn es um ein politisches, soziales und sicherheitstechnisches Zusammenwachsen Europas geht, fürchten sie um ihre jeweiligen Pfründe. Dadurch hinkt die europäische Sicherheitspolitik der Bedrohungslage hinterher und ist keinesfalls zeitgemäß. Als Antwort auf die Bedrohung nun das Menschenrecht auf Asyl zu attackieren, macht die verantwortlichen Demagog*innen – vermutlich unabsichtlich – teilweise zu Gehilfen des Terrorismus.

Terroristen wissen, dass sie nicht nur generelle Angst verbreiten. Sie wissen, dass sie durch ihre Untaten die neuen Bewohner*innen, die nach Europa flohen oder immigrierten, den Generalverdächtigungen, teilweise der Wut und dem Hass der übrigen Menschen ausliefern. Dadurch trifft der Terror einerseits jene, die sich dem westlich-säkularen Lebensstil annähern und so, in den Augen der Extremisten, zu Verrätern werden. Andererseits spaltet und schwächt er unserer Gesellschaft. Es zeigt sich erneut: Die Geflohenen und wir haben die selben Feinde – gerade dann, wenn sie sich unter ihnen verstecken.

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