Postgefakte Welt? Ein Frage des demokratischen Willens

Fakten, die Post ist da!

Das "postfaktische Zeitalter" nenne ich lieber postkausal. Schließlich kann die Menschheit ihre Fakten nicht hinter sich lassen. Nur deren Wahrnehmung kann abhanden kommen. Ironischerweise gerade in einer Welt, die rund um die Uhr verinternetzt ist. Da verbergen sich die scheuen Wahrheiten in einem Schwarm an Informationen, von denen einige mehr Fake als Fakten sind. Und wir Haie, hungrig nach Wissen, kommen nicht mehr hinterher, jede Meldung zu überprüfen, zu bedenken. Wenn aber doch, dann kommt es auf die Zusammenhänge an, auf die Kenntnis von Ursache und Wirkung, um diese Daten richtig zu interpretieren.

Was man erkennen will

Was aber eine richtige Interpretation ist, hängt wiederum vom bewussten oder unterbewussten Willen des Menschen ab. Ich kann die Wahrheit nur finden, wenn ich sie wissen will. Wenn nicht, mache ich es wie Kellyanne Conway, die Ober-Interpreteuse des Oberdemagogen D.J. Trump. Sie war schon während des US-Wahlkampfes berüchtigt dafür, bei Befragungen zu den offensichtlichen Lügen ihres Chefs, sich stets in ein verbales Paralleluniversum zu schwafeln. Die Wahl gewann ihr Team dennoch. Und nun ist die gute Dame – die ihren Trump als "unpräsidentenhaft" kritisiert hatte, als sie noch für dessen parteiinternen Konkurrenten, Ted Cruz, arbeitete – die Beraterin des "mächtigsten Mannes der Welt". Gratuliere! Dem Siegergaul schaut man nicht aufs Maul.

Ergänzende Daten sind natürlich auch immer wichtig. Wenn Conway von "alternativen Fakten" spricht, könnte man auch annehmen, dass sie aus dem Nähkästchen plaudern will. Wenn man aber weiß, dass sie damit nur die Unwahrheit des offiziellen Pressesekretärs, Sean Spicer, beschreibt, die dieser der Presseversammlung im Weißen Haus (bezüglich der Zuschaueranzahl bei Trumps Angelobung) diktieren wollte...

Oder die Wahl selbst: Die hat der Lieberhaber handzahmer "Kätzchen" und fragwürdiger Geschäfte offiziell gewonnen. Man könnte also, allein aufgrund dieser Tatsache, interpretieren, dass er der beliebtere Kandidat war. Wenn man aber hinzufügt, dass Hillary Clinton eigentlich mehr Stimmen erhielt und sein Sieg nur dem eigenwilligen US-Wahlsystem zu verdanken ist, sieht die Geschichte schon wieder anders aus.

Der Lügner steckt im Detail

Die jüngere Geschichte zeigt, dass Interpretationsfehler aufgrund mangelnder Daten schnell passieren und gravierende Auswirkungen haben können. Wer hätte vor dem Brexit wissen können, auf welche Vorteile man dadurch verzichtet und wie sehr man von der EU-Mitgliedschaft profitierte? Der Nigel "Most-Punchable-Face" Farage hatte davon schließlich nichts erzählt!

Und "Obamacare", gegen das Trump unter fröhlich-aggressivem Gejohle seiner Fans wahlkämpfte? Mittlerweile – und natürlich erst, nachdem es zu spät ist – stellt sich heraus: Einige wussten nicht, dass damit der "Affordable Care Act" gemeint ist. Also der Zwang der privaten Gesundheits-Versicherungen, leistbare Angebote für Ärmere zu machen, von denen bereits 50 Millionen US-Amerikaner*innen abhängig sind. Nicht wenige von diesen dürften Trump gewählt haben.

Populismus ist das Junk-Food der Nachrichtenwelt

Die Suchmaschinen des Internets erzeugen automatisch individuell zugeschnittene Nachrichten- und Meinungsblasen. Suchergebnisse werden dem bisherigen Suchverhalten angepasst, das Programm errechnet, was wir wissen wollen könnten. Klassische Massenmedien machen das gleiche, immer schon, nur eben für die Masse und in Handarbeit zugeschnitten. Wenn also deren Schlagzeilen zum "Brexit" hauptsächlich aus den provokanten, daher medienwirksamen Auswürfen der Anti-EU-Populist*innen bestehen, wissen zwar alle sehr viel über diesen Blödsinn. Aber die meisten werden nicht eigenhändig nachrecherchieren, ob er auch stimmt oder ob bzw. warum nicht viel mehr das Gegenteil der Fall ist.

Die britischen Billig-Zeitungen können auch keine Gegendarstellung liefern, z.B. einen Sonderteil, der erklärt, was die EU eigentlich ist. Denn das könnte auf sie zurück fallen. Die Leser*innen würden sich vielleicht fragen: "Wenn DAS die Wahrheit ist, warum wurden dann diese UKIP-Schwindler jahrelang prominent abgedruckt? Als wäre das so wichtig gewesen, was die zu lügen hatten."

Ähnliches könnte man sich auch in den USA fragen: "Warum sprecht ihr ständig von "Obamacare", wenn ihr wisst, dass ich Freizeitrassist bin und Obama hasse? Wie soll ich mir denn da denken können, dass das meine Herzmedikamente sind?" Um ihre inhaltlichen Schwächen nicht noch offensichtlicher zu machen, müssen gewisse Medien diese Schwäche beibehalten. Das Niveau niedrig halten und hoffen, dass die Leute nie etwas anderes lesen werden. Sonst stellen die am Ende noch sich selbst in Frage.

Russisches Roulette der Wahrheitsfindung

Es ist nicht zu spät für diese Fragen. Denn irgendetwas kann man für die Zukunft, auch für Europa, für Österreich sicherlich lernen. Zum Beispiel: Echte Fakten, richtige Interpretation und guter Journalismus sind keine Selbstverständlichkeit, trotzdem notwendig.

Es ist bekannt, dass Billig-Zeitungen wie "Krone" oder "Österreich" immer wieder Falschmeldungen drucken (die sie, im Gegensatz zu anderen Medien, nur richtig stellen, wenn sie juristisch dazu gezwungen werden) oder wesentliche Fakten weglassen, um einem politischen Zweck zu dienen. Nicht alles ist eine Ente, aber bei dem vielen Gequake, könnte alles eine sein. Ich muss also ohnehin auf andere Medien zurückgreifen, um zu vergleichen. Sich über Nachrichten in den Boulevard-Werbeheftchen zu informieren, gleicht – wie die Gerüchteküche der "sozialen Medien" – einem russischen Roulette der Wahrheitsfindung: Man weiß nie was man kriegt und das kann zu Dachschäden führen.

Zu viel von der immer gleichen Exklusivität

Aber auch eine einseitige Fokussierung auf bestimmte Themen schränkt die Faktenlage ein, was die Zusammenhänge zu anderen Themen beschränkt, richtige Interpretation erschwert. Selbst wenn alles korrekt recherchiert würde und sich bezahlte Anzeigen von echten Nachrichten auseinanderhalten ließen: Wer beim Journalismus spart, spart auch bei inhaltlicher Vielfalt und Tiefe.

Schneller Billig-Journalismus zwingt dazu, exklusive Informationen von lokalen Bekanntschaften, von immer gleichen oder ähnlichen Orten, anzuzapfen. Man muss Routinen entwickeln, hat eventuell keine Zeit zur Überprüfung. Die übrigen News holt man sich dort, wo sie auch die anderen „googeln“. Auch dadurch erhält man immer die gleichen Perspektiven und Themenschwerpunkte. Die liegen dann meist fliegengewichtig auf der Oberfläche.

Geld, Zeit und Wille zur Demokratie

Natürlich müssen auch kleine Qualitäts-Zeitungen wie der Falter mit wenig Geld auskommen - zumal dieser weniger Anzeigen im "öffentlichen Interesse" schaltet. Dennoch gelingt es ihm, einflussreichen Investigativ-Journalismus zu machen. Der ist also ebenfalls eine Frage des Willens.

Was die Überwindung der Postkausalität von uns verlangt, ist daher nicht nur nur mehr Geld für Qualitäts-Journalismus auszugeben. Genauso wichtig ist Zeit. Die brauchen wir, um uns mit Medien und ihren Inhalten kritisch auseinander setzen zu können. Gute Zeitungen zu kaufen unterstützt das mediale Artenschutzprogramm. Man muss sie aber auch lesen, das schützt uns alle.

Demokratie ist ein Luxus-System. Guter

Journalismus ist sein Pflegemittel, das von der Öffentlichkeit benützt werden muss. Das ist eine Frage des demokratischen Willens.

WikiCommons Mark Dixon https://www.flickr.com/photos/9602574@N02/32409718206/

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