„um uns ins Gedächtnis zu rufen, was wir nie hatten vergessen dürfen: nämlich, dass die Geschichte nicht, wie viele Schulbücher glauben machen möchten, eine diskontinuierliche Reihe von Daten, Verträgen und aufsehenerregenden Schlachten ist (…), sondern, im Gegenteil, etwas Grenzenloses, und zwar nicht nur in der Zeit (…), sondern auch in ihren Wirkungen grenzenlos (…).“ (Claude Simon, Das Gras)

Oder gehören Sie gar nicht zu den Honkas? Eher zu den Haarmanns? Oder doch zu (in Germany before the war) den Kürtens? Am wahrscheinlichsten ist allerdings, dass Sie zur Familie der Nazis gehören, dass Sie also diese brutalen Mörder und ihre Helfershelfer als gespenstische Vorfahren haben, die Sie zwar in den seltensten Fällen persönlich kennengelernt haben, die Ihnen aber doch ein merkwürdiges Gefühl vermitteln: So ist es also, einen skrupellosen Menschen im Stammbaum zu haben. Das ist kein schönes Gefühl, vor allem ist es kein Grund, darauf stolz zu sein, „Stolzkult“ verbietet sich. Lassen Sie sich aber nicht einreden, Ihr Interesse für Ihre blutrünstigen Verwandten sei unangebracht, gleichsam eine religiöse Handlung, „Schuldkult“, der von einer „Schuldindustrie“ angetrieben werde. Es ist nicht mehr als ein zivilisatorischer Minimalkonsens, dass man sich mit dem, was in der eigenen Familie vorgefallen ist, befasst. Nutzen Sie auch die Gelegenheit und schauen Sie sich die Mordstätten an: Sie wurden recht bald errichtet, nachdem Rechtsextreme mit Unterstützung von Konservativen an die Macht gekommen waren.

(Und lesen Sie die Stolpersteine, auch wenn es sich um leere Spiegel handelt: Man weiß zwar, dass dort ein Opfer wohnte, wo aber lebten die Täter? Bleibt ein Hinweis auf Jakob R. nicht unvollständig ohne eine Erinnerung an Wilhelm H., den Polizeibeamten mit niedriger Mitgliedsnummer, der 40 Jahre nach Jakob R., den er erschoss, friedlich im Bett starb? Millionen neue Stolpersteine, diesmal für die Täter – kann man das schaffen? Ich bitte darum.)