Angesichts der widerwärtigen rassistischen Geschehnisse im sächsischen Heidenau empfindet Jakob Augstein in seiner Kolumne »Im Zweifel links« tiefes Mitleid. Mitleid, wohlgemerkt, mit denjenigen, die da auf die Flüchtlinge losgehen und nur mit Mühe am Pogrom gehindert werden können. Denn sie sind für den Verleger und Publizisten, der ein knappes Viertel der Anteile am »Spiegel« hält, Ausgegrenzte, »die dienstbaren Deppen des Systems«, Opfer der »neoliberalen Globalisierung«, im Stich gelassen von einer Sozialdemokratie, »die sich von der Arbeiterklasse abgewendet hat«. Arme, benachteiligte, bedauernswerte Geschöpfe also. Und »je weniger Anerkennung ein Mensch selbst erfährt, desto weniger kann er für andere Menschen aufbringen«, wie der Küchenpsychologe zu wissen glaubt. Soll heißen: Die Leute können gar nix dafür, wenn sie rechtsradikal werden und danach trachten, andere totzuschlagen, es ist nicht ihre Entscheidung, sondern gewissermaßen ein systembedingter Automatismus, weshalb sie für ihre Taten auch nicht verantwortlich zu machen sind.

Adorno wusste noch, dass es auch im Stande der Unfreiheit die Freiheit gibt, »sein Denken und Handeln so einzurichten, dass Auschwitz sich nicht wiederhole, nichts Ähnliches geschehe«. Augstein dagegen willvon diesem kategorischen Imperativ nichts wissen, und schlimmer noch: Mit seinem Vulgärmarxismus spricht er ihm Hohn. Eine »zunehmend ungerechter werdende Gesellschaft«, für ihn die »Wurzel des Problems«, dient ihm zur Viktimisierung jenes enthemmten Pöbels, der im kollektiven Angriff auf die als »Untermenschen« ausgemachten Flüchtlinge seine Triebabfuhr sucht. Die volksgemeinschaftliche Wut dieses Mobs kann Augstein nachvollziehen, er würde sie lediglich gerne auf ein anderes Ziel lenken: »Die Leute im Osten«, empfiehlt er, »sollten sich in die Demonstrationen gegen die Banken einreihen – nicht in die gegen Ausländer«. Dann werde aus »Wir sind das Pack« auch wieder »Wir sind das Volk«.

Das ist nichts anderes als ein Aufruf zum nationalen Sozialismus, ein Appell zur Bildung einer Querfront, wie sie von Jürgen Elsässer, Ken Jebsen und anderen deutschen Denkern schon länger begrüßt wird. Die Banken, vulgo: das Finanzkapital als Quelle allen Übels – diese Weltanschauung ist tatsächlich mainstreamkompatibel und fester Bestandteil eines Populismus, den Augstein als »Strategie des Widerstands« ausdrücklich befürwortet. Dass ein solcher regressiver Antikapitalismus – der die Welt in »Ehrliche« und »Gierige«, in »gute Arbeit« und »schlechtes Kapital«, in »schaffend« und »raffend« einteilt – untrennbar mit dem antisemitischen Ressentiment verbunden ist, wird Augstein dabei nicht weiter stören. Schließlich hat er schon seine wohlverdiente Nominierung in die »Top Ten Anti-Semitic/Anti-Israel Slurs« des Jahres 2012 durch das Simon Wiesenthal Center schadlos überstanden – mit freundlicher Unterstützung durch das deutsche Feuilleton.

Was nun die Horden von Heidenau, Freital und anderen deutschen Käffern betrifft, in denen die von Augstein Umworbenen im versuchten Pogrom zu sich selbst finden, sei an etwas erinnert, das Wiglaf Droste zu seinen besseren Zeiten vor mehr als zwanzig Jahren schon gesagt hat: »Nazis sind Nazis, weil sie welche sein wollen« – und nicht, weil irgendwelche Verhältnisse sie dazu gezwungen haben. »Das Schicksal von Nazis ist mir komplett gleichgültig«, so Droste weiter; »ob sie hungern, frieren, bettnässen, schlecht träumen usw. geht mich nichts an. Was mich an ihnen interessiert, ist nur eins: dass man sie hindert, das zu tun, was sie eben tun, wenn man sie nicht hindert: die bedrohen und nach Möglichkeit umbringen, die nicht in ihre Zigarettenschachtelwelt passen. Ob man sie dafür einsperrt oder sie dafür auf den Obduktionstisch gelegt werden müssen, ist mir gleich.« Wie wahr.

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