Vorweg eine Klarstellung: Vier Jahre Arbeit an einer Dokumentation über Menschenhandel („Fatal Promises“) haben mich allergisch gegen die Verwirrung von Begriffen gemacht. Und diese Empfindlichkeit bricht jetzt bei mancher medialer Behandlung der Flüchtlingskrise voll aus.

Die Gleichsetzung von Schlepperwesen, auch einem Milliardengeschäft, mit Menschenhandel, einem Geschäft von mindestens 32 Milliarden Dollar pro Jahr weltweit und lukrativer als der illegale Waffenhandel, kommt einer Verharmlosung der schwersten Verletzung der Menschenrechte, der modernen Sklaverei, gleich.

Und zwar aus folgendem Grund: In der öffentlichen Wahrnehmung sind Menschen, die freiwillig für den illegalen Transport von einem Land in ein anderes hohe Summen bezahlen, selbst dafür verantwortlich, wenn sie Geld verlieren und/oder ihr Ziel nicht erreichen. Schlepper werden als Kriminelle gesehen, Menschen, die sie anheuern, als Illegale mit hohem Risiko und irgendwie in Komplizenschaft mit den Schleppern. Diese Sicht der Dinge erspart Empathie. Selbst schuld, oder so ähnlich. Schlepper entlassen im Zielland oder auf dem Transportweg ihre „Kunden“ in der Regel in die (ungewisse) Freiheit. Geschleppte Menschen können sich in den meisten Fällen danach frei bewegen und ihre weiteren Wege und Aufenthaltsorte selbst bestimmen.

Schlepper werden mitunter zu Menschenhändlern, haben aber grundsätzlich ein anderes „Geschäftsmodell“: Einmalzahlungen für Transport, ob sie ihren Teil des „Handels“ schließlich einhalten oder nicht – wie im Fall der 71 Toten auf der A 4 im Sommer.

Menschenhändler operieren anders – mit Kauf der „Ware Mensch“ von willigen Verkäufern, mit Täuschung, falschen Versprechen auf Arbeit und ein besseres Leben, mit Umsorgung und oft auch mit „Liebe“. Sie transportieren ihre Opfer unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in Situationen, in denen sie diese fortgesetzt ausbeuten können. Sie nehmen Papiere ab, schüchtern ein, wenden Gewalt an, um so die getäuschten Opfer gefügig zu machen. Von Einmalgewinn ist da keine Rede mehr. Opfer werden immer wieder verkauft – bis sie in der Sexindustrie und/oder bei der Sklavenarbeit wertlos geworden sind. Im wahrsten Sinn des Wortes. Von Zahlungen und Schulden erfahren die Opfer überhaupt erst in Situationen, in denen keine freie Entscheidung mehr möglich ist.

Man muss nicht unbedingt ein unverbesserlicher Zyniker sein, um zu wissen, dass Polizei, Justiz, Behörden in allen europäischen Ländern eher Schleppern denn Menschenhändlern das Handwerk legen möchten. Erstens wird man ihnen eher habhaft, der Aufwand ist weniger groß. Zweitens aber ist in dem sogenannten Palermo-Protokoll der UNO aus 2000 genau festgelegt, welche Rechte und Ansprüche anerkannte Opfer von Menschenhandel haben. Und dieses Protokoll wurde von 135 Staaten unterzeichnet, was allerdings nichts über ihren Umgang damit aussagt. Jedenfalls sind Schutz und Behandlung der Opfer von Menschenrechten genau beschrieben. Damit ist das Sozialsystem der Staaten gefordert und nicht nur – wie im Schlepperwesen – hauptsächlich das Rechtssystem. Und Auswirkungen auf Sozialsysteme sind in allen europäischen Staaten unpopulärer als Konsequenzen im Justizsystem.

Das besonders Tragische an der Flüchtlingskrise ist in diesem Zusammenhang, dass so etwas wie eine Interessensgemeinschaft zweier krimineller Organisationen entstanden ist – Schlepper und Menschenhändler zum beiderseitigen Milliardenvorteil. In einer Zeit, in der Europol und UNHCR von 10.000 verschwundenen minderjährigen Flüchtlingen spricht und davon, nicht zu wissen, wo sie sind, mit wem sie sind oder was sie tun, decken sich die Geschäftsinteressen von Schleppern und Menschenhändlern: Die einen bringen die Menschen illegal in ein Land, die anderen können sie „anwerben“, in die Prostitution (und nicht nur Frauen und Mädchen) oder in die pädophile Szene oder in die Arbeitssklaverei verkaufen. Hinzu kommt noch legal das Millionen-„Menschenmaterial“ der Flüchtlingsströme. Menschenhändler haben in dieser Situation weder ein Problem mit Nachschub noch mit Nachfrage – in Europa wohlgemerkt! Je größer das politische Vakuum, je geringer der politische Wille zur Nachforschung desto mehr floriert das Geschäft mit der Ware Mensch.

In Österreich will man nicht wissen, wohin im Vorjahr 800 minderjährige Flüchtlinge verschwunden sind. Kein Wunder. Wie eine Asylbetreuerin im ORF-Report sinngemäß meinte: Jedes verschwundene Kind ist ein Betreuungsfall für die Behörden weniger. Es wird erst gar nicht der Versuch einer Nachforschung unternommen.

Je verwirrender die Situation, desto bequemer die Ausreden und das Abschieben von Verantwortung. Eine exakte Trennung der Begriffe und ihre korrekte Verwendung wäre schon ein Anfang für mehr Klarheit – mit den entsprechenden Konsequenzen.

http://www.fight-human-trafficking.org/palermo-protokoll/

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