Lernen von Tom Neuwirth

Die Hysterie ist vorüber.  Wien kehrt vom Ausnahmezustand des Song Contests in die gemütliche Normalität zurück. Der Fauxpas des ORF, Conchita Wurst per Werbung und News im Finale auszublenden, wird auch bald vergessen sein. Bleiben könnten aber einige erstaunliche Lektionen vor allem für junge Österreicher.

Denn Doris Knecht hatte völlig recht, als sie in ihrer Kolumne im „Kurier" schrieb: „Das ganze Jahr über. . . hat Conchita nicht einen Fehler gemacht. In Tausenden Interviews hat sie kein einziges Mal etwas Ungeschicktes oder Dummes gesagt, sie wurde, obwohl es fraglos ein unendlich anstrengendes und stressiges Jahr für sie gewesen sein muss, nicht ein Mal bei einer Unfreundlichkeit ertappt, und man nichts gesehen, nichts gehört und nichts gelesen von Arroganz oder auch nur allerkleinsten Allüren."

Das stimmt alles, aber genau genommen, sollte man einmal Conchita Wurst vergessen und an Tom Neuwirth denken. Denn der junge Mann hat, so viel man weiß, diese Kunstfigur auf eine Art und Weise geschaffen, die sich so mancher Österreicher zu Herzen nehmen sollte -  auch oder vor allem weil sie so untypisch österreichisch sind.

Hier sind fünf Dinge, die Junge von Tom Neuwirth lernen können:

  • Ein ganz konkretes Ziel definieren und es penibel strategisch planen. Wie kann es erreicht werden? Welche Schritte sind notwendig? Das ganze Getöse der Umgebung von „zu ehrgeizig", „zu schwierig", „unmöglich" einfach ausblenden. In Österreich sind die meisten Menschen ganz schnell mit negativen Ratschlägen zur Stelle und im Erfinden von Hindernissen sehr fantasievoll.
  • Nie aufgeben. In einem Land wie Österreich, das keine Kultur des Scheiterns kennt und in dem jeder Rückschlag als finaler Beweis des Geht-Nicht-Kann-Nicht angesehen wird, bekommt sogar ein so abgedroschener Satz wie „Es ist nicht wichtig, wie oft Du hinfällst, sondern wie oft Du wieder aufstehst" eine besondere Bedeutung.
  • Notwendige Fähigkeiten erwerben. Tom Neuwirths englische Sprache zum Beispiel muss das Produkt einer ganz besonders intensive Anstrengung sein.  So akzentfrei und natürlich zu sprechen lernt man nicht nebenbei – schon gar nicht in einem Land, in dem der Bundeskanzler dem Vernehmen nach nur widerwillig bis gar nicht Termine mit ausländischen Besuchern wahrnimmt, weil sein Englisch nicht adäquat ist. Es ist kein Politiker in Erinnerung, der Englisch so beherrscht wie dieser junge Mann aus Bad Mitterndorf.

Dazu kommt die perfekte Bühnenpräsenz, die ebenfalls nur mit ausdauerndem Training erworben werden kann.

  • Talent allein genügt nicht. In allen einschlägigen Büchern wird betont,  dass sich Erfolg in keinem Fall mit Talent begründen lässt. Gefragt nach dem Geheimnis erfolgreicher Personen, hatte ein amerikanischer Experte nur ein Wort parat: „Grit", was sich mit Mut,, Entschlossenheit, Mumm und wohl auch mit Ausdauer übersetzen lässt. „Grit", so meinte er, sei das Zauberwort.  Wie viele Talente sind schon am Mangel an „Grit" gescheitert?
  • Sich immer wieder neu erfinden wollen.  Ständig die eigene Komfortzone verlassen, sich mit Neuem konfrontieren, Risken eingehen, Konkurrenz nicht fürchten. Tom Neuwirth ist ein solches Risiko eingegangen als er bei „Opera meets Pop" in der Wiener Staatsoper aufgetreten ist. Es hätte neben Opernsängern wie Juan Diego Flórez schlimm ausgehen können. Ist es aber nicht.

Und ja, aus das noch könnten Junge bedenken, wenn sie demnächst wieder einen Conchita Wurst Song hören: Es kann in der Welt von heute nicht schaden, des Hochdeutschen mächtig zu sein. Aber vielleicht ist das im Land der Gabaliers zu viel verlangt.

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