Woher kommt der hype um die Homophobie?

Warum wird eigentlich angeblich alles besser, wenn die sog. Homophobie verschwindet? Wie kommt es, daß sich die sogenannten Qualitätsmedien in dieser Frage total einig sind?

Bist du schon queer oder denkst du noch?

Woher das Geschwätz von der angeblichen Homophobie kommt, ist nun wirklich kein Geheimnis, denn feministische Theoriebildung kann von offenbar auf zwei verschiedene Weisen erfolgen:

(A) Sie analysiert und erklärt die Intuitionen und ihre Folgerungen. Dann geht demnach es nicht um die Frage, ob der Feminismus recht hat, sondern wie man sich erklären kann, daß er recht hat.

(B) Sie begründet, daß die Realität wirklich so beschaffen ist, wie es der Feminismus behauptet.

Und seit durch den literarischen Feminismus von Simone de Beauvori die zweite Welle des Feminismus eingeläutet wurde, lautet die Grundintuition jedes Feminismus:

1) Das Geschlecht strukturiert die privaten Beziehungen und die Gesellschaft hierarchisch zu Ungunsten der Frauen, so daß die Befreiung der Frau ist die zentrale Aufgabe jedes Feminismus ist.

2) Männliche Macht und Herrschaft beruhen aber auf einem Betrug, dessen Mittel die einseitige, unberechtigte Abwertung alles Weiblichen ist. Daher gibt es ein objektiv richtiges und deshalb für alle verbindliches, moralisches Gebot, die Nachteile von Frauen zu beseitigen und die weibliche Befreiung zu fördern.

Sowas nennt man auch eine soziologische Konflikttheorie und z.B. Radikal-, Differenz-, psychoanalytischer oder sozialistischer Feminismus sind nicht etwa verschiedenen Sorten von Feminismus, sondern nur verschiedene Varianten dasselbe Problem unter (A) zu lösen. Ich werde der Kürze halber von der feministischen Sozialtheorie sprechen.

Für zwei andere, relativ neue Varianten, die erklären sollen, wie es möglich ist, daß der Feminismus recht hat, nimmt die Homophobie eine Schlüsselstellung ein: für den poststrukturalistischen Genderfeminismus a la Butler und die Queer Theory.

Zwischen Moderne und Postmoderne: der Genderfeminismus

Die erste Variante eines nicht-poststrukturalistischen Genderfeminismus geht zurück auf das Buch von Kessler & McKenna in Gender: An Ethnomethodological Approach. (1978). Lange vor J. Butler unterschieden sie unter Rückgriff auf Garfinkel in Studies in Ethnomethodology (1967) das biologische (sex) vom sozialen Geschlecht (gender), von dem sie bereits auch behaupteten, daß es eine soziale Konstruktion, ein arbiträres Kulturprodukt sei. Kessler & McKenna interessierten sich dafür, auf welcher Basis die gender Attribution erfolgt, wenn die primären Geschlechtorgane oder der Körperbau verdeckt sind. Hier interessierte sich Feminismus erstmals für Transsexuelle und sein Ergebnis ist heute als "Doing Gender" bekannt. Gleichzeitig entstanden erste Zweifal daran, daß es nur zwei Geschlechter geben könne, da weder die genetische, noch die anatomische, noch die hormonelle Verfassung eines Menschen in jedem Fall eine trennscharfe Klassifikation in Mann und Frau zulasse. Kessler & McKenna behaupteten, daß eine Dichotomie der Geschlechter eine Hierarchisierung in der Gesellschaft herbeiführe und nur ihre Auflösung in mehr als zwei Geschlechter folglich eine Chance auf Geschlechtergleichheit böte.

Diese Trennung von sex und gender wirft erstmals die Frage auf, wie die soziale Realität überhaupt konstruiert wird und dies gab der Idee, daß die angeblich wissenschaftlichen Belege über eine Unterlegenheit der Frau entweder auf eine falsche Wissenschaftspraxis zurückzuführen sei (Harding: Feminism, Science and the Anti-Enlightment Critiques, 1990) oder aber wissenschaftliche Wahrheit generell durch Macht korrumpiert und daher keinerlei Ojektivität möglich sei, neuen Auftrieb. Für letztere Option griffen die Feministen auf den epistemischen Relativismus, wie er von analytischen Philosophen wie Feyerabend, Kuhn und Rorty vorbereitet worden war, zurück: Die Idee einer frauenfeindlichen Wissenschaft wurde dadurch populär durch Jane Flax in Postmodernism and Gender Relations in Feminist Theory (1990) vertreten (anti-aufklärerischer Genderfeminismus). Hier wird auch erstmals das Paradigma der Moderne verlassen und die Postmoderne als Schablone benutzt, um die alten feministischen Intuitionen, die auf Simone de Beauvoir zurückgehen, politisch zu interpretieren.

Die historisch nachfolgende Ideologievariante, der poststrukuralistische Genderfeminismus in Butler 1990, koinzidiert fast völlig mit dem anti-aufklärerischen Genderfeminismus von Jane Flux, verändert aber demgegenüber vier wesentliche Aspekte: Erstens stützt Butler ihre feministische Aufklärungskritik direkt auf auf den philosophischen Poststrukturalismus nach Lyotard und sie benutzt insbesondere Foucaults Machtanalyse zur Erklärung der Entstehung von Weiblichkeit. Zweitens wechselt sie das traditionelle feministische Subjekt aus: Es soll nun keine Frauen mehr geben, denn die Geschlechteridentität sei ja sozial konstruiert (in Abhängigkeit anderer Kategorien wie Rasse, Klasse, Ethnizität oder Nationalität) sowie kontextabhängig fließend - womit sie das von Kessler & McKenna entwickelte Doing Gender ertsmals in einen poststrukturalistischen Zusammenhang einbettet. Drittens behauptet sie, allein das heterosexuelle Begehren rufe die asymmetrische Geschlechterdichtomie hervor - was später zur Verwechslung von sexueller Neigung und biologischer Funktion führte. Und viertens ist sie der Meinung, daß die Idee der personalen Identität sowieso Unsinn sei, da Subjekte durch Sprachspiele im Sinne Wittgensteins und Austins festgelegt würden (Butler 1997) - was zum feministischen Sprachidealismus führte und die Einführung einer gegenderten Sprache zur Frage der asymmetrischen Geschlechterrollenperpetuierung erhob. Und ohne feste Subjekte kann es natürlich auch keine Geschlechterdichotomie und keine Geschlechterhierarchie mehr geben. Man spricht statt vom poststrukturalistischen Genderfeminismus auch von einem dekonstruktivistischen Feminismus, der den sog. gender realism, die These, daß die Erfahrungen aller Frauen als Frauen vergleichbar seien, endgültig aufgibt und damit die dritte Welle des Feminismus initiiert (Spelman, Inessential Woman, 1988).

Queer ist auch nicht wirklich anders als Sozialdarwinismus

Die zweite Variante besteht darin, die feministische Sozialtheorie ohne eine Benutzung des Machtbegriffs aufzubauen und stattdessen direkt auf die auf de Beauvoir und Foucault zurückgehende - und von Butler weiterentwickelte - Idee einer auf Normen beruhenden Weiblichkeit zu setzen.

Dieser Zugang hat daher auch mit einer geschlußfolgerten Existenz eines Patriarchats innerhalb einer Gesellschaft nichts mehr zu tun, diese Vorstellung wird hier als veraltet angesehen und aufgegeben.

Indem man sich nun via Normbenutzung völlig gegen biologistische Angriffe, i.e. Vorgaben für den Unterschied zwischen den Geschlechtern durch biologische Tatsachen immunisiert und damit die antifeministische Relevanz des Biologismus auf Null zurückstuft, besteht diese Variante darin, auf sozialen Normen beruhende Privilegien für Geschlechter empirisch nachzuweisen, um erst daraus zu folgern, daß die normativen Strukturen einer Gesellschaft zu einer Besserstellung nur einer soziologischen Geschlechterklasse führt.

Gegenüber seinem systematischen Vorläufer, dem poststrukturalistischen Genderfeminismus, hat das z.B. für die auf strikte Identitätspolitik festgelegte Queer Theory den Vorteil, daß man den ganz offensichtlich bei Homosexualität versagenden genderfeministischen Ansatz, daß gerade das heterosexuelle Begehren das asymmetrische Geschlechterverhältnis erzeuge, durch Ablehnung der sog. Heteronormativität auf mehr als zwei Geschlechter verallgemeinern kann. Zweitens können z.B. Schwule und Lesben infolge einer angeblich eigenen Lebensweise als ethnische und marginalisierte Minderheit etabliert werden. Das macht Sexismus zu einem Unterfall von Rassismus, was politisch sehr günstig ist. Wesentlich ist, daß die Queer Theory die Sexualität selbst als soziales Konstrukt ansieht (Halperin 1995) - ohne dabei auf den Widerspruch einzugehen, der dadurch entsteht, daß Schwule sich nicht einfach entscheiden können, plötzlich heterosexuell zu sein.

Das alles macht nicht nur die Einführung des Konzeptes der Intersektionalität nach Crenshaw in Demarginalizing the Intersection of Race and Sex (1989) als Folge eines genderfeministisch relevanten mismatches von sex, gender und sexuellem Begehren sehr viel einfacher, sondern erlaubt es auch, zusätzlich zu der Unterdrückung der Frauen ihre Abwertung als altes Thema aus dem literarishen Feminismus von Simone des Beauvaoir im Gewand des Klassismus neu zu etablieren. Slut walks oder safe spaces gehen hierauf zurück.

Feministische Phänomene im Alltag

Wenn Feministen etwas nicht wollen, dann daß ihre Theorien und ihre politischen Aktionen in einen Zusammenhang gebracht werden. Denn das bedeutet Aufklärung und Aufkärung war für diejenigen, die bereits die gesellschaftliche und politische Macht erobert haben, noch nie von Vorteil.

Hier sehen wir, daß die feministische Praxis aus Aktionen mit ganz unterschiedlichem theoretischen background gebildet wird. Zwar gibt es auch innerfeministische Auseinandersetzungen, aber offenbar ist man sich in der Praxis soweit pragmatisch und einig, daß am Ende nur das Ergebnis zählt: Den gesellschaftlichen Diskurs in seinem Verlauf zu dominieren und die Themen vorzugeben, mit deren Hilfe die gesellschaftliche Kooperation gesteuert wird. Und daß Feminismus vor allem eine ganz pragmatische Machtbewegung ist, verträgt sich ja auch hervorragend mit der feministischen Sozialtheorie, die in der gesamten zweiten und dritten Welle des Feminismus geteilt wird. Nur in der dritten Welle nennt man das nicht mehr Patriarchat.

Daher ist der Kampf gegen Homophobie für Feministen immer auch ein Kampf gegen DAS gesellschaftskonstituierende Ordnungsprinzip. Und es ist für Feministen dieser coleurs einfach unverstellbar, daß eine Gesellschaftsrevolution ausbleibt, sobald die 4% Homos in jeder Hinsicht den Heten gleichgestellt sind.

Die sogenannten Qualitätsmedien schwimmen ganz offensichtlich im Kielwasser der einen oder anderen feministischen Ideologie - sonst könnte diese Einigkeit wohl kaum hergestellt werden. Ob sie soweit nachgedacht haben, daß ihnen das klar wird, weiß ich natürlich nicht.

Wer jetzt aber glaubt, daß die Schwulenfrage als eine Art experimentum crucis fungieren könnte, als Fall, in dem die Konfrontation mit der Realität die o.g. feministischen Theorien zur Strecke bringen könnte, weil man merkt, daß der Wegfall jeglicher Homophobie zwar für die einzelnen Schwulen, nicht aber für die Gesellschaftsstruktur einen Unterschied macht, der glaubt vermutlich auch noch an den Osterhasen.

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