Warum ersticken die nicht an ihren Worten?

Bei Parteitagen, gleich welcher Farbe, infizieren sich die Funktionäre immer mit dem eigenen  Schmäh. So war auch dieser Programmparteitag der ÖVP der „offenste“, der „positivste“, der „tollste“, den es je in der Geschichte gegeben hat, so jedenfalls die offizielle Lesart. Das Hochgefühl sei den Delegierten unbenommen. Es wird rasch genug wieder verfliegen.

Dennoch ist dieses Mal etwas besonders aufgefallen, was wahrscheinlich daran liegt, dass man mit einem halbwegs intaktem Gedächtnis einfach nicht vergessen kann, dass die ÖVP nächstes Jahr 30 Jahre ununterbrochen an der Regierung sein wird. Was aufgefallen ist? Alle von den Landeshauptleuten angefangen bis einem Unternehmer aus dem Pongau, jung und alt, beklagten den Regulierungswahnsinn und die Bürokratie und erhoben generell Forderungen in einer Art, die vermuten ließ, die Partei hätte die letzten Jahrzehnte im Wachkoma verbracht. Übrigens: Besagter Unternehmer, Nick Kraguljac, hatte mit der Aussage: „Die Steuerreform, wie sie jetzt vorliegt, ist ein Schaß“ seine 15 Minuten Ruhm. Auch bezeichnend!

Jedenfalls drängte sich dieses Mal öfter als an anderen Parteitagen die Frage auf: Warum ersticken die nicht an den eigenen Worten? Das begann schon bei der Brandrede, die Seniorenbund-Obmann Andreas Khol gegen die Wahlrechtsfantasien der Jungen ÖVP hielt: Schwarz-Blau sei „die beste Regierung seit Julius Raab gewesen“.  Ehrlich? Wer kommt für den Milliarden-Schaden der Hypo Alpe Adria auf, der so und in diesem Ausmaß nur durch ein Versagen der Kontrollinstanzen im Bund und politisch bedingte Blindheit der  schwarz-blauen Bundesregierung entstehen konnte. Das ist keine Unterstellung, das ist amtlich durch den Bericht der Griss-Kommission und des Rechnungshofs.  Die beste Regierung seit Julius Raab (1953-1961)? Und sie kostet die Steuerzahler acht, zehn, 14 Milliarden Euro?

Man mag zu den Entscheidungen in den schwarz-blau-orangen Jahren stehen wie man will und etliche auch für gut befinden, aber den ersten Akt des Hypo-Dramas zu verschweigen und Wolfgang Schüssel mit Julius Raab gleichzusetzen kann nur der Selbstinfizierung mit dem eigenen Schmäh geschuldet sein. Anders ist es nicht zu erklären.

So ging das dann weiter mit den Beschwörungsformeln was in diesem Land alles „nur mit der ÖVP“ zu erreichen und was nur von dieser Partei zu erwarten sein werde: Nur sie werde den Bürgern ungehinderte Entfaltung ermöglichen, sie zu Leistung und Eigenverantwortung animieren etc. Wovon war da die Rede? Gleichzeitig quälen sich junge Menschen mit der überbordenden Bürokratie ab, wenn sie ein Unternehmen gründen wollen. Gleichzeitig werden junge Selbstständige  von unzähligen Abgaben und immer neuen Kosten am Fortkommen behindert. Gleichzeitig wird ihnen ein ganzes Geröll an Steinen in Form von Vorschriften und Gebühren in den Weg geworfen.

Ein Redner beklagte, dass es in Österreich Wochen, wenn nicht Monate dauern würde bis die Genehmigung zu einer Unternehmensgründung vorliegt – in anderen Staaten nicht einmal einen Tag. Diese Klage hört man ewigen Zeiten. Unvergesslich bleibt das Jammern des ehemaligen ÖVP-Chefs und Finanzministers Wilhelm Molterer in Erinnerung als er nach seinem Ausstieg aus der Politik ein Unternehmen gründen wollte: Ein Wahnsinn sei das, klagte er, so schrecklich kompliziert. Molterer war ehrlich erschüttert.  Auf die Idee, dass er das ja als Finanzminister hätte ändern können, schien er gar nicht gekommen zu sein. Auf den entsprechenden Hinweis reagierte er überrascht.

Eine ähnliche Diskrepanz zwischen Wort und Tat tauchte auch bei Wirtschaftspräsident Christoph Leitl am ÖVP-Parteitag auf: Die Verwaltung müsse bürgernäher werden, sie müsse begleitend, nicht bestrafend sein. Schöne Worte, aber wieso stellte niemand der Anklagenden den Bezug zu Realität her? Oder gar ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner selbst, der auch am Parteitag wieder von der „Kriechspur“ der österreichischen Wirtschaft redete und nicht mit einem Wort Bezug darauf nahm, dass das Land unter seiner Wirtschaftsverantwortung dorthin gelenkt wurde. Glaubt er wirklich, die Bürger merken das nicht?

Der Philosoph Konrad Paul Liessmann empfahl der ÖVP am Mittwoch mehr Ehrlichkeit.  Wie toll wäre es daher gewesen, wenn irgendein ÖVP-Redner gesagt hätte: Sorry, Leute, wir sind auch verantwortlich dafür, dass die Stimmung im Land so schlecht ist  und uns der Unternehmergeist fehlt (© Mitterlehner). Oder: Auch wir behindern und verhindern mehr als wir ermöglichen.

Dann wäre es zwar noch immer nicht der „tollste“ Parteitag gewesen, aber wenigstens ehrlicher und weniger scheinheilig als andere.

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