Adventgeschichte: Das gewebte Bild (24): Eine gesegnete Nacht

Gehörte nicht dieser Tag zu jenen, von denen sich die meisten alles erwarten und letztendlich so wenig eingelöst finden? Aber ist es denn verwunderlich? So viele Vorbereitungen werden, so viel Zeit, Mühe und Geld investiert. Da muss es doch etwas ganz Besonderes werden. Verdammt noch mal, und wenn es nicht freiwillig geschieht, dann muss man eben gewaltig nachhelfen. Nach all dem Stress sollte dann, wie von Engeln geschickt, der himmlische Frieden über die Häuser fallen, in die Häuser, in die Menschen, in die Herzen. Bestimmend in den letzten Tagen war zwar die Hektik. Alle waren mürrisch und gereizt und überstrapaziert, aber der Abend, der sollte dann gefälligst all die Mühen belohnen. Hatte man die Kinder am Tag zuvor noch angeschrien. Seis drum. Sie bekämen ja viele, viele Geschenke. Hatte man sich über den Partner geärgert und sich schmollend zurückgezogen. Seis drum. Man liebte sich ja. Jeder müsste das verstehen, dass man eben ein wenig angespannt war. Und da war ja noch das Verzeihen. Jeder hatte mir mein schreckliches Betragen zu verzeihen. Rasch noch den Christbaum aufgeputzt. Durch die Läden zwängen, vorbei an vielen anderen hastenden Menschen, die – so wie man selbst – beim kleinsten Anlass in die Luft gingen. Geschenke, in letzter Minute für die Urstrumpftante oder den Großneffen, die man doch sonst das ganze Jahre nicht zu Gesicht bekam. Aber die Familie, die ist schließlich das Beste. Da ist man zu Hause. Und doch wünscht man sich nichts, als dass endlich alles vorbei wäre. Stille Nacht! Heilige Nacht!

Aus allen verfügbaren Lautsprechern lärmen Weihnachtslieder. Schon seit Monaten. Überall Glitzern und Funkeln. Last Christmas. Verdammt, was sollte denn an diesen letzten Weihnachten so besonderes gewesen sein, dass man ständig daran erinnert werden musste? Seit Monaten. Irgendwann hörte man es nicht mehr. Irgendwann sah man es nicht mehr. Es war einfach zu selbstverständlich. Die friedlichste Zeit des Jahres sollte es sein, die ruhigste. Daran erinnert man sich am allerwenigsten. Ruhe? Stille? Ja, vielleicht im Januar, wenn man sich von den verdammten Vorbereitungen auf diesen ach so einmaligen Abend erholen kann. Wenn man verzweifelt versucht die überflüssigen Kilos, die man sich in seinem Frust angefressen hatte, wieder loszuwerden. Jedes Jahr das gleiche Theater. Jedes Jahr die gleichen Vorsätze, die man fasst für das nächste Jahr, aber letztendlich scheint es doch einfacher zu sein, wenn man alles so macht wie immer. Es ist zwar nicht unbedingt gut, aber bekannt. Man weiß was man zu tun hat.

Im kleinen Häuschen in Rottal kamen weder Musikmüll noch Glanz, weder Hektik noch Stress an. Das einzige, was äußerlich anzeigte, dass der Heilige Abend gekommen war, war der sorgsam geschmückte Christbaum vor dem Haus, geschmückt für das menschliche Auge und für tierische Freunde. Viel hing nicht mehr daran, denn die Tiere hatten sich bereits gütlich daran getan, und es war eine wahre Freude zu sehen mit welchem Genuss sie sich die Leckerbissen einverleibten. In aller Ruhe und Beschaulichkeit hatte man den Tag angenommen, wie jeden anderen, in Offenheit und Zuversicht. Nur, dass Uwe an diesem Tag die Stallarbeit alleine machen wollte. Nein, mehr noch, er wollte nicht nur, er bestand darauf.

„Was treibt der nur so lange im Stall?“, fragte plötzlich Maria, der es schon ein wenig merkwürdig vorkam, „Ich meine, natürlich sind wir gemeinsam schneller, aber er braucht jetzt schon wirklich sehr lange.“

„Lass ihn nur“, lenkte Magdalena ein, „Er wird schon seine Gründe haben, und ich bin mir sicher, wir werden es erfahren, wenn es an der Zeit ist.“

„Wenn es an der Zeit ist, das heißt es doch immer. Ich will es aber jetzt wissen!“, forderte Maria verdrossen.

„Geduld ist nicht wirklich Deine Stärke“, meinte Magdalena lächelnd.

„Weißt Du vielleicht was, was ich nicht weiß?“, wandte sich nun Maria misstrauisch Magdalena zu, „Du weißt doch auch sicher was er während der letzten Tage immer wieder alleine draußen gemacht hat?“

„Kann sein“, antwortete Magdalena ausweichend, „Aber warum ist es so schwer für Dich, Dich einfach anzuvertrauen, darauf zu vertrauen, dass es gut sein wird was er macht, wenn er es macht?“

„Du hast wahrscheinlich recht“, gab Maria kleinmütig zu, „Aber es wird wohl noch einige Zeit dauern bis ich den gewohnten Argwohn abstreifen kann.“

„Du bist auf dem besten Weg“, erklärte Magdalena lächelnd.

Uwe kam rechtzeitig zum Abendessen ins Haus, und nachdem dieses aufgegessen war, bat er Magdalena und Maria sich anzuziehen und vor die Türe zu kommen, denn dort warte eine Überraschung auf sie. Nazl beobachtete das Geschehen vom Haus aus, denn er wollte nicht mitkommen zur Christmette. Das hatte mehrere Gründe. Zunächst war es, dass er sich noch zu schwach für solch einen Ausflug fühlte. Dazu kam noch, dass es ihm schwer fiele so viele Menschen um sich zu haben. Und außerdem musste sich doch jemand um die Welpen kümmern, die noch viel zu klein waren, als dass man sie alleine lassen konnten. So standen Maria und Magdalena, angetan mit warmen Mänteln, Schals, Handschuhen und Mützen in einer kalten, klaren Winternacht vor dem Haus und harrten der Dinge, die da kommen würden, während Uwe hinter dem Haus verschwand. Ein paar Minuten später hörten sie leises Glockenklingeln, das näher kam. Endlich fuhr ein Schlitten vor, der von einem Friesen gezogen wurde. Und auf dem Kutschbock erkannte Maria Uwe. Vor Staunen blieb ihr der Mund offenstehen. Der weihnachtlich geschmückte Schlitten, das stolze, robuste Pferd, es war wie ein Traum. Geschickt sprang Uwe vom Kutschbock und half den Damen beim Aufsteigen. Zuletzt breitete er eine Decke über ihre Beine, und dann ging es in sachtem Trab davon. So erreichten sie die Kirche. Viele Menschen strömten zum Eingang, und es war wirkliche Freude in ihren Gesichtern zu lesen. Grüße und Glückwünsche wurden freigiebig verteilt, und selbst sie, die Fremden wurden nicht vergessen. Die Kirche selbst war klein, aber wirkte sehr heimelig. Vor dem Altar stand die Grippe. Und hier bekamen sie eine Ahnung von dem was das Geheimnis von Weihnachten sein konnte. In der letzten Reihe hatten sie noch einen Platz gefunden.

„Wie lange ich in keiner Kirche mehr war“, dachte Maria, während sie interessiert das Geschehen verfolgte, „Wahrscheinlich war es das letzte Mal im Zuge meiner Firmung. Sicher sogar.“ Und auch, wenn das schon einige Jahre zurücklag, so war sie sich doch ziemlich sicher, dass sie es anders in Erinnerung hatte. Damals, da hatte sie sich schrecklich gelangweilt. Alles wirkte so unpersönlich, und das Einzige, was zu zählen schien, war die äußere Form. „Als wenn das Protokoll bei dem Besuch eines großen Staatsmannes abgespult wurde“, schoss es ihr durch den Kopf, aber da war nichts fürs Herz gewesen, nichts was die Seele erreicht, geschweige denn, sie bewegt hätte. Und sollte es nicht das Herz erreichen, die Seele bewegen? Doch das hier, das war ganz anders. Natürlich war der Ort nicht mit ausschließlich musikalischen Menschen gesegnet, und doch sangen alle mit. Vielleicht hätte diese Darbietung niemals vor dem strengen Ohr eines Kritikers Bestand gehabt, aber es ging um die Freude, die sich darin ausdrückte, und das tat sie. Der Pfarrer war der Gemeinde zugewandt und bezog sie ein, so weit es irgendwie ging.

Da legte Uwe unversehens die Hand auf Marias. Ihre Blicke trafen sich. Es war einer jener Momente, das wussten sie beide, in dem es keines Wortes bedarf um zu wissen was der andere empfand. Es war diese Art der gezeigten, unsprechbaren Verbundenheit, die sich nur in Momenten wahrhafter Zugewandtheit ereignen. Eine wahrhaft gesegnete Nacht. Und es war die Nacht der Ankunft.

Friede auf Erden den Menschen seiner Gnade!

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Darpan

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Spinnchen

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