Für das System oder für die Freiheit - beides zugleich geht nicht

Zwei Männer, zwei Spezialisten der Kapitalmärkte, zwei erfolgreiche Publizisten. Auf der einen Seite der US-Ökonom und ehemalige IWF-Chef Kenneth Rogoff, auf der anderen Seite Thorsten Schulte, Betreiber des Blogs silberjunge.de, und Autor der Amazon Bestsellers „Kontrollverlust“. Der eine weltweit gefeiert für seine Out-of-the-box-Denke, der andere vor allem im deutschsprachigen Raum bekannt, behördlich schikaniert (drei Betriebsprüfungen in drei Jahren) und medial regelmässig zerrissen, im besten Fall ignoriert.

Das Verrückte an der Sache: Sie sagen beide dasselbe. Das globale Geldsystem ist am Ende. Die Opportunismus-Politik von Regierungen und Zentralbanken ist gescheitert, das Erscheinungsbild der Stabilität des globalen Geldsystems ist nur äusserlich. Pulver verschossen, Hose auf Knöchelhöhe, Zukunft ungewiss. Der Unterschied: Während Schulte seit Jahren dafür plädiert, das Übel an der Wurzel zu packen, Zentralbanken und Politik, die uns an diesen Punkt geführt haben, an die Kandare zu nehmen und zu entmachten und den Bürgern mehr individuelle Freiheit und Verantwortung zurückzugeben, steht Rogoff für ein resolutes Mehr-Desselben. Mehr Macht und Spielraum für Politik und Zentralbanken, weniger Freiheit und mehr Zwang für die Bürger.

Dass der eine zu Boden und in den Ruin geschrieben und schikaniert wird, während der andere längst eine Art Heiligenstatus geniesst, beantwortet jede Frage danach, wem das System dient. Der aktuelle Stand: Während Schulte am vergangenen Freitag vom staatlichen Gewaltmonopolisten eine Anzeige wegen übler Nachrede kassierte, wird Rogoff im Jounral of Economic Perspectives grosszügig Platz eingeräumt, um seine Visionen auszubreiten. Grund genug, sich diesen Aufsatz genauer anzusehen.

Und man stellt fest: Während die Mainstream-Presse, die Rogoff und seine Ansichten thematisiert, sich darauf beschränkt, das Schreckgespenst des Bargeldverbots in Steter-Tropfen-Manier zur Gewöhnung der Bürgerschaft an die Wand zu malen, sind Rogoff und Konsorten längst weiter. Natürlich wäre es auch ihm und nahestehenden Institutionen wie dem IWF und dem globalen Zentralbankenkartell am liebsten, zwecks glatteren Durchregierens das leidige Cash sofort abzuschaffen. Aber das ist gar nicht mehr nötig. Das einzige, was es braucht, ist eine Verschiebung – die Schaffung der technischen Möglichkeiten, die es erlauben, Bargeld und Freiheit zu ersetzen durch die Illusion von Bargeld und Freiheit.

Warum das? Weil, wie Rogoff freimütig schreibt, wir uns heute an demselben Punkt befinden, an dem man zum Ende des Bretton-Wood-Systems des goldgebundenen Dollars und der dollargebundenen Währungen stand. Das System erlaubte es den Staaten nicht, sich so zu verschulden, wie sie das gerne wollten. Resultat: Das System wurde geändert, der Goldstandard abgeschafft der Opportunismus- und Interessenspolitik Tür und Tor sperrangelweit geöffnet. Heute heisst dieser Brems-Punkt, der die Zentralbanken und Regierungen daran hindert, sich zwecks Machterhalts via Mehrheitskauf noch absurder zu verschulden, als man es bereit ist, und die Bürger auf „legalem Weg“ zu enteignen, Null-Zins-Linie. Denn im Gegensatz zu Jannet Yellen, die unlängst verkündete, zu unseren Lebzeiten seien neuerliche Finanzkrisen ausgeschlossen, spricht der heute von amtlichen Protokollen befreite Rogoff von Turbulenzen, Krisen und die Möglichkeit einer globalen Rezession in naher Zukunft. Und weiter: Sollten die Zentralbanken und Regierungen sich auf dem Rücken ihrer Bürger bis dahin nicht die Möglichkeiten geschaffen haben, via massive Negativ-Zinsen (aka Enteignung) auf das Vermögen der von ihnen Vertretenen zuzugreifen, dann droht der totale Funktionsausfall des gesamten Systems.

Rogoffs Vorschlag: Salamitaktik. Schritt für Schritt, Jahr für Jahr, Stück für Stück so die Freiheit einschränken, dass der Bürger es gar nicht mehr merkt. Schliesslich habe man es ja auch geschafft, dem Plebs einzutrichtern, zwei Prozent Inflation seien das „moralische Äquivalent zu Preisstabilität“ und es spreche nichts dagegen, dasselbe zu tun, wenn es um ein Inflationsziel von vier Prozent gehe, um die Verbrechens- und Terrorismusbekämpfung durch Abschaffung zuerst grosser und dann stets kleinerer Banknoten und um die Förderung elektronischen und damit überwach- und kontrollierbaren Konsumverhaltens.

Kommt uns das bekannt vor? Jawohl – wir sind längst mitten drin in der Scheibchen-Strategie. Und die Mehrheit der Leute schluckt es, ignoriert es oder denkt sich, die offiziell zwei Prozent Inflation oder die Negativ-Zinsen auf Sparguthaben fielen ja doch nur für die „reichen Säcke“ ins Gewicht. Damit dies so bleibt, damit die einerseits stets zahlreicher werdenden Staatsabhängigen ruhiggestellt und die Systemprofiteure am anderen Ende der Skala einen Nutzen davon haben – auch dafür ist vorgesorgt: Erstere werden im Negativ-Zins-Paradies bis zu einem Guthaben von 1000 Euro von staatlich finanzierten Null-Zins-Konten profitieren (man lasse sich dieses groteske Wortmonster auf der Zunge zergehen!), letztere werden via steigenden Aktien- und Immobilienpreisen abkassieren. Dass in diesem Szenario einmal mehr jene die Zeche zahlen werden, die sich und ihren Kindern mit ihrer Arbeit über Jahre und Jahrzehnte eine Kriegskasse geschaffen haben, die zwar nicht gross genug ist, sich eine Investitions-Immobilie zu leisten, aber zu wichtig, um sie an der Börse aufs Spiel setzen, versteht sich von selbst und ist Rogoff keine Zeile wert. Im Gegenteil: Wer von Enteignung der Sparer rede denke nicht gross genug und sei naiv.

Da denkt man doch lieber gleich weiter und widmet sich stattdessen der grossen Illusion. Stichwort: Duales Währungssystem. Lasst dem Plebs das Bargeld, aber macht es ihm so richtig madig. Bargeld und elektronisches Geld werden wie zwei unterschiedliche Währungen behandelt. Wer von seinem Konto künftig Geld beziehen will, muss bei dieser Transaktion elektronisches Geld in Bargeld tauschen. Darauf gibt es einen Wechselkurs, den die Zentralbank festlegen kann. Schöne neue Welt. Oder eine andere Spielart: Banknoten werden mit Magnetstreifen versehen, die die Anzahl Tage messen, während denen sie nicht im elektronischen Geld-Kreislauf waren. Für jeden Tag gibt es eine kleine Strafe. Und wer so blöd ist, Bargeld zu horten, wird irgendwann, wenn er es wieder einzahlen will, massiv weniger dafür erhalten, als im dem Moment, als er die Note erhielt.

Ein Schelm, wer da denkt, das Schreckgespenst Bargeldverbot würde absichtlich gepflegt. Und zwar solange, bis alles andere als das kleinere Übel dasteht, als das man es uns verkaufen will. Man weiss es nicht. Und auch Rogoff gibt ehrlicherweise nicht vor, mehr zu wissen, als dass das kranke und gelähmte System durch seine Vorschläge ein wenig Zeit gewinnt. Es ist beängstigend und bezeichnend zugleich, wenn er seine Werkzeuge und ihre Wirkung mit den überraschenden Konsequenzen vergleicht, die ein Objekt bei Annäherung an ein Schwarzes Loch zeigt.

Wie schützen wir uns? Die Antwort bringt einem zurück zum oben erwähnten Vergleich Schulte-Rogoff. Während der eine Wissen, Energie und Renommee dazu einsetzt, das System so „sauber und elegant“ wie möglich vor dem Bürger zu schützen, plädiert der andere für Selbstverantwortung und findet einfache, klare Worte: Wer – ungeachtet der Höhe der Summe – nicht etwas Gold und Silber kauft, ist am Tag X selber schuld.

Allen indes, die Cryptowährungen als eine Art alternativen sicheren Hafen ansehen, denen sei das entsprechende Arbeitspapier und die darin enthaltenen Bedenken des IWF ans Herz gelegt. Kurz: Die Einführung und Verbreitung privater Crypto-Währungen könnte die Nachfrage nach Zentralbank-Geld untergraben und die regulative Geldpolitik behindern. Die Bedrohungen des Systems seien zwar aufgrund der Einschränkungen der virtuellen Währungen kurzfristig nicht gegeben, aber mittelfristig könnte sie relevant werden. Die Lösung laut IWF-Papier: Eine eigene digitale Währung der Zentralbanken (CBDC). Private digitale Währungen könnten so verhindert oder zumindest im Zahlungssystem in den Hintergrund gedrängt werden.

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