In welche Schublade passt Ihr Held? Ich bitte Sie heute nicht, »out of the box« zu denken. Aber ich bitte Sie, Ihre »Schubladen« zu vergrößern, um Platz für Ihre Hauptfigur und seine Charaktereigenschaften, Herausforderungen, Freunde und Entwicklung zu schaffen.

Hauptfigur, Gestalter, Held in spe, Protagonist. Egal, wie man ihn nennt: Er ist der Dreh- und Angelpunkt jeder Geschichte. Sie sollten Zeit auf diese Figur verwenden. Denn wer Menschen überzeugen will, muss in der Regel viele Widerstände überwinden: Zweifel und Kritik, Desinteresse, Ignoranz oder kategorische Ablehnung. Diese Widerstände sind eine unbewusste, natürliche Reaktion des Gehirns. Die Psychologen nennen diesen Bereich der unbewussten Re-Aktion die Komfortzone. Es bedeutet deshalb nicht, dass die Einstellung, das Verhalten oder die Situation komfortabel ist. Aber sie ist gelernt und gewohnt. Die Situation ist vertraut, der Körper weiß, wie er immer reagiert, und braucht für Entscheidungen innerhalb dieser Zone wesentlich weniger Energie als in unbekannten Situationen. Deshalb machen wir auch manchmal dicht, wenn jemand uns etwas Neues zeigen will. Argumentiert man jedoch jemand in Form einer Geschichte, sinkt die Abwehrhaltung. Geschichten bieten wenig Angriffsfläche für unbewussten Widerstand. Sie wirken vertraut. Wir fühlen uns mit einer Geschichte weniger zu einer Entscheidung gedrängt oder unter Druck gesetzt.

Ich bleibe jetzt bei der Bezeichnung »Held«, auch wenn er anfänglich vielleicht gar nichts heroisches an sich hat. Und damit sind wir bei der ersten Schublade gelandet.

1. Jede Art von Charakter sollte Platz haben.

Der Held kann ein Alleswisser sein, ein böser Charakter, ein liebenswerter Versager, ein Neurotiker, ein Underdog oder ein dümmlicher Tollpatsch sein. Susan Boyle ist ein gutes Beispiel dafür. Denn auf den ersten Blick verkörpert sie nichts von einem Helden. Wer Lust und Zeit hat, sollte sich auch die Kommentare der Jury anhören ;)

2. Der Held muss etwas Wichtiges aufgeben.

Jeder hat seine eigenen Prioritäten. Damit eine Geschichte funktioniert, müssen die Zuhörer den Alltag des Helden kennen lernen. Nur so können sie verstehen, was dem Helden wichtig ist. Vielleicht ist es die sichere Anstellung? Die sichere Umgebung? Oder auch eine eingefahrene Meinung, die es sich in der Komfortzone des Helden bequem gemacht hat.

3. Der Held darf sich vor dem Abenteuer zieren.

Ein Held muss nicht mutig sein. Vielleicht ist das genau die Eigenschaft, die ihm anfänglich fehlt? Der Zuhörer erkennt dadurch nur umso deutlicher, wie wichtig dem Helden das ist, was er für sein Abenteuer aufgibt.

4. Der Held braucht einen Helfer, der ihn unterstützt. Und fordert.

Damit sind wir bei einem enorm wichtigen Punkt gelandet. Denn es geht um die Entscheidung, wer der Held und wer der Helfer ist. Marketing und Werbung tendieren dazu, Kunden zu Helden zu machen und ihre Produkte zu Unterstützern. Zum Beispiel, wenn 50 Cent des Produktpreises gespendet werden - der Konsument ist der Held und das Produkt hilft zu helfen. Oder das Produkt unterstützt den Helden, aus seinem Alltag auszubrechen. http://www.youtube.com/watch?v=l8Y5MDVhZDQ Damit kommen wir wieder auf die Größe der Schubladen zu sprechen: Auch Mitarbeiter oder Lieferanten können in die Rolle des Helden schlüpfen. Das kann der Geschichte eine interessante Färbung geben.

5. Der Held steht vor Herausforderungen.

Was leicht geht, ist angenehm. Doch es wird schnell langweilig. Für den Helden und das Publikum. Ich habe von Neurobiologen Gerald Hüther eine Definition für Arbeit gefunden, die auch auf Abenteuer passt*: »...körperliche oder geistige Anstrengung ist, zu der ein Mensch sich aufrafft, um eine Bedrohung abzuwenden ... neues Wissen zu erwerben und neue Fähigkeiten zu entwickeln.« Sie sehen schon, auch Herausforderungen brauchen eine ziemlich große Schublade: Sie können ein Widersacher, ein schlechter Zustand, eine äußere Bedrohung, eine innere Angst oder Mauer sein.

6. Der Held verändert sich.

Nachdem jeder ein Held sein kann, ist die sechste Schublade fast schon selbsterklärend: Die Reise, die der Held macht, verändert ihn. Er besiegt »das Böse«. Er wächst innerlich, gewinnt an Stärke. Er löst die Aufgabe und verändert somit seine Position. Nichts ist mehr, wie es mal wahr. Zum Beispiel bei Susan Boyle, die nach dem 2. Platz im Finale von Britain’s Got Talent international bekannt wurde (184 Millionen Klicks auf YouTube).

Sie sehen schon, die Schubladen können nicht groß genug sein, in die wir unsere Helden stecken. Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Schreiben und alles Liebe,

Nina Karner

(*aus: Was wir sind und was wir sein könnten, S. 158)

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