der gute manfred breitenberger brachte mich dazu, einen text aus dem jahr 2010, der ihm so garnicht gefiel, noch mal hervorzukramen.

und da ich ihn immer noch annehmbar finde, ihn einzustellen und zur diskussion freizugeben. voilà:

EIN Staat ist die Lösung

israel in palästina

mit leichtem Befremden las ich, das Existenzrecht Israels sei unter Linken keine Frage. Kann ja sein, ich bin nicht links, aber der Nationalstaat und ob es nicht doch was Besseres gäbe, ist für mich durchaus eine.

Und weil ich ja nie Antworten gebe, hole ich mal  an Antworts Statt eine 'Konserve' aus den unergründlichen Tiefen der Festplatte, nämlich diese:

Ausgehend von Micha Brumliks Kommentar vom 9.1.2009 in der taz unter dem Titel

„Zur Gewalt keine Alternative“

www.taz.de/1/debatte/kommentar/artikel/1/zur-gewalt-keine-alternative/

und weiter angeregt durch den Artikel von Michael Thumann

www.zeit.de/2009/05/Zwei-Staaten-Loesung

scheint es an der Zeit, auch wieder über die Ein-Staaten-Lösung nach- und auch mit der Darstellung bei Schoeps

www.zionismus.info/zionismus/schoeps-5.htm

über die Zwei-Staaten-Lösung wieder hinauszudenken.

Da ich gerade von Elie Wiesel, „Die Nacht zu begraben, Elischa“ gelesen habe, ist mir mal wieder sehr deutlich geworden, dass auch die zionistische Bewegung in (nicht unerheblichen) Teilen nach heutigem Sprachgebrauch eine Terror-Organisation war. Und, das setzte ich gleich hinzu, weil ich alles andere, das ich bisher zu dieser Bewegung gelesen habe, nicht einfach vergessen kann: es gehört auch dazugesagt, dass sie eine Art Neu-Auflage (unter anderem) der East-India-Company war, kurz: ein quasi-kolonialistisches Unternehmen (Grundlegendes hierzu nachzulesen in Dan Diner, Israel in Palästina. Über Tausch und Gewalt im Vorderen Orient). Was darauf verweist, dass der Umgang mit diesem Konflikt und die Entwicklung von Lösungsmodellen für diesen Konflikt immer auch davon abhängig ist, in welchen historischen Kontext dieser gestellt wird – und, wieweit es gelingt, die Historie des Konflikts ihrer und seiner Be- und Gründungsmythen zu entkleiden.

Nun würde es zwar den Rahmen eines 'Impulsreferats' sprengen, wollte ich hier insgesamt die Genese des Konfliktes in und um Israel/Palästina darstellen, aber wer nach einer Lösung sucht, kommt nicht darum herum, sich die Entstehungszusammenhänge des Konflikts wenigstens kurz ins Gedächtnis zu rufen. Deshalb merke ich kurz an, dass dieser Konflikt nicht das Resultat der Shoa ist und auch nicht das Resultat des nur sehr partiell von allen Konfliktparteien akzeptierten UN-Teilungsplanes von 1947. Die Genese reicht weiter zurück und zwar bis ins 19. Jahrhundert, mindestens. Sie hat mit der fehlgeschlagenen und behinderten/verhinderten Modernisierung des Osmanischen Reiches zu tun und mit der (vermutlich) spätestens Ende des 18. Jahrhunderts einsetzenden Penetration der Region durch die nach Außen als Kolonialisierende auftretenden europäischen Mächte, die sich im Inneren zu den Nationalstaaten des 19. Jahrhunderts umzubauen begannen. Im Zuge dieser Entwicklungen entstanden nationalstaatliche Bewegungen, die staatliche Unabhängigkeit auf einem je aus eigener Geschichte/Geschichtsauffassung heraus für geeignet erachteten Boden anstrebten. Gleichzeitig entstanden in den schneller und mehr oder weniger geglückt etablierten europäischen Nationalstaaten Bewegungen, die es unternahmen, die Beschaffenheit des erwünschten Staatsbürgers zu definieren und herzustellen. Zu diesen Bewegungen gehörte einerseits in Europa der politische Antisemitismus und andererseits neben etlichen anderen auch die zionistische Bewegung.

Die Entstehung solcher nationalstaatlicher Bewegungen beschränkte sich allerdings nicht auf Europa. Sie fand andernorts ebenfalls statt; zu andernorts gehörte auch das auseinanderbrechende und von Außen auch territorial immer stärker demontierte Osmanische Reich. Dort waren es die Griechen, die Serben, kurzum, der halbe Balkan, aber auch im nördlichen Afrika begannen sich die Unabhängigkeitsgedanken bemerkbar zu machen – und eben auch in der Levante bis hin nach Mesopotamien und auf der arabischen Halbinsel gleichfalls. Es war daher kein Wunder, dass die zionistische Bewegung in dem Moment, in dem sie die in Kolonisation  umbenannte Ansiedlung jüdischer Menschen in Palästina übernahm (Näheres dazu ergibt sich u.a. aus den Protokollen der ersten Zionistischen Kongresse), diese in einer Region weiterführte, in der neben anderen auch eine palästinensische Nationalbewegung im Entstehen begriffen war (Näheres hierzu findet sich z.B. bei Yehoshua Porath, The Emergence of the Palestinian-Arab National Movement). Die Gründungsgeschichte der Bilu’im-Siedlung Gedera (ausführlich dargestellt in: sefer ha’aliya ha’rischona)  ist ein beredtes Beispiel für die konfligierenden Interessen, die zu diesem Zeitpunkt (nämlich dem ausgehenden 19. Jahrhundert) begannen, im vilayet Palästina aufeinanderzutreffen.

Es dürfte unmittelbar einleuchten, dass immer dann, wenn zwei nationalstaatliche Bewegungen Ansprüche auf ein- und denselben Boden erheben, um diesen in nationales Territorium bevölkert von jeweils erwünschten Staatsbürgern umzuwandeln, ein gewaltförmig ausgetragener Konflikt in der Luft liegt. So verhielt es sich auch in Palästina, weshalb bereits zu Zeiten des (Neuen)Yishuv der Konflikt Israel/Palästina entstanden war. Vielleicht hätte er vermieden werden können, hätten sich innerhalb des Yishuv die durchsetzen können, welche für einen bi- oder multi-nationalen Staat eintraten. Nun, sie setzten sich nicht durch, sondern der erst paramilitärisch hauptsächlich mit der Mandatarmacht und später zwischen den Staaten und mit diversen Gruppen in der Region militärisch ausgetragene Konflikt setzte sich durch. Und mit dem militärisch ausgetragenen Konflikt dessen Logik, in der sich die Konfliktparteien und wir mit ihnen immer noch befinden.

Es wird daher alles nichts helfen, die einzige Alternative zur Gewalt ist: keine Gewalt, zumindest keine militärische Gewalt. Alles andere führt nur dazu, dass Israel sich als Staat letzten Endes selbst vernichten wird. Dies wäre kein Phyrrussieg mit moralischem Kollateralschaden mehr, sondern es wäre die atomare Vernichtung der Region Naher und Mittlerer Osten als Region insgesamt.

Es wird daher weiter für den Moment nichts anderes helfen, als entweder „die Gebiete“ ohne „wenn und aber“ und das heißt vor allen: unter strikter Umsetzung von UN-Resolution 242 und folgende zu einem unabhängigen Nationalstaat zu erklären – oder aber sie definitiv zu annektieren und im dann entstandenen Groß-Israel/Palästina den demokratischen Umbau zu beginnen. Was nichts anderes bedeutet, jedenfalls für den Moment, als das bereits totgesagte anti-zionistische Projekt der Fatah vom demokratischen laizistischen Gesamt-Palästina in Angriff zu nehmen. Zusammen mit Fatah – und Hamas.

Das hört sich vermutlich hoffnungslos naiv und größenwahnsinnig zugleich an. Und ich gestehe, dass es mir auch so vorkommt. Allerdings sehe ich in einer Zeit, in der wir rund um den Globus feststellen müssen, dass der Nationalstaat des 19. Jahrhunderts sowieso nicht mehr zukunftstauglich ist, keinen anderen Ausweg als den, praktisch nach gänzlich neuen Formen von Staatlichkeit zu suchen. Und – wenn nicht jetzt, wann dann?

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Im Nachklang zur obigen 'Konserve' entstand auch das Nachstehende zur Idee des gern mit "Die Juden ins Meer werfen" gleichgesetzten Boykotts:

In diesem Zusammenhang muss ich an Jeshajahu Leibowitz denken, der (nachzulesen unter der Adresse: juedische.rundschau.ch/showart.asp?ID=878 ) den Sechs-Tage-Krieg als eine historische Katastrophe bezeichnete und für den Fall, dass es nicht zu einer Zwei-Staaten-Lösung und einem Rückzug Israels auf eher mehr als weniger die ‚green line’ komme, lange vor Oslo und den darauf folgenden Friedensinitiativen folgendes prognostizierte: „Praktisch wird dieser Zustand zu einem Krieg auf Leben und Tod zwischen Israel und der arabischen Welt führen“.

Nun, diesen Zustand haben wir. Und in diesem Zustand finden sich immer noch und immer wieder Stimmen, wie schalom5767, aber auch wie das International Solidarity Movement, die auf unbewaffneten Widerstand vor Ort aber auch von anderen Orten aus und von unten setzen.

Solche Initiativen haben immer einen Schönheitsfehler, vielleicht auch zwei, drei. Sie haben selten eine großen Namen auf der Position des Anführers zu bieten, positionieren sich aber unweigerlich quer/queer zum mainstream, welcher in hie Antisemiten und dort das Existenzrecht des Staates Israel unterscheidet. Sie negieren nicht, dass es tatsächlich um Leben oder Tod geht, sondern machen deutlich, dass das Leben der einen nicht der Tod der anderen sein kann. Sie suchen nach gemeinsamen Wegen und nach einer Praxis der gemeinsamen Wege. Und sie schlagen andere, aber bereits beschrittene/teilweise erprobte, Wege vor … wie Naomi Klein in ihrem Boykottaufruf.

Diese Ansätze – und mir scheint, wir vergessen das zu schnell – hat es immer gegeben. Sei es in Form kritischer Kommentare wie die des Achad Ha’am, sei es in Form des Brith Schalom (zu dem beispielsweise unter imgespraech.buber-gesellschaft.de/hefte/11/wolf.pdf etwas mehr nachzulesen ist), sei es in Form von Neve Shalom, das sich ( unter nswas.org/spip.php?article866  nachzulesen), sehr eindeutig zum Krieg in Gaza geäußert hat – und zur Fortsetzung seiner eigentlichen Arbeit Geld benötigt.

Vielleicht würde es uns helfen, uns noch mehr in Erinnerung zu rufen. Beispielsweise Einzelheiten aus der Geschichte des Boykotts gegen Südafrika. Hier eine nachzulesen in einem Artikel aus dem Jahr 1963! aus dem Archiv der ZEIT:

www.zeit.de/1963/33/Boykott-gegen-Suedafrika .

Diese zeigt uns, dass es nicht darum ging, „kauft nicht beim Südafrikaner/Juden“ salonfähig zu machen, sondern Staaten als einzelne wie als Gemeinschaft dazu zu bewegen, ihre Politik zu verändern. Natürlich gab es damals auch Stimmen, die sagten: „Aber wenn wir nichts mehr aus Südafrika kaufen, dann verlieren doch die Schwarzen ihre Lebensgrundlage“ – und diese Stimmen hatten nicht ganz unrecht. Aber wie das Beispiel aus dem ZEIT-Archiv zeigt, ging es darum, über den Boykott-Aufruf auf anderen Ebenen Politik zu verändern. Nämlich da: keine Waffenlieferungen, kein Technologie-Transfer,  keine Bankverbindungen, keine Kredite, keine Bürgschaften … verbunden mit der Suche danach, wie alternative Projekte unterstützt werden können. Naomi Klein hat dies in ihrem Aufruf, den es sich allemal in Gänze zu lesen lohnt, an einem Beispiel erklärt.

Und: Naomi Klein ist mit ihrem Rückgriff auf den Boykott gegen Südafrika nicht allein. In Israel selbst gibt es Stimmen wie diese: www.soal.ch/apartheidstaat-israel-was-kann-israel-von-suedafrika-lernen oder auch diese: zmag.de/artikel/Akademischer-Boykott-Unterstuetzung-fuer-Paris-VI , einen Aufruf aus Israel zum Boykott israelischer wissenschaftlicher Institutionen . Wir sollten versuchen, auf diese Stimmen genauer zu hören, um jenseits der Frontlinie Antisemitismus./. Existenzrecht  von bewaffneter Gewalt freie Ideen zu erkennen, zu unterstützen oder selbst zu entwickeln.

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Iris123

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