Er wird wach, zieht die Uhr aus seiner Diensttasche, ein billiger Reisewecker und sieht, dass er noch eine halbe Stunde schlafen könnte. Aber die in der Luft hängenden Fürze der zwei Kollegen, ihr Geschnarche und die feuchte Kälte im Schlafsaal heben ihn aus dem Bett.

In die Wollhose, ein warmes Uniformstück, findet er im Dunkeln, den Pullover zieht er sich am Gang im Licht einer Vierzigwattglühbirne an, kalt ist es, die Kälte kriecht bis an die Haut und der Winter liegt glitzernd weiß vor der alten Tür.

Zwei alte Feldflaschen steckt er in seine Arbeitstasche, Brote, Aufstrich und ein Stück Dürrewurst.

Kaffee und Tee sind in den Flaschen, die er an die heiße Kesselwand lehnen wird, zum wärmen. Sie sind beinahe unzerstörbar, nur der Verschluss wird nicht mehr dicht, aber stehend kein Problem. Noch einmal greift er in den Spind, berührt das Sparbuch von der „Z“, Z wie Zukunft denkt er und schließt den Spind ab. Das Sparbuch hat er hier, weil seine Mutter hier nicht ran kann. Er muss alles verbergen, Trinker finden jeden Groschen und kennen keine Schranken, vor Wochen hat sie seine Firmungsuhr versetzt und nicht mehr ausgelöst. Der Wecker tut es auch, nur die Bitterkeit nimmt ihm der Wecker nicht.

Ein paar Schritte und er ist bei Franz dem Oberheizer, stellt seine Tasche kurz ab und begrüßt ihn. Ja er mag diesen kleinen Mann der so viel Ruhe und Wärme ausstrahlt, der Kollege im tiefsten Sinne des Wortes ist.

Franz ist überrascht, dass er schon vor der Zeit da ist, die Anderen bringt er kaum aus den Betten. Er greift nach einer kleinen Tasse, füllte sie mit Kaffee, bitter, stark, tiefschwarz, Kaffee des Nachtdienstes.

„Ein Zettel für dich, wieder eine Schicht, du fährst viel“, sagt Franz in einem Satz.

„Ja, Franz, ich brauche Geld und so kann ich es verdienen.“ Er sagt nichts vom Traum einer kleinen Wohnung, vom elenden Leben zuhause, dem er in der Arbeit entkommt und in Zukunft gänzlich entkommen möchte. Die alte Tasche liegt in seiner Hand, weich und mit vielen Geschichten behaftet, die er gerne gehört hätte, aber der Mann, der ihm die Tasche geschenkt hatte, winkte ab, sagte „ich lass die Vergangenheit ruhen, sie ist zu wenig schön. „

Wahrscheinlich hatte er recht, die Geister des Gestern sind noch spürbar nahe, sie zeugen neue Geister, führen sie in die Welt der Grausamkeiten ein und machen sie zu willfährigen Dienern eines Systems, dass durch die Gefallenen des Krieges gestürzt wurde. Zu viele Nazis kennt er in seiner Umgebung, aber was soll man dagegen tun?

Seine Schicht nimmt ihn auf, führt seine Hände zu den Pflichten und so dreht er das Licht an, wirft einige Schaufeln Kohle in das Ruhefeuer, ölt die Lager. Er ist, er fühlt sich, er nimmt sich wahr, undeutlich zeichnet sich sein „Wer“ in der Zukunft ab und auch die Zuversicht, es zu schaffen.

Stolz, dieses hier zu können, fast alles darüber zu wissen, stolz ist er an diesem Heiligen Abend, auf sich und seine Leistungen, die nur hier erkannt und anerkannt werden, zuhause ist er der Dienstbote der sich noch nicht entlassen kann, ist er der, der missgelaunt vom Morgen bis Abend herumgeht, sich um Arbeiten kümmert, nur damit er Ruhe hat vom stinkenden Gekeife seiner ständig betrunkenen Mutter.

Er greift zur Schaufel und zwischen den Würfen entsteht eine Sekundenstille, eine Taube fliegt auf und in diesen Sekunden spürt er, so muss das Leben sein, mit stillen Momenten in einer gelassenen Bewegtheit.

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Petra vom Frankenwald

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