"Lernen Sie Geschichte!" Aber vielleicht nützt das nichts. Meine Weltsicht ist offenbar so gegensätzlich zu der von Lukas Steinwandtner, das diese versprochene Replik auf seine wohlformulierte Replik (an dieser Stelle: Danke dafür!) zunächst überflüssig erscheint. Leider fühle ich mich zur Klugscheißerei verpflichtet. Auch weil sein Text recht(s) exemplarisch ist.

Spiegeluniversum ohne Rechte?

In seinem Paralleluniversum gibt es keinen Rechtsruck, sondern einen Linksruck in Europa. Warum? Es gebe keine bürgerlich-konservativen Zeitungen in Österreich. Ich versuche mir gerade eine linke Presse, marxistische Salzburger Nachrichten, antifaschistische Krone und kapitalismuskritische Österreich vorzustellen. Parteien wie CSU und ÖVP wären längst sozialdemokratisiert, wegen Frauenquote, Mindestlohn, Atomausstieg. In meiner Realität sieht das anders aus:

Frauenquote: Über sie wird zwar ständig verhandelt, es wird auch was beschlossen. Umgesetzt ist sie im gesamten deutschsprachigen Raum noch nicht.

Mindestlohn: Gilt nicht für alle Arbeitsverhältnisse, siehe „Präkariat“ oder Harz IV (Aufstocker).

Atomaustieg: War in Österreich per Volksabstimmung (gegen den „sozialistischen“ Kanzler) entschieden. Sogar die damalige FPÖ war grundsätzlich gegen das AKW Zwentendorf, die ÖVP wegen Sicherheitsbedenken (und weil Kreisky bei „Nein“ mit Rücktritt drohte). In Deutschland stieg man nur vorübergehend nach der Fukushima-Katastrophe aus, danach bald wieder ein bzw. vertagt und verhandelt weiter.

Wes Geistes Kind?

Es gäbe auch keinen Neoliberalismus. Dass „freie Marktwirtschaft“ nicht wörtlich zu nehmen ist, muss Steinwandtner nicht wissen. In seiner Welt betreibt die EU nämlich „Planwirtschaft“, um die letzten „schaffenden Individuen in Europa auszumerzen“. Allerdings setzt er auch den Begriff „besorgte Bürger“ nicht unter Anführungszeichen. Deshalb kann ich mir schon denken, wes Geistes Kind sein Text ist. Und dieser Geist stammt durchaus aus meinem Universum.

„Brauner und roter Sozialismus“ sei ihm zuwider. Menschen, für die beides das Selbe ist, letzteres gar eine „menschenverachtende Weltanschauung“, gehören zu jenen Rechten, die sich selbst in der Mitte sehen wollen. Deshalb geht er in seiner „Replik“ mit keinem Satz auf die rechtsextreme Gewalt ein, die von mir erwähnt wurde. Dafür pickt er sich antifaschistische Gegendemonstrationen aus den vielen heraus, bei denen es etwas rauer zuging (seltsamerweise nie, wenn ich mich an ihnen beteilige. Vielleicht liegt's an meiner einschläfernden Aura?), um eine typisch rechte Klage zu erheben: Die Rechtsradiaklen würden an ihrem Demonstrationsrecht gehindert.

Verschwiegener Rechtsextremismus, böser Sozialismus

In unserer gemeinsamen Realität fällt auch jede Gegendemo unter dieses Grundrecht. Rechte Vereinigungen machen das genauso, veranstalten auch seperate Schein-Gegendemos, zu denen niemand erscheint, um Polizeikräfte abzulenken (siehe Akadamikerballdemo). Ein paar Neonazis wurden verletzt (Hilfe!)? Manchmal prügeln die sich auch gegenseitig. Aber NSU-Morde, brennende Asylheime, verfolgte Roma, die niedergestochene Kölner Oberbürgermeisterin; der Lobbyismus privater Unternehmen in der Politik, deren milliardenschwere legale Steuerflucht in die Briefkastenparadiese, vorbei an der „europäischen Solidargemeinschaft“; das parasitäre Mitnaschen der Privatbanken an jeder Transaktion der EZB... Oder auch das bleibt unerwähnt, was jede_r von uns dem bösen Sozialimus verdankt:

Arbeitsrechte: Schutz vor Ausbeutung, Recht auf Urlaub, begrenzte Arbeitszeiten.

Frauenrechte: Selbstbestimmte Geburtenkontrolle, die Förderung der finanziellen Unabhänigkeit vom Partner; erstmalige Institutionalisierung der Frauenpolitik (siehe Johanna Dohnal).

Bildung: Erleichterter Zugang, gratis Schuldbücher und Öffis für Schüler_innen, Demokratisierung der Unis.

Hilft gegen Rechtspopulismus

Zugegeben, die meisten dieser Dinge, die der Autor vielleicht nicht mag und die uns heute selbstverständlich erscheinen, verdanken wir der Kreisky-Ära. Also nochmal: Lernen Sie Geschichte! Dann sind Sie auch geimpft gegen gut formulierte, aber irreführende Blogs wie dem von Steinwandtner. Dieser ist üblicher Rechtspopulismus. Vielleicht merkt der Autor das nur nicht? Ja, sicher!

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Sachenmacher

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Grubo84

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