"Ich möchte mit Strache diskutieren!"

Für die NEOS geht die zweifache Mutter Beate Meinl-Reisinger ins Rennen, die sich selbst als „Ur-Wienerin“ mit (böhmischem) Migrationshintergrund bezeichnet. Sie empfängt uns in der schicken, pinken Zentrale der Bundespartei, einem geräumigen Dachgeschoß-Büro in Wien-Neubau.

Sollten Sie in den Gemeinderat einziehen. Gibt es ein Konzept zur Zusammenarbeit, oder wird das tagespolitische Gegeneinander weiter bestehen?

Es ist ja nicht politisches Kalkül, es geht doch allen etablierten Parteien bloß um Posten, die sie verteilen können. Sie wollen ihre Sessel behalten, um noch mehr Jobs zu schaffen, die sie dann verteilen können. Was sagt uns das? Auf der Straße hab‘ ich mit einem Mitarbeiter der Wiener Linien gesprochen, der die FPÖ wählt. „Weshalb?“, fragte ich, denn die FPÖ ist genauso Teil dieses politischen Systems und genauso korrupt wie die anderen. Da gibt es noch immer Verfahren von Schwarz-Blau heraus, die die Justiz beschäftigen. Seine Antwort war, dass doch eh alle korrupt sind.

Politik muss wieder glaubwürdig werden! Das ist einer der Gründe, weshalb ich mich entschlossen habe, den Nationalrat noch vor der Gemeinderatswahl zu verlassen. Wenn ich antrete und sage, ich will für die Wienerinnen und Wiener arbeiten, dann wäre ich wie alle anderen, wenn ich auf meinem Nationalratsmandat hocken bliebe. So wird es der Herr Strache machen. Ich möchte ein Zeichen der Glaubwürdigkeit setzen: Es geht mir nicht um den Job.

Ich bin der Meinung, wir sind die größte Chance für diese Stadt. Die größte Chance auf Veränderung. Es jammern viele. Es jammern auch die Journalisten, es schreiben alle, was eigentlich getan werden müsste. In Wahrheit könnte man aus dem, was in den Schubladen der Republik liegt, diese völlig neu und besser aufbauen.

War das der Grund, ihre politische Heimat, die ÖVP, zu verlassen?

Ich habe für ÖVP-Abgeordnete gearbeitet. Das war ein Job, aber ich hab‘ mich dort nicht zugehörig gefühlt. Der Grund, dort rauszugehen, war meine Wut auf das System, meine Unzufriedenheit. Aber auch der Glaube daran, dass jeder einzelne von uns jeden Tag etwas verändern und besser machen kann. Ich will mit meinen 37 Jahren nicht zynisch am Sofa sitzen und nur schimpfen. Das taugt mir nicht. Ich muss versuchen, etwas zu ändern. Ich hab‘ damit auch meine Sicherheit aufgegeben - aber ich fühle mich wohler!

Was sagen Sie zu einer möglichen Blau-Schwarzen Koalition in Wien?

Ich fand schon Schwarz-Blau im Bund damals nicht toll und habe die Initiative Schwarz-Grün mitgegründet. Ich versuche immer, aufzeigen, was ein anderer Weg sein könnte. Ich werde Strache nicht zum Bürgermeister machen, das geht sich für mich aus verschiedenen Gründen nicht aus. Das kommt von meiner politischen Sozialisation, ich hab‘ Haider groß werden sehen. Die erste Erinnerung, die ich an eine Wiener Kommunalpolitik habe, ist der Spruch „Wien darf nicht Chicago werden“. Das war 1991 im Wahlkampf, damals war ich 13 Jahre alt. In Wirklichkeit haben wir seit 24 Jahren die gleichen Slogans gehört, die ich Chicago-Bullshit nenne. „Wien darf nicht Istanbul werden“, hat es später geheißen. Ich sehe bei ihm keine Lösungen! Deshalb möchte ich mit Strache diskutieren. Ich möchte wissen, was er konkret machen will, sollte er Bürgermeister werden. Was ist sein Plan? Machbare Lösungen? Ich kenne keine!

Wie wäre es denn machbar?

Es ist ja nicht politisches Kalkül, es geht doch allen etablierten Parteien bloß um Posten, die sie verteilen können. Generell finden wir, dass man neue Wege denken muss. Minderheitsregierungen. In Sachfragen kann ich mir vorstellen, auch mit der FPÖ zusammenzuarbeiten. Das habe ich auch im Parlament gemacht. Als Kultursprecherin habe ich es geschafft, dass der grüne und der FPÖ-Kultursprecher gemeinsam mit mir eine Pressekonferenz gegeben haben. Die Kulturjournalisten haben ihren Augen nicht getraut! Das ist Zusammenarbeit. Wien ist eine weltoffene Stadt, aber ich möchte nicht jemanden, der Wien geistig in die Runenzeit zurückführt.

Haben Sie Angst vor einem Bürgermeister Strache?

Angst ist falsch. Aber ich glaube nicht, dass sich die Stadt zum Guten entwickeln würde.

Der Wirtschaftsstandort Wien schwächelt. Wie wollen Sie die Stadt fit für eine blühende Zukunft machen?

Stellen Sie sich einen dünnen Mann vor - das ist der Sektor der privaten Unternehmer. Und auf den Schultern des dünnen Mannes sitzt ein fetter Riese - das ist der ganze parteipolitische Apparat, der zu erhalten ist. Ich spreche mit vielen Unternehmern und die sagen mir, dass sie gerne mehr Leute anstellen würden, es aber derzeit nicht geht, weil die Lohnnebenkosten zu hoch sind.

Wien kann auch etwas tun, nämlich die U-Bahn-Steuer temporär aussetzen und die Kammerumlage II abschaffen, und vor allem die Pflichtmitgliedschaft. Wir brauchen eine Reform der Gewerbeordnung, die im 19. Jahrhundert hängengeblieben ist. Und den Abbau anderer bürokratischer Hürden, wie Betriebsanlagengenehmigungen. Es gibt keine Aufbruchsstimmung in der Stadt! Es kommt niemand her, weil es wahnsinnig cool ist, sich in Wien niederzulassen oder ein Unternehmen zu gründen. Sondern die Leute gehen weg. Das ist ein Riesenproblem, denn Unternehmer schaffen Jobs.

Es gibt einige Bereiche in denen Wien gut dasteht, weil es Universitäten gibt. Im Life-Science-Bereich, im Biotech-Bereich, wir haben eine sehr gute Technische Universität, wir haben aber kaum Spin-Offs. Schaffen wir Räume dafür, schaffen wir Finanzierung dafür, dass Spin-Offs möglich sind.

Was die Stadt auch nicht erkannt hat, ist, dass es einen Wettbewerb um bessere Arbeitsbedingungen gibt. Man hat es im Zuge der Ärztearbeitszeitverhandlungen gesehen. Jetzt steht man da und muss Leistungen zurückfahren. Die Arbeitsbedingungen sind nicht gut!

Sie werden immer als Partei der Wirtschaft bezeichnet. Kennen Sie da die Probleme der „kleinen Leut‘“ noch? Können Sie sich überhaupt darum kümmern? Ist da Platz für beides?

Bei uns sind viele Unternehmer aktiv. Das ist etwas anderes. Manager zu sein ist etwas anderes als Unternehmen selbst aufzubauen. Ich kenne einige junge Selbständige, die würde ich durchaus als die kleinen Leute von heute bezeichnen. Gerade Ein-Personen-Unternehmen werden schon ausgebeutet. Nur beuten sie sich selbst aus. Genau aus diesem Grund fallen sie völlig aus der bisherigen Logik des politischen Systems heraus. Sie sind keine Arbeitgeber, sie sind aber auch keine Arbeitnehmer. Das zeigt wieder, dass es unmöglich ist, mit den Lösungen der Vergangenheit die gegenwärtigen, und schon gar nicht künftige Fragen zu beantworten. Es funktioniert nicht mehr! Warum macht man keine Lohnnebenkostenbefreiung beim ersten Mitarbeiter von Start-Ups?

Die Lohnnebenkostenbefreiung ist auch eine ÖVP-Forderung…

Jetzt werd‘ ich schön langsam grantig! Seit wie vielen Jahren stellt die ÖVP den Finanzminister und den Wirtschaftsminister?

Schon in der Schulpolitik liegt vieles im Argen. Wie sieht Ihre Lösung aus?

Gerade im Bildungsbereich sieht man das Komplettversagen der beiden ehemaligen Großparteien. Die sind nicht mehr in der Lage, Reformen durchzusetzen. Schulpolitik ist offensichtlich auch nur Machtpolitik, es geht um Einfluss. Da muss man ausbrechen, denn die SPÖ fährt die Stadt tatsächlich an die Wand. In Wien herrscht ein Bildungsnotstand. Es gilt der Satz:„Sag‘ mir, woher du kommst, und ich sag‘ dir, wie weit du’s bringst“. Bildung wird in einem Ausmaß vererbt, dass es eine Schande ist für eine Stadt, die sich „sozial“ auf die Fahnen schreibt. Bildungspolitiker in Österreich sind auch Wirtschafsverbrecher, denn wir schicken diese jungen Menschen direkt ins AMS.

Mir ist eine bessere Qualität in den Kindergärten wichtig, das ist die erste Bildungseinrichtung. Als berufstätige Mutter sind mir ganztägige Schulformen sehr wichtig, und ich glaube, wir haben Aufholbedarf.

Konkret?

Es ist eines der Probleme, dass das immer ideologisch diskutiert wird. Die einen sagen Juhu, die Gesamtschule ist die Lösung für alle. Die anderen sagen, das Gymnasium muss erhalten bleiben. Beides ist, wenn man es so sagt, ein völliger Schwachsinn. Wir wollen eine Gleichbehandlung von öffentlichen und konfessionellen Schulen, von Privatschulen und Schulen in freier Trägerschaft. Da gibt’s eine eklatante Ungleichbehandlung. Wir wollen eine umfassende Umstellung der Finanzierung, eine Schulautonomie. Autonomie heißt, die Schulen können die Wege gehen, aber mit einem gemeinsamen Ziel: Die mittlere Reife für jedes Kind.

Die Zentralmatura braucht es, denn wenn man Autonomie will, muss man auch feststellen können, dass Ziele erreicht werden. Das würde ich auch transparent machen. Denn man informiert sich als Elternteil ja, welche Schule gut ist und welche weniger gut. Das geht derzeit nur im Freundes- oder Bekanntenkreis. Wenn man das nicht hat, kann man auch keine objektive Entscheidung  treffen.

Das Allerwichtigste ist: Parteibücher raus aus den Schulen! Ich möchte auch den Stadtschulrat abschaffen.

Wie wollen Sie dieses Konzept denn finanzieren?

Es ist ja nicht politisches Kalkül, es geht doch allen etablierten Parteien bloß um Posten, die sie verteilen können. Sie Ich möchte die Parteienfinanzierung, die Mandatare in den Bezirken und der Gemeinde, die Kosten für politische Eigenwerbung halbieren und Pensionsprivilegien für Politiker und Spitzenbeamte abschaffen. Das und weitere Maßnahmen, bringen 120 Millionen Euro pro Jahr, die ich den Wiener Pflichtschulen in die Hand drücken möchte. Das sind eintausend Euro pro Kind mehr im Jahr! Damit kann die Weiterbildung von Lehrern und Lehrerinnen finanziert werden. Es können zusätzliche Sonder- und Sprachpädagogen eingestellt werden. Man kann Computer kaufen oder Klassenzimmer modernisieren.

Sie wollen den Stadtschulrat abschaffen und eine Bildungsserviceagentur schaffen. Was soll das sein?

Auf keinen Fall eine parteipolitische Einrichtung. Die Stadtschulratspräsidentin sagt von sich selbst, dass sie Politikerin ist. Das ist nicht ihr Job. Ich stelle mir vor, dass eine Bildungsserviceagentur ausschließlich dazu da ist, den Schulen die besten Möglichkeiten zu geben. Und nicht, um Jobs nach dem Parteibuch zu vergeben.

Wie soll Wohnraum in Wien leistbar sein, wenn Sie für Liberalisierung stehen?

Es gibt Studien, die zeigen, dass die durchschnittlichen Mieten in gemeinnützigen Bauten, also auch im Gemeindebau, mit den hohen Betriebskosten ganz schön hoch sind.

Wir brauchen mehr Angebote, es muss mehr Wohnraum geschaffen werde. Es muss attraktiv werden, Wohnungen zu bauen. Mietzinsobergrenzen sind nicht förderlich. Gut gemeint ist nicht gleich gut. Sogar ein schwedischer, sozialdemokratischer Ökonom meinte, dass nichts effektiver ist um Städte zu zerstören, als Mietobergrenzen - abgesehen von Flächenbombardements. Das ist eine ziemlich drastische Aussage.

Der gemeinnützige Wohnbau ist wichtig. Das ist ein sehr wichtiges und erfolgreiches Modell. Wir haben aber zwei Probleme. Das sind parteipolitische Versorgungsbiotope für Freunderln. Und die Baukosten sind durch die vielen Normen sehr gestiegen. Ich darf nicht mit noch mehr Auflagen alles verteuern. Die durchschnittliche Wohnfläche ist größer geworden, weil andere Maße vorgegeben wurden, wie breit Gänge sein müssen. Nasszellen in jeder Wohnung müssen jetzt Barrierefrei sein. Ich halte viel von Barrierefreiheit, aber in jeder Wohnung? Da geht viel Raum verloren.

Im Gemeindebau ist mir die soziale Treffsicherheit wichtig. Junge Menschen haben keinen Zugang, weil die Zugangsregelungen völlig bizarr sind! Wir haben Nationalratsabgeordnete, die im Gemeindebau sitzen und das Gleiche zahlen. Ich bin für ein Einkommensmonitoring. Wer mehr verdient, soll mehr zahlen. Ich hätte die Gemeindewohnung meiner Großmutter übernehmen können, das wäre aber nicht sehr fair gewesen.

Ist die Mindestsicherung eine soziale Hängematte?

Beate Meinl-Reisinger: Da muss man sich anschauen, ob das System gut ist, das den Menschen keine Anreize bietet, wieder arbeiten zu gehen. Ich will das mit einem Bürgergeld ausschleifen. Dann bekommt man mehr, wenn man auch arbeiten geht. Es gibt die Möglichkeit einer Negativsteuer. Unser System eines Bürgergeldes wäre die Aufzahlung auf geringe Löhne.

Seit Wochen herrscht de facto in Österreich ein Flüchtlingsnotstand. Sind wir unmenschlich und finden keine Lösungen?

Wir waren in Traiskirchen - es ist zum Genieren! Das ist ein komplettes Managementversragen, nicht nur seitens der Bundesregierung. Am Flüchtlingsthema zeigt sich sehr gut, wie das gesamte politische System in Österreich versagt. Nämlich ein völlig falscher Föderalismus, der eigentlich nur heißt „bei mir nicht“. Ping-Pong spielen und die Verantwortung abschieben. Es sind mittlerweile Innenministerium, Außenministerium, Verteidigungsministerium, nach langen Wochen des Abtauschens der Herr Bundekanzler und der Herr Vizekanzler in die Sache involviert. Und sie bekommen es trotzdem nicht auf die Reihe.

SOS-Kinderdorf hat angeboten, einhundert Plätze für unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge zu schaffen und hat als Antwort des Innenministerium bekommen: Vielen Dank, wir werden das prüfen. Was werden die prüfen? Ob es unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge gibt? Da kann man nach Traiskirchen fahren und sagen: Ja, das ist so. Ob das SOS-Kinderdorf in der Lage ist, Kinder unterzubringen? Das muss man nicht prüfen.

Man muss alle an einen Tisch bringen und Leadership zeigen und erst dann den Tisch verlassen, wenn es hier menschenwürdige Lösungen gibt.

Zusammengefasst – Was sind Ihre wichtigsten Ideen für Wien?

Wir wollen echte Veränderung in dieser Stadt. Wir glauben, dass das politische System ganz dringend verändert gehört. Und wir wollen eine Veränderung ohne Hass und ohne Hetze.

Diese Veränderung heißt auch, dass wir eine Politik brauchen, die diesen völlig aufgeblähten Politapparat beschneidet und die Freunderlwirtschaft. Wir haben keine Fußfesseln, keine Bünde oder sonstige Lobbys. Wir gehen da frisch an die Sache ran und wollen diese aufgeblähte und gierige Politik bekämpfen.

Wir stehen für eine transparente Politik. Wir arbeiten und agieren so. Unser Wahlkampf ist nur durch Spenden und Darlehen finanziert. Sie können nachsehen, wer uns finanziert.

Die Bürger holen sich die Stadt zurück. Wir holen uns die Stadt zurück von diesen Politikern. Wir verstehen Politik anders als im 19. Jahrhundert. „Wir sind die Bürger“, statt „Wir sind Kaiser“. Weniger autoritäres D’rüberfahren, mehr Mitbestimmung, mehr Mitsprache.

INTERVIEW: Alex Haide

FOTOS: Rudi Fröse

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