Für mich gibt es nur wenige Berufsstände, die per se etwas Erhabenes an sich haben, also Respekt, Bildung und Vertrauen ausstrahlen. Das nützen Betrüger offenbar im Falle des Juristen/Anwalts aus, um sich vergleichsweise einfach hohe Geldbeträge zu ergaunern. In diesem Beitrag gehe ich auf die Charakteristika von Abmahnschreiben ein und was man dagegen tun kann – insbesondere bei gefälschten Nachrichten. Es erfolgt eine Dreiteilung in a) echt & berechtigt, b) betrügerische Absichten aber dennoch berechtigt und c) reiner Betrug.

Mit einer Abmahnung können viele verschiedene Verhaltensweisen gerügt werden: jemand tut dabei generell kund, dass das bisher gesetzte Verhalten nicht dessen Idealen entspricht und bei weiteren gleichartigen Verstößen mitunter scharfe Konsequenzen (unterscheide Unterlassung von Schadenersatz[1]) drohen. Mögliche Bereiche: Arbeitsrecht (der Mitarbeiter kommt jeden Tag zu spät oder handelt gegen die Interessen des Arbeitgebers), Verwaltungsrecht (Falschparken), Schuldrecht (Rechnungen zu spät bezahlen), Zivilrecht (unbefugtes Betreten des Grundstücks), Wettbewerbsrecht (gefälschte Markenprodukte in Umlauf bringen) und so weiter. Nur weil man vom Absender noch nie etwas gehört hat, heißt das nicht automatisch, dass es ein Betrüger sein muss – ich empfehle stets, die Briefe zu öffnen und zu überprüfen, ob die Ansprüche zu Recht bestehen (ausgenommen E-Mails die offensichtlich Spam sind – „Sehr gertes herr, zahl 123,45 euro fuer downlod von das website“).

Wie sieht so ein Schriftstück in der Regel aus? Es wird zunächst auf den korrekten Adressaten ankommen – wenn der Brief nicht gegen mich persönlich gerichtet ist, drohen kaum Konsequenzen und dient maximal der Information („An alle Anrainer: der Parkplatz vor der Hausnummer 37 ist Privatgrund“). Worin lag die konkrete Verletzungshandlung (was soll ich ändern)? An welchem Tag, zu welcher Uhrzeit ist das gerügte Verhalten gesetzt worden? Daneben sollten idealerweise rechtliche Verweise angebracht sein, oder auf bestehende vertragliche Übereinkünfte hingewiesen werden. Wenn nicht schon in diesem Schriftstück eine Buße gefordert wird, so werden meist für zukünftige Übertretungen Folgen angedroht (Geldzahlung, Vertragsauflösung, Anzeige). Es gibt in dem Sinne keine strengen Formvorschriften, wie eine Abmahnung aussehen muss – sie kann also auch mündlich erfolgen. Zu Beweiszwecken ist aber jedenfalls Schriftlichkeit & Einschreiben geboten.[2] Ich würde nun im ersten Prüfschritt damit beginnen, nach dem angegebenen Anwalt/Absender im Internet zu suchen – eine echte Kanzlei oder Behörde will im World Wide Web gefunden werden! Wenn der Brief von einer Privatperson kommt, die man nicht persönlich kennt, sollte umgehend mit dieser Kontakt aufgenommen werden – vielleicht klärt sich das Missverständnis ohnehin sofort auf.

Wer meine Artikel regelmäßig liest, der kennt inzwischen auch meinen Hang zu absurd anmutenden „Schmankerln“, so auch diesmal: ich kann mir durchaus vorstellen, dass es in Betrugsabsicht handelnde Personenvereinigungen gibt, die sich Adressen zusammenkaufen (Kriterien könnten sein: 30-50 Jahre alt, verheiratet, männlich, mittleres Einkommen) und allen Treffern eine Abmahnung (mit Zahlungsaufforderung) zuschicken. Der Anlass dieses Schreibens ist allerdings so pikant gewählt, dass die wenigsten Männer tatsächlich mit ihren Angehörigen oder einem Anwalt darüber sprechen wollen, etwa ein Seitensprungportal[3], Abo-Fallen[4] oder Webseiten mit pornographischem Material. Zusätzlich wird oft eine einschüchternde Wortwahl getroffen („Wenn Sie nicht zahlen, erfährt Ihre Frau / Ihre Facebook-Fangemeinde davon“), extrem kurze Überlegensfristen gesetzt („überweisen Sie binnen drei Tagen“) oder ein bedrohliches Design (weiße Schrift auf einem besonderen schwarzen Briefpapier) gewählt. In dieser Kombination zahlt ein erstaunlich hoher Anteil (bis zu einem Drittel der Betroffenen!) sofort.[5] Besonders fies wäre es natürlich, eine Webseite einzurichten/zu betreiben, bloß um Rechtsverstöße zu dokumentieren: etwa eine illegale Musiktauschbörse („honeypot“), die ab dem Erreichen eines bestimmten Bekanntheitsgrades jedem einzelnen Nutzer im Namen der Betroffenen („Wir vertreten Rihanna, Shakira und Madonna. Sie haben am vergangenen Donnerstag zwischen 12 und 14 Uhr insgesamt sieben Musikstücke meiner Mandanten heruntergelanden. Für jeden einzelnen Fall verlangen wir pauschal 230,- Euro Schadenersatz.“) verfolgt – wiederum in Betrugsabsicht.

Gefakte Abmahnungen weisen oft wesentliche Unterschiede zu regulären Schreiben auf: bei Verstößen im Internet wird immer die IP-Adresse genannt und der Verstoßzeitpunkt festgehalten.  Weitere Indizien: dubioses Bankkonto (angebliche Kanzlei aus München verlangt Überweisung nach Bulgarien), kein Internetauftritt (Briefkastenfirma), auffallend niedrige Preise/Gebühren/falsche Versteuerung (reguläre Abmahnschreiben sind meist bei niedrigen dreistelligen Beträgen angesiedelt, Betrüger haben offensichtlich herausgefunden, dass die Schmerzgrenze irgendwo bei 50-80 Euro erreicht ist – darüber wird dann doch überlegt bzw. ein richtiger Anwalt konsultiert).

Der bekannte Spruch „Unwissenheit schützt vor Strafe nicht“ kann auch hier erwähnt werden: man muss sich wohl im Umgang mit Downloads, Abo-Seiten und ähnlichen Angeboten zunächst mit den einschlägigen gesetzlichen Rahmenbedingungen vertraut machen. Urheberschutz gilt ebenso im Internet – auch wenn oftmals kostenlose Demo-Samples zu Werbezwecken angeboten werden. Es muss eine gewisse „Werkhöhe“ gegeben sein, um von einem eigenständig schutzwürdigen Werk sprechen zu können (Beispiel: ein Wörterbuchhersteller kann nicht einen Journalisten verklagen, der nur Worte aus diesem Wörterbuch in einer anderen Reihenfolge verwendet) – oder andersrum: es gibt auch frei verwendbare Werke (open data, common goods/free ware, Schutzfrist abgelaufen), der Urheber hat jedenfalls den Anspruch auf Nennung im Zusammenhang mit der Nutzung seines Werkes. Man könnte aber darüber diskutieren, ob im Internet besondere Regeln (nicht) gelten sollen, welche gesetzlichen Normen man überhaupt benötigt (reiner Urheberschutz ist aus meiner Sicht nicht mehr zeitgemäß, man könnte sich etwa auf einen Verwendungsanspruch verständigen, der sich an der Häufigkeit der Nutzung orientiert – etwa anhand der Downloadzahlen oder Beitragsklicks).

Es stellt sich weiters die Frage, inwiefern Prüf- und Kontrollpflichten für Kinder gelten – denn diese können aufgrund ihres Alters nicht selbständig wirksam Verträge (Abo-Falle) eingehen oder schadenersatzpflichtig werden. Mein Ansatz daher: beinhart behaupten, dass der elfjährige Sohn unbeaufsichtigt den Computer genutzt hat – denn bei Online-Abos entsteht zunächst ein schwebend unwirksamer Vertrag, der erst in Kraft tritt, wenn er von den Eltern/Erziehungsberechtigten nachträglich genehmigt wird.[6] Bei Urheberrechtsverletzungen ist das schon etwas schwieriger zu beantworten. Der Verletzte muss jedenfalls konkret bezeichnen, von wem er fordert – das kann dann jeder gesondert abstreiten. [7] Insgesamt werden die Prüf- oder Kontrollpflichten für Kinder nur dann auf mich zurückfallen, wenn mir klar war, dass mein elfjähriger Sohn permanent solche dubiosen Seiten aufruft. Es wäre dennoch praktisch, mit dem Nachwuchs einmal über die möglichen Konsequenzen gesprochen zu haben – aber ständig danebensitzen und überwachen, das geht dann doch zu weit.

Mir ist im Zuge der Recherchen aufgefallen, dass sich enorme Interessengemeinschaft gegen diese Praktiken formieren, aber die Justiz dennoch kaum effektiv unterbindende Maßnahmen gegen die Abzocker setzt. Ich kann verstehen, dass die durchschnittlichen Nutzer das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der Justiz verliert, wenn diese nicht gegen hohe (gerechtfertigte!) Kosten vorgeht.[8] Einerseits übersehen manche Abmahnungsempfänger tatsächlich Hinweise auf die entstehende Kostenpflicht, andere wiederum schlagen über die Stränge und verstoßen munter gegen urheberrechtliche Bestimmungen – und wenn es tatsächlich Betrug ist, dann gibt es ohnehin gesonderte Verlaufsmöglichkeiten (kaum ein Betrüger wird mich wirklich auf Zahlung klagen, denn der weiß ja ganz genau, dass er den Prozess verlieren würde – er setzt ja auf das rasche Geld durch Leute, die den Aufforderungen auf den Leim gehen!). Es finden sich mehrere Petitionen gegen Abmahnungen, mit unterschiedlichem Erfolg (hier[9] nur 37 von 10.000 Unterstützungserklärungen in sechs Wochen) – denn die meisten Menschen regen sich nur furchtbar auf, wenn sie persönlich betroffen sind, aber aktives Tätigwerden ist dann doch wieder zu viel verlangt. Wie der Handelsblatt-Fall[10] zuletzt zeigte, können durchaus auch vierstellige Summen pro Verstoß eingefordert werden – im privaten Bereich lassen aber einige der Anwälte mit sich reden, sodass letztendlich nicht die volle Summe sofort bezahlt werden muss.

Berechtigte Folgefragen dieses Beitrages sind, worin denn die Arbeitsleistung eines regulären Abmahn-Anwaltes liegt und wie die hohen Einnahmen für standardisierte Formulare (die von einer Maschine bearbeitet, ausgedruckt und versendet werden) rechtfertigbar sind. Es ist nicht jeder automatisch kriminell, der sich in einer Umsonstkultur die günstigsten Angebote heraussucht – aber die Grundprinzipien (insbesondere Urheberschutz) sollten dennoch beachtet werden. Briefe öffnen, Kurzrecherche zum Absender anstellen, nicht sofort bezahlen, Einspruch erheben und im Zweifel juristischen Beistand hinzuziehen. Ich bin der Überzeugung, dass wir im 21. Jahrhundert präzisere Regeln in Bezug auf die Internetnutzung generell benötigen (Datenschutz, Spam, Phishing, Betrug), und dass vor allem Jugendliche über mögliche Konsequenzen bei Rechtsverletzungen im Zuge ihrer Ausbildungswege erfahren müssen (beispielsweise Legal Literacy Project[11]).

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Bernhard Juranek

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Herbert Erregger

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Silvia Jelincic

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fischundfleisch

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