Karin Kneissl war in den 1990er Jahren eine Beamtin im österreichischen Aussenministerium, bis sie sich mit dem damaligen Aussenminister Mock (ÖVP) zerkrachte und das Ministerium verlassen musste.

Sie versuchte sich dann als Publizistin und schrieb einige Bücher.

Dann wurde sie auf einem FPÖ-Ticket parteilose Aussenministerin einer türkis-blauen Koalition.

Das Aussenministerium war seit 1986 fast immer ein ÖVP-Ministerium; dass eine Partei über fast 40 Jahre hinweg fast IMMER den Aussenminister stellt, kann man auch als Seltsamkeit betrachten, die eher an Diktatur erinnert als an Demokratie - wir können uns schlecht über die Assads in Syrien beschweren, weil sie Jahrzehntelang ununterbrochen regieren, das aber im Falle der ÖVP als völlig normal betrachten; Kneissl war die einzige Ausnahme, die aber von den Medien sehr negativ kommentiert wurde, eben weil auf einem FPÖ-Ticket, und daher konnte sie nicht die Wirkung entfalten, die sie eigentlich entfalten hätte können.

Nach dem Platzen dieser Koalition nahm sie einen Posten in einem russischen Ölkonzern an, verliess diesen Posten nach dem Beginn von Putins Krieg gegen die Ukraine und nahm später wieder Posten an russischen Universitäten und russischen Think-Tanks an.

Spätestens seit ihrer Hochzeit, zu der sie Putin einlud und seit ihrem Knicks vor Putin ist Kneissl eine sehr umstrittene und in Österreich und noch mehr im Westen überwiegend abgelehnte Persönlichkeit.

In diesen Kontext passt auch folgender Text:

https://www.diepresse.com/15835834/karin-kneissls-russophilie-ist-mehr-als-nur-peinlich

Allerdings kann man die Sache auch anders sehen:

wenn Kneissl das russische Landleben im russischen Hinterland lobt, dann kann man das auch als subversive Kritik an der Kriegspolitik von Putin sehen, so nach dem Motto: "Die Russen sollen besser Ackerbau (z.B. in Petruschewo, wo Kneissl den Sommer verbrachte) betreiben, statt in der Ukraine Ukrainer zu töten oder sich für einen problematischen Krieg töten zu lassen"

Auch Kneissls Lob für Dostojewski kann man unterschiedlich interpretieren: einerseits als Lob für Russland, andererseits eben weil Dostojewski über die damaligen russischen Inhaftierungslager schrieb, als Hinweis auf ebendiese damaligen Inhaftierungslager, und dritterseits als Hinweis darauf, dass die russische Geschichte in weiten Teilen und Zeiten gewalttätiger war als die europäische/mitteleuropäische.

Ich weiss nicht, ob Kneissl jemals Zar "Peter, den Großen" lobte, aber falls sie das getan hätte, so wäre das möglicherweise sehr zwiespältig zu sehen. Man könnte es einerseits sehen als pro-putinistisch, weil Peter ähnliche Eroberungsfeldzüge unternahm wie Putin, man könnte es aber auch andererseits als putin-kritisch sehen, weil Peter sehr pro-westlich war, und die Hauptstadt nach Westen, nach Sankt-Petersburg verlegte, weil er mehr Technologie und Wissen und Experten aus dem Westen anlocken wollte, während Putin mit dem Ukrainekrieg genau das Gegenteil in Kauf nimmt oder vielleicht sogar anstrebt: eine Abschottung vom Westen, einen Verlust des Zugangs zu westlichem Wissen und Technologie.

Was ich damit sagen will: eine und dieselbe Aussage kann aus österreichischer/westlicher Sicht als pro-putinistisch erscheinen, aber aus russischer Sicht subversiv-anti-putinistisch.

Und weil Russland ein völlig anderes Land ist mit völlig anderen Standards, was Meinungsäußerungsfreiheit betrifft, haben sich in Russland völlig andere Diskursstrategien oder Schweigestrategien entwickelt, die es Westlern oftmals unmöglich machen, den russischen Diskurs zu verstehen und einzuschätzen.

Meine Einschätzung daher: Kneissl ist eine intelligente Person mit viel Sachkenntnis und Faktenkenntnis, aber man sollte nicht vorschnell auf ihre Absichten und Hintergedanken schliessen.

Letztlich können die Aussagen von Kneissl durchaus einen moderierenden und mäßigenden Einfluss auf viele Russen haben, und das ist nichts, was einem peinlich sein muss, auch wenn die meisten westlichen Staaten ihre Handlungen und Aussagen als peinlich einstufen oder so tun, als würden sie sie als peinlich einstufen.

Und weitergehend könnte man sagen, dass genau das Neutralität ausmacht: beiden Seiten gleichermaßen peinlich zu sein.

Und man könnte Kneissl auch betrachten als Ausgleich eines zu einseitigen Meinungsbilds im Westen.

CC BY 2.0 / BMEIA https://de.wikipedia.org/wiki/Karin_Kneissl#/media/Datei:2018_Karin_Kneissl_Paul_Richard_Gallagher_(16._J%C3%A4nner_2018)_(24876263787)_(cropped).jpg

Karin Kneissl: Peinlich oder zumindest teilweise lobenswerte Brücke der Kulturen ?

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