Wahrheitsvertuschung durch Weglassen von Fakten in deutschen und französischen Medien?

Journal Du Dimanche

Auf Deutsch spricht man von der Duplizität der Fälle, auf Französisch von der »loi des séries« (dem serienmäßigen Vorkommen ähnlicher Geschehnisse, die (angeblich) nichts miteinander zu tun hätten. Seit Jahrzehnten benütze ich in der Schweiz die gestaffelten Ausstrahlungszeiten von Nachrichtensendungen aus dem In- und Ausland.

Im Fall der 10 Toten in München wunderte mich zwar, wie zur Zeit der Vorkommnisse selbst deutsche Fernsehreporter sich noch auf verschiedene befragte Zeugen beriefen und von mehr als einem Täter ausgingen. Am Ende blieb nur ein geisteskranker Amokläufer übrig (dem man da und dort immerhin eine Verbindung mit dem Fall von Oslo und damit eine Inspiration aus dem rechten politischen Lager nachweisen wollte). Während der Außenreporter im Laufe der Ereignisse von mehreren Tätern auszugehen schien, sprach der deutsche Journalist im Studio systematisch von »der oder die Täter«.

Beim Machetenmörder von Reutlingen wurde in der deutschen Tagesschau der Umstand konsequent weggelassen, dass es sich um einen Asylanten handelte. Als ich heute früh nach fünf Uhr über Swisscom aufs Internet zugriff, las ich: »Ein 27-jähriger Syrer hat am Sonntagabend im bayrischen Ansbach im Eingangsbereich eines Musikfestivals einen Sprengsatz zur Explosion gebracht.« Mal sehen, ob – und wenn ja wie lange – die deutschen Medien die ausländische Herkunft des Täters »wegretuschieren«.

In den französischen Medien ging gestern ein anderes Nachspiel zum Anschlag von Nizza (84 Tote) über die Bühne. Auch hier interviewten »fliegende« Reporter Augenzeugen während und kurz nach den Vorgängen vom 14. Juli selbst. Beispielsweise den Besitzer einer Kaffeebar, die sich genau gegenüber der Stelle befindet, wo der Lkw von der Straße auf die Fußgängerpromenade abbog, obwohl es gemäß Aussagen des zitierten Beobachters für ein 15-Tonnen-Fahrzeug kein Problem gewesen wäre, die wenigen Hindernisse auf der Fahrspur einfach zu überrollen. Ich schließe daraus, dass diese durch keine ernst zu nehmende Schikanen, der Zugang zur Promenade überhaupt nicht physisch abgesperrt waren. Gestern Sonntag, den 24. Juli, erschien in der französischen Zeitung »Le Journal du Dimanche« ein Interview mit der für die Videoüberwachung am Abend des 14. Juli zuständigen Stadtpolizistin, Sandra Bertin.

Die Beamtin behauptet nichts weniger als den »Besuch« eines Funktionärs des Innenministeriums erhalten zu haben. Dieser habe sie angewiesen, ihren Rapport so zu verfassen, dass die Präsenz der »Police Nationale«, also der französische Staatspolizei, an gewissen neuralgischen Punkten erwähnt werde. Zudem hätten die Videoaufnahmen gelöscht werden sollen, um zu vermeiden, dass sie den Medien in die Hände fielen. Sie sei auch aufgefordert worden, in ihrem Bericht die Präsenz der »Police Nationale« an bestimmten Stellen zu erwähnen, obwohl sie eine solche nach eigenen Beobachtungen nicht habe konstatieren können. Dieses Ansinnen lehnte sie ab.

Der ungebetene Besucher soll sie danach mit jemandem vom Innenministerium in Paris telefonisch in Verbindung gesetzt haben, der die Herausgabe ihres Rapports in Form eines modifizierbaren Files verlangte. Die Beamtin mailte hierauf eine (theoretisch) unveränderbare PDF-Version und eine in modifizierbarem Format nach Paris.

Beizufügen ist noch, dass Christian Estrosi, von dem es heißt, dass er in Nizza das Sagen hat, ein politischer Gegner des Innenministers ist, den er angeblich der »Staatslüge« bezichtigt.

Auf France 2, dem französischen Staatssender, war gestern der Innenminister Cazeneuve präsent. Vom Journalisten befragt hörten sich seine Aussagen allerdings eher wie eine Wahlrede an. Dafür leitet er jetzt eine Verleumdungsklage gegen die Polizistin ein.

Fazit: Zurzeit scheint die Staatsraison gegenüber der journalistischen Freiheit den kürzeren zu ziehen. Wer informiert sein will, tut gut daran, möglichst viele verschiedene Quellen zu konsultieren.

2
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
5 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 25.07.2016 23:57:12

Margaretha G

Margaretha G bewertete diesen Eintrag 25.07.2016 09:46:33

Noch keine Kommentare

Mehr von enrico.bergmann