Van der Bellen: Es ist etwas faul am Dänemark-Vergleich

Beim missglückten Aufruf zur Solidarität für Kopftuch-Trägerinnen unterlief Österreichs Bundespräsident ein weiterer Fauxpas: Sein Judenstern-Vergleich über Dänemark im Zweiten Weltkrieg ist falsch

Der neue österreichische Bundespräsident Alexander van der Bellen steht in der Kritik. In einem Interview vor einem Monat, das erst jetzt näher bekannt wurde, hatte das neue Staatsoberhaupt gesagt: "Jede Frau kann ein Kopftuch tragen. Und wenn das so weitergeht [mit der] um sich greifenden Islamophobie - wird noch der Tag kommen, wo wir alle Frauen bitten müssen, ein Kopftuch zu tragen. Alle, als Solidarität gegenüber jenen, die es aus religiösen Gründen tun."

In diesem Zusammenhang griff er zu einem historischen Vergleich, der sich auf Dänemark in den Jahren 1940-45 bezog: “Wenn ich mich richtig erinnere, haben die Dänen während der deutschen Besatzung doch etwas ähnliches gemacht. Und nicht-jüdische Dänen haben angefangen, den Davidstern zu tragen - als symbolische Geste des Widerstands gegen die Deportation von Juden.”

Geschichtsbewusstsein und fundierte Kenntnisse der Vergangenheit sind eine Zier für jedes Staatsoberhaupt. Man darf sich indes fragen, welche Expertise historischer Berater van der Bellen in Anspruch nimmt. Die Geschichte mit dem Judenstern während der deutschen Besatzungszeit in Dänemark: Sie stimmt so nicht. Und vor allem: Die Schlussfolgerung, die Österreichs Bundespräsident daraus zieht, geht in eine völlig andere Richtung.

Das historische Vorbild: König Christian X. und die Judenfrage

Christian X., König von Dänemark 1912-1947, pflegte täglich frühmorgens mit seinem Pferd alleine in Kopenhagen auszureiten. Diese Freiheit ließ er sich auch nicht nehmen, nachdem Nazi-Deutschland im April 1940 Dänemark besetzt hatte. Als die deutschen Besatzer die Absicht andeuteten, dort den Judenstern einführen zu wollen, kündigte der König Widerstand an. Er soll gesagt haben: Falls solche Pläne Gesetz würden, wäre er der Erste, der sich den Davidstern anheften würde.

In dem Tagebuch des Monarchen findet sich ein Eintrag von September 1941, der darauf anspielt. Im Anschluss an ein Treffen mit Finanzminister Vilhelm Buhl schrieb Christian X.: “Wenn man sich die inhumane Behandlung von Juden anschaut, nicht nur in Deutschland, sondern auch in besetzten Ländern, muss man sich Sorgen machen, dass entsprechende Forderungen [nach Kooperation bei der Verfolgung] irgendwann auch an uns gestellt werden - welche wir aber eindeutig zurückweisen müssen mit Verweis auf ihre Rechtsstellung als dänische Staatsbürger durch die Verfassung. [...] Sollten solche Forderungen jemals erhoben werden, begegnen wir ihnen am besten, indem wir alle den ‘Davidstern’ anlegen.” (Quelle: Forschungsbericht in der Zeitung ‘Politiken’ vom 13.09.2013)

Tatsächlich gingen die deutschen Besatzer bis zum Frühjahr 1942 der Konfrontation mit dem populären König aus dem Weg: Sie wollten keinen Ärger mit dem kleinen Dänemark, das während des Zweiten Weltkriegs trotz einiger Eigenwilligkeiten pragmatisch blieb und wo weniger als 9.000 Juden lebten. Der Judenstern wurde nie eingeführt. Als im September 1943 durchsickerte, dass die jüdischen Dänen alsbald verhaftet und deportiert werden sollten, warnte der deutsche Diplomat Georg Ferdinand Duckwitz die dänische Regierung. In einer beispielhaften Rettungsaktion wurden die allermeisten der Juden von dänischen Fischern ins sichere Schweden gebracht. Jüngere Forschungen lassen vermuten, dass auch König Christian von der Aktion wusste und die jüdischen Flüchtlinge beim Neuanfang in Schweden heimlich finanziell unterstützte.

Van der Bellen und Christian X.: Nicht die gleiche Art von Solidarität

Vergleicht man den Solidaritätsaufruf van der Bellens mit der Absichtserklärung des ehemaligen Königs von Dänemark, mögen sie auf den ersten Blick ähnlich sein. Aber er gibt einen großen Unterschied. Bei König Christian trug die Absichtserklärung des furchtlosen Monarchen dazu bei, dass den Juden in Dänemark die Stigmatisierung erspart blieb. Alexander van der Bellen allerdings signalisiert mit seiner Idee zum Tragen des Kopftuchs aus Solidarität mit muslimischen Frauen, dass er sich an die reaktionäre Gedankenwelt religiöser Eiferer anzupassen gedenkt, die Freiheiten beschränken wollen - in diesem Falle: die Freiheiten der Frau.

Der neue Hausherr in der Hofburg bekräftigt damit die Stigmatisierung eines Teils der muslimischen Frauen, die das Kopftuch tragen. Diese lassen sich, vereinfacht, in drei Gruppen einteilen: a) diejenigen Frauen, die es - ohne viel Nachdenken und aus kultureller Gewohnheit - "einfach so" tragen und für die es gegebenenfalls kein großes Problem wäre, in westlichen Alltagssituationen auch mal darauf zu verzichten; b) die Frauen, bei denen sozialer Druck oder gar Zwang aus Familie, Clan oder Community dahinter steckt; c) "Kampf-Kopftuchträgerinnen", die damit offensiv einen rigiden, politischen Islam nach außen vertreten.

Bei Gruppe a) braucht man sich kaum Sorgen zu machen. Aber die Frauen aus Gruppe b) werden mit der Haltung, die van der Bellen an den Tag legt, verraten. Und indem sich der Bundespräsident gar den Kampfbegriff von der vermeintlichen "Islamophobie" zu eigen macht (siehe Kategorie c)): Damit bietet er den Vertretern des rigiden, politischen Islam eine Vorlage, denen ihre Religion - auch nach außen - wichtiger ist als unsere gewachsenen, europäisch-freiheitlichen Werte.

Christians X. Haltung war eine Demonstration gegen den Judenstern und gegen das rassistische Weltbild der NS-Besatzer. Aber van der Bellens Goodwill gegenüber Kopftuchträgerinnen ist ein - hoffentlich unbeabsichtigter - Kotau zugunsten derjenigen, die mehr politischen Islam und weniger Freiheit für Frauen wollen. Ein großer Unterschied.

Problem: Nicht unsere “Islamophobie”, sondern “Feminophobie” muslimischer Männer

Es liegt mir fern, dem freundlich auftretenden Staatspräsidenten eines befreundeten Nachbarlandes böse oder gar extremistische Absichten zu unterstellen. Dr. Alexander van der Bellen halte ich für einen Menschen, der es gut mit anderen meint und der zu freiheitlich-demokratischen Werten steht. Aber die Arglosigkeit, mit der er das Propaganda-Schlagwort “Islamophobie” - Kampfvokabel der Vertreter eines rigiden, politischen Islam - aufgreift und verwendet: Die erschrickt.

“Phobie” ist ein Begriff aus der Psychatrie. Wenn man schon in der Wertediskussion unserer Gesellschaften mit klinischen Vokabeln argumentieren möchte: Dann sollte man sich besser der “Feminophobie” von Männern mit bestimmten kulturellem Hintergrund widmen. Die führt nämlich dazu, dass in vielen Ländern - und leider auch zunehmend bei uns in Europa - die Freiheit des ohnehin schon weltweit benachteiligten Geschlechts weiter beschränkt wird. Anstatt Frauen zu drängen, ihre natürliche Weiblichkeit hinter Stoff zu verstecken, sollten Männer, die mit dieser Weiblichkeit ein Problem haben, sich lieber Scheuklappen aufsetzen. Das wirkliche Problem in der Diskussion um das Kopftuch ist nicht unsere angebliche “Islamophobie”, sondern die “Feminophobie” der anderen.

ORF / Youtube Screenshot https://www.youtube.com/watch?v=FJ260SnjsWY

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