Ordnet die Kindheit nicht der Industrie unter!

Nachdem die Wissenschaft immer mehr der Wirtschaft untergeordnet wird und das auch schon in der Politik klar kommuniziert wird, hat die Industriellenvereinigung nun ihr neues Schulkonzept vorgestellt. Gefordert wird eine "Bildungsrevolution".

Die IV fordert eine Gesamt- und Ganztagsschule mit einer "Kernzeit" von 8:30 bis 15:30 und der "Erweiterungszeit" von 7 bis 19 Uhr. Klingt bis jetzt eigentlich nicht revolutionär, sondern genau nach dem Trend der in der Politik schon länger auszumachen ist. Hier tun sich aber schon Probleme auf, so werden österreichische Ganztagsschulen von Bildungsexperten oft als Schulen mit Betreuung über den Tag beschrieben und nicht als die entsprechende Schulform mit der richtigen Förderung. Weiters ist es fraglich ob der Wechsel aus Unterricht, Lernzeit und Freizeit auf das einzelne Kind abgestimmt sein kann, braucht dieses doch keine fix regulierten Ruhezeiten, sondern individuelle Rückzugsmöglichkeiten. Es klingt aber auch ein wenig ironisch wenn die Industriellenvereinigung eine verpflichtende Ganztagsschule fordert, schließlich sind unter anderem dort am ehesten Leute zu finden, die ihre Kinder auf Privatschulen schicken können, statt sie mit "normalen" Kindern zum Durchschnitt erziehen lassen zu müssen. Übrigens sieht man an aktuellen Zahlen, dass nur sehr wenige Kinder in Österreich Ganztagsschulen besuchen.

"Individualisierter Unterricht, der Stärken und Talente fördert und auf Methodenvielfalt setzt", ist auch auf der Homepage der IV zu lesen. Klingt nicht nur gut, sondern ist auch eine Forderung die ich stellen würde. Verändern muss sich nämlich was im Bildungssystem, aber nicht einfach nur bei den Schulformen, sondern bei der Art der Ausbildung. Kinder und Jugendliche sollen ihre Talente kennen lernen und ausleben dürfen, egal ob ihm Sport, der Kunst oder sonst wo. Man könnte leicht außerschulische Aktivitäten, Vereine und vieles mehr integrieren. Weiters halte ich es für falsch, dass mittlerweile in Gymnasien Literaturgeschichte den Schülern eher verwehrt bleibt, um Zeit für die "wichtigen lebensnahen Textsorten", wie zum Beispiel Leserbriefe, zu haben. Individuelle Förderung statt Lernen für die nächste Prüfung wäre vermutlich die wichtigste Neuerung für das österreichische Schulsystem, aber das würde eben mehr Kenntnisse als bei der Änderung einer Schulform benötigen und wer setzt hier an?

Die neue "Bildungspflicht" soll laut IV übrigens mit 4 Jahren beginnen, nämlich mit einem verpflichtenden Kindergartenjahr. In weiterer Folge fängt dann für das Kind die Schule mit 5 Jahren an. Spätestens hier sollte ein Aufschrei erfolgen, schließlich widerspricht das den aktuellen Erkenntnissen von Pädagogen, die es für nötig halten das Kindern die Chance eingeräumt wird selbst Erfahrungen zu machen, statt in frühester Kindheit mit reformbedürftigem Einheitsbrei ruhiggestellt zu werden. Ein Schelm, wer hier wirtschaftliche Motive ausschließt. Übrigens sollte man nicht vergessen das Lehrer und andere Pädagogen nicht die Erziehungspflicht der Eltern übernehmen, weder ist dies erstrebenswert noch hat man Kapazitäten dafür. Kinder brauchen auch daheim Bezugspersonen und dies, gerade in jungen Jahren, definitiv nicht zu knapp.

Strukturiert soll das Ganze in drei Phasen sein, wobei es hier unterschiedliche Schwerpunkte und kein Sitzenbleiben geben sollte. Dass sich die IV da anscheinend mehr um Berufskompetenzen in den Phasen gekümmert hat, als um das genaue Konzept, muss ja auch ein Zufall sein. Die private oder öffentliche Finanzierung und die geforderte hohe Autonomie der Schulen wirken mehr wie ein Denkansatz, beziehungsweise eher eine Forderung, in eine klare Richtung, aber ohne diese wirklich zu spezifizieren. Letztendlich versucht man noch mit dem Wunsch nach laufender Weiterbildung der Pädagogen Punkte zu sammeln. Sagt sich ja ganz nett, wäre aber auch konkret auszuführen was man sich da genau vorstellt.

Die Industriellenvereinigung kann hier noch so oft von "Bildungsqualität in der Breite", "Chancengerechtigkeit" und "soziale[r] Selektion" sprechen, so einfach wird sie aber zurecht den Vorwurf der Unterordnung der Kindheit unter ihre Eigeninteressen nicht los. Schließlich spielen viele Punkte auf wirtschaftliche Faktoren an, Schule für das 5-jährige Kind ist hier sicher der zentralste. Die IV hätte sich auch auf ein wirklich konkretes Konzept beschränken können, ohne Pädagogen beim Kindergarten ins Handwerk zu pfuschen. Viel ändern möchte man ja, aber gelungen scheint der spezifische Entwurf des Projekts "Bildungsrevolution" noch nicht zu sein. Nicht für das individuelle Kind und alleine dadurch darf es so auch der Allgemeinheit nicht passen. Veränderung gehört im Bildungsystem definitiv in aller Dringlichkeit her, aber nicht indem man die Kindheit der Wirtschaft komplett unterordnet.

Lasst unsere Kinder Kinder sein, das sind wir ihnen auf jeden Fall schuldig!

Anmerkungen: Schulkonzept der IV: http://www.iv-net.at/b3488

Aktuelle Zahlen zur Ganztagsschule: http://diepresse.com/home/bildung/schule/4599063/Nur-jedes-40-Kind-geht-in-eine-echte-Ganztagsschule?direct=4598778&_vl_backlink=/home/bildung/index.do&selChannel=499

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Silvia Jelincic

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