Einordnung zum offenen Brief von Anette Riehl, Pensionsbetreiberin aus Wittenberge
Liebe Frau Riehl, Danke für Ihren Brief. Ich komme aus Thüringen und kann Sie gut verstehen. Auch wir versuchen alles, damit der Rest des Landes ein faires Bild von Thüringen hat.
Dennoch glaube ich mittlerweile, dass wir nicht an andere appellieren sollten, sich selbst ein Bild von der Situation, von uns zu machen.
Wir müssen diejenigen, die unser Land bewusst kaputt machen wollen, ächten, wo es nur geht. Schilder aufstellen: Nazis unerwünscht, die Straßenseite wechseln, wenn sie vorbeilaufen, Versammlungen boykottieren, keine Räumlichkeiten zur Verfügung stellen, stets und ständig und überall konsequent deren Hass entgegentreten. Und zwar wir alle, denn das tun leider immer noch zu wenig.
Beste Grüße aus Thüringen.
Hier nun der Brief von Frau Riehl:
Seit 9 Jahren betreiben wir eine kleine Pension in Wittenberge, in der Prignitz in Brandenburg direkt am Elberadweg. Es ist ein 120 Jahre altes Haus, das wir in mühevoller Arbeit von Grund auf selbst saniert haben. Wir sind stolz auf das, was wir hier geschaffen haben. Jedes Jahr kommen unzählige Fahrradtouristen, um die wunderschöne Natur der Elbtalaue zu erkunden. Abends sitzen die Urlauber zusammen auf der Terrasse und tauschen sich über ihre Erlebnisse aus. Auch ich als Gastgeberin führe gerne angeregte Gespräche mit meinen Gästen.
Dieses Jahr ist alles anders. Ab Anfang März kamen statt Buchungen für den Sommer nur noch Stornierungen. Gäste kommen nur noch vereinzelt. Es ist Pfingsten. Wir starren auf das Handy und hoffen, dass doch noch Gäste den Weg zu uns finden. Leider nicht. Es ist nur ein Zimmer vermietet. Auch die zahlreichen kleinen Restaurants und Cafés in der Innerstadt bleiben leer.
Die politische Landschaft Deutschlands hat sich gewandelt, und insbesondere im Osten des Landes sind die Wahlen der AfD nicht ohne Folgen geblieben. Diese Entwicklung zeigt sich auch in der Tourismusbranche, wo viele Pensionsbetreiber und Hoteliers mit einem deutlichen Rückgang der Gästezahlen kämpfen. Pensionen und kleine Hotels, die oft von Familien betrieben werden, sind stark auf ein stabiles Gästeaufkommen angewiesen. Wenn sich jedoch das Image eines Ortes negativ verändert, kann das schwerwiegende Folgen haben.
Ein Grund für den Rückgang der Gästezahlen könnte eine gewisse Skepsis gegenüber den politischen Verhältnissen in diesen Regionen sein. Wer möchte schon in einem Umfeld Urlaub machen, in dem extremistische Meinungen verbreitet sind? Viele Urlauber könnten Bedenken haben, dass sie in eine Umgebung reisen, in der sie möglicherweise konfrontiert werden mit intoleranten Ansichten oder sogar Diskriminierung.
Aber was können wir dagegen tun? Wir gehen zu Demokratieveranstaltungen, sagen offen unsere Meinung gegen rechts. Aber leider ist das nicht genug.
Um den Tourismussektor wiederzubeleben, müssen alle Beteiligten an einem Strang ziehen und gemeinsam für ein positives Image der Region arbeiten. Nur so kann der Reiz dieser schönen Orte für Reisende aufrechterhalten werden, ungeachtet der politischen Meinungen, die in der Gesellschaft kursieren.
Unsere Stadt hat in den letzten Jahren viel in die Infrastruktur für den Tourismus investiert. Es gibt neue Radwege, Tourismuskonzepte für Tagesbesucher und Indoor-Aktivitäten für Familien. Das Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe-Brandenburg bietet die besten Voraussetzungen für Ökotourismus. Es gibt eine große Anzahl an kleinen Pensionen und Hotels, die nur darauf warten, ihren Gästen einen angenehmen Aufenthalt zu ermöglichen.
Die kulinarische Vielfalt in Wittenberge umfasst persisch, indisch, griechisch und einiges mehr. Der Einbruch der Buchungen um ca. 30 Prozent in diesem Jahr bedeutet für viele dieser kleinen Unternehmen eine existenzielle Bedrohung.
Ja, ein großer Teil der Prignitzer Bevölkerung hat die AfD gewählt, aber die Mehrheit unserer Mitbürger wünscht sich ein demokratisches und tolerantes Miteinander, damit wir alle von dem guten wirtschaftlichen Weg, den unsere Stadt in den letzten Jahren eingeschlagen hat, profitieren. Dazu trägt der Tourismus in unserer Region einen großen Teil bei.
Liebe Touristen, bitte gebt uns eine Chance! Es gibt hier viele tolerante Menschen, unberührte Natur und viele Sehenswürdigkeiten in den Altstädten. Machen Sie sich ein eigenes Bild von unserer Region und kommen Sie mit uns ins Gespräch. Nur so können Vorurteile ausgeräumt werden.