Ich kenne ihn nicht, aber seine Stimme

Ich hab mich verliebt. Ich hab mich in eine Stimme verliebt. Unerklärlich, unfassbar, plötzlich ist es passiert. Angefangen hat alles mit einem Wasserrohrbruch. Nie wieder will ich einen Wasserrohrbruch in meiner Wohnung haben! Wirklich - nie wieder. Ich hab mich also um die Handwerker gekümmert, die haben sich dann um den Schaden bemüht. Neben den gefühlten hundert Männern in Latzhosen musste ich auch meine Versicherung kontaktieren. Mein eigentlicher Vertreter hat sich in die Pension verabschiedet, meiner Meinung nach viel zu früh und außerdem wenn man ihn dann endlich mal echt brauchen könnte - dann ist er halt leider nicht mehr dafür zuständig. Nach minutenlangem Warten in der Warteschleife, eine männliche Stimme. Diese Stimme erklärte mir, dass der neue, mir zugeteilte, Versicherungsmarkler auf Dienstreise und erst in ein zwei Tagen für mich erreichbar sei. Stille! Soll ich jetzt mit der auffallend anziehenden Stimme schreien, toben oder auflegen und heimlich durch die Decke schießen. Ich entscheide mich für die zweite Variante, bedanke mich für die Information und lege auf. Typisch, denke ich mir, klassisch. Wenn ich tatsächlich mal einen dieser Anzugsträger brauche - nicht im Haus, in Rente oder auf Dienstreise oder im Urlaub. Mir wird kalt und heißt zu gleich. Die Handwerker stressen schon, wegen Abwicklung und Kostenübernahme. Einer davon fragt mich bereits zum fünften Mal, ob ich überhaupt eine Versicherung habe. Na klar, sag ich, ich versichere quasi alles. Aber leider ist der zuständige Herr erst in zwei Tagen für mich erreichbar. Folge ist, dass alle Vorgänge in meiner Wohnung stehen. Vorübergehend bin ich in die Pension gegenüber gezogen. Eigentlich gar nicht schlecht - es wird für mich geputzt, der Kaffee wird mir serviert und das Brot ist täglich frisch.

Diese Stimme geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Der Mensch, dem diese Stimme gehört, muss unglaublich gut aussehen, unglaublich nett und unglaublich toll sein. Ich brauche einen Vorwand, damit ich diesen Typen noch einmal erreiche. Ich muss diese Stimme noch einmal hören. Nach ein paar Überwindungskämpfen entscheide ich mich für folgende Ausrede "Die Handwerker haben alles liegen und stehen gelassen, bevor ich nicht den Beweis habe - eine Versicherung zu haben". Es funktioniert, die gewünschte Stimme spricht mit mir. Genau kann ich es nicht beschreiben, aber es ist passiert - wir haben plötzlich geplaudert. Wir haben telefoniert, als würden wir uns schon seit Jahren kennen und hätten uns zufällig wieder getroffen. Er erzählt von seiner Arbeit, wie lange er schon dabei ist und dass er in seiner Freizeit gerne in die Berge fährt. Ich rede über meinen Wasserschaden und wie sehr ich das Leben in der Pension genieße. Es ist ein sehr freundliches und auch lustiges Gespräch. Wir legen auf - er kann mir bei meinem eigentlichen Problem nicht helfen, ich soll geduldig sein - meint er. Aber dass ich es sogar nicht mit der Geduld habe, verschweige ich ihm.

Mein Wasserschaden in der Wohnung ist Geschichte, alles erledigt. Die Versicherung hat bezahlt, die Handwerker sind abgezogen und ich bin wieder in meine Wohnung eingezogen. Alles läuft wieder auf Schienen, nach Plan. Letzte Woche war ich auf Dienstreise, ganz gewöhnlicher Termin. Eine Kollegin und ich. Wir sitzen im Zug nach Wien. Da höre ich diese Stimme. Anfangs bin ich mir nicht sicher, aber nach und nach bleibt kein Zweifel - das muss der Mann von der Versicherung sein. Ich versuche nicht nur die Stimme zu hören, sondern auch seine Wörter zu verstehen. Er spricht von einer bevorstehenden Hochzeit, der Organisation der Location, des Essens und seines Anzuges. Mir wird schlecht! Das darf doch gar nicht wahr sein. Ich hab mir bereits das eine oder andere Treffen mit dem unbekannten Mann ausgemalt, ausgedacht und weiter geträumt. Unauffällig gehe ich bei ihm vorbei, um ihn einfach mal zu sehen. Er sieht verdammt gut aus! Besser als angenommen. Sein dunkelblauer Anzug steht im ausgesprochen gut. Unfair, denke ich mir, dass ich nie Männer begegne bei denen es unkompliziert sein kann.

Nach einem kurzen Wutausbruch und neuer Gedankensortierung entscheide ich mich ihn anzusprechen. Alles auf eine Karte zu setzen. Ist doch egal, denke ich mir - was habe ich so verlieren. Ich stelle mich ihm vor, mit Namen - Schadens- und Versicherungsnummer. Er lacht. Wie schön doch auch sein Lachen ist. Und diese Stimme! Seine Mitfahrer, beide männlich, sehen mich komisch an. Ich fühle mich auch seltsam. Gehe wieder zu meinem Platz zurück und irgendwie ist es mir jetzt peinlich. War das notwendig? Wie ein 16-jähriges Mädchen bin ich vor dem urcoolen Typen aus der ganzen Schule gestanden.

Wie wir am Westbahnhof ankommen, wartet er vor der Rolltreppe auf mich. Sein Gefolge ist weg, meine Kolleginnen verabschiedet sich und flüstert mir nur leise zu, dass sie in der Hotel Lobby auf mich wartet. Er lädt mich für den nächsten Tag zum Kaffee trinken in sein Büro ein. Bei meinem Fall sein noch Details offen, die in einem persönlichen Gespräch unverzüglich geklärt werden könnten. Ich lächle, etwas gezwungen - wäre da nur nicht die Geschichte mit der Hochzeit. Er drückt mir mit einem "ciao bis morgen" seine Visitenkarte in die Hand  [....] !!!

1
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:14

1 Kommentare

Mehr von MarieGrün