Eigentlich wollte ich nichts zur aktuellen Debatte um die Flüchtlings-/ Asylpolitik schreiben. Über die unqualifizierten, selbstgefälligen Kommentare in den Sozialen Medien. Über die Hilflosigkeit der nationalen und EU-Politik. Und die Blindheit gegenüber globalen Zusammenhängen und Aktivitäten. Ich lasse dennoch meinen Emotionen freien Lauf. Auf meine Art.

„Intellektuelle haben als die Hofnarren der modernen Gesellschaft geradezu die Pflicht, alles Unbezweifelte anzuzweifeln, über alles Selbstverständliche zu erstaunen, alle Autorität kritisch zu relativieren, alle jene Fragen zu stellen, die sonst niemand zu stellen wagt.“ Ralf Dahrendorf

Und das tue ich hiemit.

I) Wenn Mark Zuckerberg sich rühmt, durch Facebook und seine mittlerweile 1 Milliarde Nutzer die Welt dazu veranlasst zu haben, näher zusammen zurücken, entspricht das der Wahrheit?

Ich sage nein. Facebook wie alle anderen Soziale Medien sind mittlerweile keine Plattformen der freien Meinungsäusserungen sondern machen Politik. Nicht im parteipolitischen Sinne. Im geopolitischen, gesellschaftspolitischen und wirtschaftspolitischen Sinne. Politik wird mit einem Blick auf die Meinung in den Sozialen Medien gemacht. Ohne Filter. Ohne Hinterfragung des Wahrheitsgehaltes. Der Volksmeinung wegen. Ein ochlokratischer Zugang.

Das „Erzwingen“ von politischen Massnahmen, die angeblich Volksmeinung sind und daher zu beachten sind, der freien Meinungsäusserung und der Demokratie geschuldet. Die Macht dieser Konzerne als unkontrollierte Parallelsysteme haben auch andere global agierende Konzerne erkannt. Wie zb Goldman Sachs, das mit knapp 1 Prozent an Facebook beteiligt ist. Die Holding Alphabet des Google Gründers Larry Page macht alleine durch den Namen klar, was sie sein will: Provider aller Lösungen für den Menschen von A bis Z. Und all diese Medien spielen mit den übelsten Charaktereigenschaften des Menschen: mit der Denunziation, dem Neid und dem Hass.

II) Ist die Schuld der nicht vorhandenen Flüchtlingspolitik bei der EU zu suchen? Oder fällt sie wieder den Nationalstaaten zu?

Die Europäische Union hat ein riesiges Problem: das mangelnde Selbstbewusstsein. Sie ist die Wiege der Demokratie und der Aufklärung, sie hat über Jahrhunderte einen Wertekatalog mühsamst erarbeitet, der sich eigentlich als starkes Asset der EU in der Welt bewahrheiten sollte. Sie ist Wahrer und Hüter der sozialen Markwirtschaft. Sie ist vor allem das Europa des Mittelstandes. Noch. Im Gegensatz zu den USA gibt es keine Todesstrafe, es gibt keine vergleichbaren Geheimdienste als wesentliches Rückgrat einer überwachten Gesellschaft. Und sie hat mit ihrem Wahlsystem und der starken Rolle des Parlamentarismus das wohl beste politische Modell, das eine Zivilgesellschaft zu entwickeln vermag.

Sie hat aber auch das Problem, dass sie nicht ernst genommen wird. Weder von ihrer Bevölkerung (siehe Wahlbeteiligung 2014) noch von den Regierungsvertretern ihrer Mitgliedstaaten. EU – Armee? Wird nicht angegriffen.  Bedeutete sie doch eine offene Emanzipation und Konfrontation mit den USA (NATO). Ein europäischer Währungsfonds? Dito. Eine europäische Ratingsagentur? Idem. Eine stärkere Kooperation mit den BRICS Staaten und damit ein eigenständiger europäischer Weg, losgelöst von amerikanischen Interessen? Nicht möglich, jetzt, wo der Dollar wieder auf dem Weg zur weltstärksten Währung ist. Laut Lissabonner Vertrag ist es möglich, EU Mitgliedsländer zu klagen, die nicht nach dem Wertekatalog der EU handeln. Mit Orban anlegen? Bitte nicht. Er könnte sich doch Richtung Russland orientieren.

An Griechenland wurden weitere Hilfszahlungen geleistet, um die Währungsunion weiter durchzulavieren statt ihr den unverzichtbaren politischen Unterbau zu geben. Das würde bedeuten, die Europäische Union zielgerichtet zu einer Fiskal- ,Wirtschafts-, Sicherheits- und Sozialunion zu entwickeln.

Dass Griechenland die mittlerweile neunte Regierung in 15 Jahren hat und damit ein völlig instabiler Partner ist und dem europäischen Ideal widerspricht, stört niemand. Wo ist die Stringenz? Übrigens ist in Deutschland der Mittelstand in den letzten 8 Jahren um 20 Prozent zurückgegangen. Die Entwicklung in anderen EU Staaten scheint ähnlich. Was bedeutet das nun  im sozialpolitischen Sinne angesichts der tausenden Flüchtlinge, die ein Teil dieser Gesellschaft werden?

III) Ist das Versagen des Parlamentarismus die Bankrott-Erklärung für den Humanismus und Liberalismus in Europa?

Ich sage ja. Dahrendorf sprach von einem illiberalen ersten Europa, das in Bürokratie und Administration versinkt. Und so agiert auch die Bevölkerung. In Österreich glauben mittlerweile knapp 25 Prozent der Bevölkerung die Regierung zu wählen. Die Gewaltentrennung ist weder bekannt noch bewusst. Im Brennpunkt der Kritik stehen die Regierungsvertreter. Dass die Klubobleute zu dem Flüchtlingsthema komplett schweigen, scheint niemanden zu stören. Ohne Parlament (Volkskammer!!!!) keine Gesetze. Warum empört sich das Volk nicht? Warum klagt es die Regierung an? Warum fordert es seine Volksvertreter nicht auf, etwas gegen die Untätigkeit derselben zu unternehmen? Warum lassen es „unsere“ Volksvertreter zu, dass sich der Nährboden für Radikalismus auftut? Weil wir politisch ungebildet sind. Weil wir in unseren Bildungsstätten nicht dazu animiert werden, aufzustehen, Meinung zu äussern, kritische Fragen zu stellen und damit gegen den Strom zu schwimmen. Und dies nicht chimärenhaft in den Sozialen Medien zu tun sondern täglich in unserem Umfeld. Beruflich wie privat.

IV) Warum wird das amerikanische Finanzsystem als Vorbild für die EU genommen? Um im internationalen Wettbewerb zu bestehen?

Ich sage wiederum nein. Die Kapitalmarktunion widerspricht dem europäischen Geist. Dem Europa des Mittelstandes und der KMUs. Der Realwirtschaft und der Kundenbanken. Einem System, das Europa sehr stark gemacht hat. Natürlich unangenehm stark. Es gab Zeiten, in dem der Euro fast doppelt soviel wert war wie der Dollar. Das ist natürlich nicht im Sinne der USA. Und daher tragen Massnahmen wie TTIP das Risiko des verstärkten US-Einflusses auf die EU in sich wie auch die Kriegsschauplätze in Europas Umgebung das Risiko der Destabilisierung derselben bedeuten. Mit den daraus resultierenden Migrations- und Flüchtlingsströmen.

Übrigens haben die USA auch in vielem Vorbildwirkung für EU. Wie schon an anderer Stelle hier erwähnt ist der GlassSteagall Act für EU genauso essentiell wie die „Federalist Papers“ von Alexander Hamilton.

Conclusio: Ich habe nicht über die amerikanischen Präsidentschaftskandidaten geschrieben, nicht über Corbeyn, Blair und Cameron. Nicht darüber, wie Flüchtlingsströme die Nachbarschaft des aufstrebenden Kolumbien mit Venezuela beeinträchtigen. nicht über Afrika, das von Europa rein von seiner Energieressourcenpolitik nicht auf dessen Agenda steht.

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Silvia Jelincic

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