Wie war das mit den Verhandlungen und den Sicherheitsgarantien?

Leider kursiert gerade sehr viel Unsinn über die russisch-ukrainischen Verhandlungen: niemand redet mit Russland, die Ukrainie verweigert Verhandlungen, Westen verbietet Ukraine zu verhandeln etc.

1: Es wird verhandelt, und zwar dauernd und schon sehr lang!

Das Normandie-Format, zusammen mit Deutschland und Frankreich verhandelte 2014/15 die Minsker Vereinbarungen und 8 Jahre lang deren Umsetzung - die nie gelang, weil Russland und die Ukraine sich über grundlegende territoriale und Statusfragen uneins waren.

Am wichtigsten aber: Russland bestritt seine Rolle als Konfliktpartei (die es war!) und versuchte, die Verhandlungen zu missbrauchen um seine politischen Ziele in Ukraine zu erreichen.

Von 12/2021 bis 02/2022 fanden intensive Verhandlungen über russische Forderung nach „Sicherheitsgarantien“ statt.

Das war ein Ultimatum, mit dem USA und NATO zur Aufteilung Europas in Einflusszonen gezwungen werden sollten. Welcher Einflusszone sollte wohl die Ukraine angehören? Richtig! Russland versuchte, in einem Moment westlicher Schwäche (Afghanistan-Abzug!) die „Ukraine-Frage“ ein für allemal zu regeln.

Hat nicht geklappt. Also traf Putin die mörderische Entscheidung, unprovoziert das Nachbarland zu überfallen und zu vernichten. Hat auch nicht geklappt, wie wir heute wissen.

Von 28.02. bis 17.05. verhandelten UA und RU direkt und mit der Türkei über die Vermittlung über einen Waffenstillstand.

Russland wollte einen Diktatfrieden und Selbstauflösung („Entnazifizierung“) der Ukraine. Die UA machte weitreichende Kompromissvorschläge (Stichwort: Istanbul Kommuniqué, IK).

Was sich parallel veränderte war der militärische und der politische Kontext der Gespräche:

RU scheiterte mit dem Versuch, UA in wenigen Tagen zu überrennen; die in den im April befreiten Gebieten aufgedeckten genozidalen Kriegsverbrechen und die Schlacht um Mariupol im April/Mai ließen in der UA Vertrauen und gesellschaftliche Unterstützung für Verhandlungen schwinden.

Der UA gelang es außerdem, auch mit westlicher Unterstützung, das militärische Gleichgewicht zu verschieben.

Am 17.5. zogen sich beide Parteien aus den Gesprächen zurück.

Es wurde aber weiter verhandelt über 1) hum. Fragen; 2) Getreideexporte; 3) das UA AKW Saporischschja.

Erfolgreich war das Getreide-Abkommen, aus dem unter TR und UN Vermittlung am 22.7. ein Abkommen hervorging. RU begann sofort, den Deal propagandistisch zu unterlaufen und versuchte am 29.10., ihn zu zerstören. (Exkurs: dass Putin damit scheiterte zeigt, wie sehr er sich durch den Krieg gegenüber Akteuren wie Erdogan oder XiJinping selbst geschwächt hat!).

Dank der Kontakte über humanitäre Fragen gelingen immer wieder Gefangenenaustausche.

Das Abkommen zu Saporischschja hat RU mit der proklamierten Annexion von 4 weiteren ukrainischen Gebieten im September beendet - denn nun wird behauptet, das AKW läge auf russischem Gebiet.

2: Russland (nicht die Ukraine) erschwert durch seine auf allen Ebenen destruktive Politik jede Form von Verhandlungen!

Das hat die jüngste Annexion noch einmal eindrucksvoll belegt.

Die bedeutete eine massive Eskalation des Krieges und macht eine diplomatische Lösung bis auf Weiteres unmöglich. Das Istanbul Kommuniqué vom März ist passé. Auch die TR-Vermittlung ist erschwert (Erdogan hat sich mehrmals ausdrücklich gegen die Annexion gewandt).

3: Nur weil der Westen nicht selbst beteiligt ist heißt das nicht, dass es keine Verhandlungen gibt!

Ich frage mich manchmal, ob das Lamento nicht auch der üblichen westlichen Selbstabsorption entspringt. Die Vermittlung haben erst einmal andere übernommen, nachdem RU mit dem Überfall die bestehenden Formate unter westlicher Beteiligung vernichtet hatte. Erdogan ist für beide Seiten ein akzeptabler Gesprächspartner. Und bei aller Kritik und Skepsis muss man ihm lassen, dass er den Job bislang sehr gut gemacht hat.

Zu danken ist auch UN-Generalsekretär Guterres. Westliche Akteure werden erstmal auf flankierende Maßnahmen beschränkt bleiben. Und sie müssen im eigenen Interesse der Ukraine weiter dabei helfen, das militärische Gleichgewicht bis zu dem Punkt zu verschieben, an dem Russland einsieht, dass es diesen Krieg mit Waffen nicht gewinnen wird. Dann wird es Verhandlungen geben, und zwar solche, in denen ukrainische Eigenstaatlichkeit, Unabhängigkeit und territoriale Integrität wahren kann. Das muss das Ziel sein - nicht Verhandlungen um jeden Preis.

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Dieter Knoflach

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