Bald beginnt sie ja wieder – die angeblich friedlichste Zeit im Jahr. Von der man allerdings immer nur hört, wie gestresst alle Menschen sind, da sie diverse Punsch-Einladungen, Adventkranzbinden-Daten und Geschenkekäufe unter einen Hut bringen müssen. Innerhalb von vier Wochen. Um etwas mehr Spielraum zu haben, eröffnen die Punschstände von Jahr zu Jahr früher und die Weihnachtsleckerein kann man bei diversen Supermärkten bereits im August besorgen – bitte das Haltbarkeitsdatum beachten! Ich persönlich könnte ja jedes mal schreien, wenn ich die Weihnachtsmänner in den Süßigkeitenregalen sehe, kaum dass die Osterhasen – die dann immer so gegen Ende Februar Einzug in die Geschäfte halten – sehe. Unsere Welt. Vorausdenkend, stressig, nie im Moment sondern immer schon am Ziel befindlich sein wollen, bevor der erste Schritt getan ist. Die Geschenke besorgt haben, während draußen noch die Sonne vom Himmel lacht und an Winter, Weihnachten und Festlichkeit noch nicht mal annährend zu denken ist. Unsre schöne, neue Welt.

Jetzt kann man sagen, auch ich verfasse einen Text, der ja viel zu früh ist. Das stimmt – touché. Allerdings – ich habe überlegt, ihn erst kurz vor dem Feste zu veröffentlichen, habe mich aber bewusst für eine Vorab-Veröffentlichung entschieden. Wieso? Vielleicht, um bereits VOR all der nahenden Hektik ein wenig anzuregen, es diesmal eventuell ruhiger angehen zu lassen – und wenn es nur für einen Abend ist. Aber nun weiter zum Text …

Die Familie streitet noch einmal ausgiebig, bevor sie wieder heile Welt spielt, schließlich soll bei den Verwandten kein falscher Eindruck entstehen. Weihnachten ist ja das Fest der Liebe, welch besinnliche Zeit. Den beiden Kindern ist langweilig, sie können die Bescherung kaum noch erwarten - wo es doch so viele Geschenke geben wird. Der alljährliche Gang in die Kirche kommt da als Abwechslung gerade gelegen, vergeht die Zeit nun endlich etwas schneller. Kichernd den ältlichen Damen dabei zuhören, wie inbrünstig und ebenso falsch die Gotteslöber in die Luft schmettern, sich am Wachs verbrennen, das vom Friedenslicht herabrinnt, weil man wieder einen Behälter dafür vergessen hat, verzweifelt die Flamme abschirmend, damit es nicht bereits am Weg zurück auf die Kirchenbank ausgeht – wäre dies doch ein gar schlechtes Zeichen für das kommende Jahr, den Frieden im Keim erstickt, keine drei Meter weiter gekommen. Notiz an einen selbst – das nächste Mal sicherheitshalber ein Feuerzeug mitnehmen, um im Fall der Fälle wenigstens den Schein zu wahren, man bringe das originale Friedenslicht nach Hause.

Zuhause angekommen noch schnell die etwas öde Licht ins Dunkel Gala ansehen, überlegen, ob man selbst spenden würde, was man mit der Summe des bereits gespendeten Geld – das der anderen Leute, nicht das der eigenen Spenden- so alles anstellen könnte. Mehr Luxus. Mehr Statussymbole. Mehr Neid der anderen.

Dann ist es soweit - das Klingeln des feinen Glöckchens, das das Fortgehen des Christkindes und somit das Beginnen der Bescherung einläuten soll, ertönt.

Die Geschwister stürmen lachend in das Wohnzimmer, bemerken die tadelnden Blicke der Großeltern nicht, die ihnen kopfschüttelnd hinterher sehen. Es trifft sie der besänftigende Blick der Tochter, der sagen soll, dass sie ja noch Kinder seien, die den Sinn von Weihnachten nicht wirklich verstehen. Die Begründung scheint auch den Onkel und die Tante zu beruhigen, die leider etwas zu spät gekommen sind, da sie gemeinsam mit vielen anderen Reiselustigen auf der Autobahn im Stau gestanden sind - und das an Heiligabend. Aber man will sich nicht darüber ärgern, den Weihnachtsfrieden nicht stören. Hinnehmen. Stille Fluchworte denken, hinunterschlucken, husten, entschuldigend die anderen ansehen. Sollte man wirklich an ungesagten Worten ersticken können?

Während des Singens des traditionellen Weihnachtsliedes "Stille Nacht" wandern die Blicke der Kinder sowie die der Erwachsenen suchend umher, streifen die kleineren Geschenke, um an den großen und größten hängenzubleiben, in der Hoffnung, ihren eigenen Namen darauf zu entdecken und ihr Eigen nennen zu dürfen. Nur die Großeltern trällern- gleich den selbsternannten Kirchenchordamen- ebenso falsch wie laut aber voller Begeisterung ein Weihnachtslied nach dem anderen, bis die CD zu Ende ist. Endlich. Dann beginnt offiziell der heißersehnte Teil des Abends - die Geschenkesuche.

Jeder wirft sich ins Getümmel unter dem Christbaum, die Krippe wird von einer Seite zur anderen geschoben, sie steht sie doch bloß im Weg herum bei der Mission, die meisten Geschenke zu finden.

Zwischen Papierrascheln und dem Öffnen von Kartons kann man dankende Worte hören, die im allgemeinen Trubel jedoch untergehen. Heimlich wird im Kopf überschlagen, wieviel die eigenen Aufmerksamkeiten wert sind und mit dem verglichen, was man selbst erhalten hat. Man will schließlich wissen, wer wieviel ausgegeben hat, wo er eingekauft hat und was der Schenkende sich dabei gedacht hat. Natürlich nur interessehalber, immerhin geht es ja nicht um den Konsum. Weihnachten bedeutet doch etwas ganz anderes. Was das allerdings ist, darüber wird man sich bis zum nächsten Jahr dann Gedanken machen, das hat hier nun wirklich keinen Platz.

Während die Kinder noch mit dem Zusammenbauen ihrer neuen, ferngesteuerten und vor allem krachmachenden Modellautos beschäftigt sind, versuchen die Erwachsenen möglichst höflich und ohne undankbar zu wirken herauszufinden, wer was von wem bekommen hat und man vergleicht die Dinge der anderen mit den eigenen. Wie schneidet man ab im GEswchenke- Vergleich? Was sagt das über die Rangordnung in der Verwandtschaft aus? Wird jemand bevorzugt? Und wenn ja – wieso nicht man selbst?

Das Gesicht des Jungen ziert ein Lächeln bei dem Gedanken, was er statt Omas Fehlgriff in Sachen Pullover beim Umtauschen im Weihnachtsschlussverkauf ergattern wird und lässt den ungeliebten Pulli unter den weiteren Geschenken verschwinden, nachdem er sich höflichst bei der alten Dame dafür bedankt hat, welche sich wiederum freut, genau den Geschmack ihres Enkels getroffen zu haben, obwohl er mit seinen 15 Jahren ja in einem schwierigem Alter zu sein scheint , den Berichten der Tochter nach. Heimlich beschließt sie, ihm zu seinem Geburtstag den selben Pullover in einer anderen Farbe zu kaufen und freut sich über das gelungene Geschenk.

Wie jedes Jahr beäugen die Schwestern jeweils die Gabe der anderen um sich dann selbst als Sieger in diesem ewigen Konkurrenzkampf um das beste und originellste Geschenk für die eigene Mutter zu rühmen. Das hatte sie ja wieder gut gemacht.

Während das Essen noch fertig gekocht wird, wird der Christbaum bestaunt und für die tolle Farbkombination sowie die perfekte Form gelobt - dass man den eigenen Baum hübscher findet, braucht ja keiner zu wissen, das werden die anderen sowieso noch früh genug sehen und erkennen müssen. Immerhin stattet man während der Feiertage brav jedem einzelnem Haushalt einen Besuch ab, Glühwein um Glühwein, Keks um Keks.

Die Mutter deckt den Tisch, bläst dabei das soeben eingetroffene und mühsam nach Hause transportierte Licht von Bethlehem, auch Friedenslicht genannt, aus, da es nicht zur Dekoration des Tisches passt. Innerlich stöhnt der Junge, der es doch so sorgsam nach Hause retten konnte und wirft dem Rücken der Mutter einen Blick zu, der keinerlei Frieden verheißt. Rachepläne schmiedend.

Vor dem Essen beklagt man sich wie jedes Jahr über die Weihnachts - Völlerei, der man leider nicht entgehen kann, denn das würde von schlechtem Benehmen zeugen bevor dann alle die traditionelle Pute und die restlichen drei Gänge genießen. Obwohl alle schon satt sind, greifen sie auch noch bei der Torte zu und lassen sich die selbstgemachten Weihnachtsplätzchen gut schmecken. Gefastet wird nach den Feiertagen wieder . Dies kann man stundenlang diskutieren, sodass einem fast der Spaß und Genuss am Festmahl vergehen könnte.

Die Frauen versuchen die anderen mit den jeweils besten und einfachsten Rezepten für perfekte Vanillekipferl zu übertrumpfen, während die Männer sich über die Biersorte unterhalten, die am besten zu dem Truthahn passt - echte Kenner eben.

Dann prahlen alle mit ihren Besuchen von Weihnachtsmärkten, Konzerten und festlich geschmückten Orten, die so zahlreich stattgefunden haben, dass das Besuchen all jener Veranstaltungen letztendlich schon in Stress ausartete, aber auslassen konnte man trotzdem nichts, Weihnachten ist schließlich nur einmal im Jahr und da muss es voll ausgenutzt werden.

Dann - Gesprächspause. Ein Kind fragt: "Mami, was ist denn der richtige Sinn von Weihnachten ?"

"Also, auf keinen Fall darfst du glauben, dass es dabei nur um Geld und Geschenke geht, mein Kind", antwortet die Angesprochene.

Alle stimmen munter mit ein und bestätigen das Gesagte. Geschenke und Geld an Weihnachten machen auch nicht glücklich, das darf man nicht glauben. Mehr erfährt das Kind allerdings auch heuer wieder nicht über den wahren Sinn von Weihnachten.

Als die Familie sich endlich voneinander verabschiedet, fällt ihr Blick auf drei Kinder, die nahe dem Haus vor einer kleinen Tanne im Wind stehen, die sie mit zwei Kerzen geschmückt haben. An ihren Gesichtern kann man erkennen, dass sie frieren, doch ihre Augen strahlen.

"Oh - seht wie arm! Die haben gar keine Geschenke, nicht einmal an Weihnachten, die Armen!", meint da die Tante und alle Köpfe drehen sich zu den Kindern.

Diese sind glücklich, als sie sich gegenseitig die Geschichte von Maria und Josef erzählen, wie sie eine geeignete Herberge für sich und das erwartete Kind suchen und lachen als sie sich umarmend „Frohe Weihachten“ wünschen. Sie lieben es, die Weihnachtsgeschichte, die sie von den Eltern überliefert bekommen haben, jedes Jahr nachzuspielen. Im Schnee, warm bekleidet, die Zeit mit der Familie genießend, die an diesem Tag endlich zusammen kommen kann und ihnen diese „Spiel-Spätschicht“ erlaubt, als Weihnachtsgeschenk.

Doch das Lachen prallt ab an den dicken Fensterscheiben der Reichen und verschallt ungehört.

Fröhliche Weihnachten.

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