Heute hatte ich meine erste Sitzung bei Herrn Dr. Zensiert. Dr. Zensiert ist Psychiater und Experte für das Thema Transsexualität. Diese ist bis voraussichtlich 2017 nämlich auch noch unter dem Namen „Störung der Geschlechtsidentität“ oder auch „F64.0“ bekannt und wird zu den Persönlichkeitsstörungen gezählt. Im neuen ICD-11 (Internationalen Klassifizierung von Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) hingegen wird Transsexualität als medizinischer Zustand geführt werden: Geschlechtliche Nichtübereinstimmung. Mit meiner "Geschlechtlichen Nichtübereinstimmung" also sitze ich nun bei Dr. Zensiert in der Praxis und fixiere das Regal des Arztes, welches mit allerhand medizinischen und psychiatrischen Fachbüchern beladen ist.„Wollen Sie anfangen oder soll ich Fragen stellen?“„Ich ähm… fragen Sie lieber.“Im Endeffekt wäre es auch egal gewesen wer anfängt, denn er fragt genau das, womit ich gerechnet hatte. Wann kam ich mit dem Thema zum ersten Mal in Berührung? Wann bemerkte ich, dass ich „anders“ war? Wie äußerte sich das? Wie war meine Schulzeit? Pubertät? Hatte ich Freunde oder war ich eher für mich? Wie ist das Verhältnis zu meiner Mutter? Vater? Stiefvater? Wann entschied ich handeln zu müssen? Warum?Wir verstehen uns gut und ich beantworte alle Fragen wahrheitsgetreu während er scheinbar interessiert nachfragt. Doch uns wird schnell klar, dass es sich hier eher um Formalitäten handelt. Ich bin entschlossen und weiß, dass dies der richtige Weg für mich ist. Und er merkt das. „Ich hab mich immer geweigert „Mädchensachen“ zu tragen oder zu machen. Meine Barbiepuppe habe ich im Klo ertränkt. Bin mir ziemlich sicher, dass sie das nicht überlebt hat. Mit Mädchen spielen war doof, als Teil der Jungengang später sowieso… Aber da war wohl, laut meiner Mom, dieses eine Kleid, mit coolen Punkten drauf. Das fand ich, wenigstens ne zeitlang, gar nicht sooo furchtbar…“Wir schauen uns beide an. „Was waren das für "coole Punkte"?“„Glaub… grüne Punkte. Ich erinnere mich nicht mehr.“Er nickt. Einen kurzen Moment frage ich mich tatsächlich, ob mich das jetzt weniger Trans* macht, denn auch ich habe die Rollenbilder dieser Gesellschaft sehr verinnerlicht und ein Junge im Kleid, selbst wenn dieses gepunktet ist…„Das ist völlig normal, auch für einen Jungen. In dem Alter probiert man alle möglichen Rollenmodelle mal aus. Kinder in dem Alter probieren sich aus.“Solange die Eltern das zulassen jedenfalls, denke ich. Nicht selten habe ich schon erlebt, wie die kindliche Neugierde als unnormal gesehen und diese dann mit aller Macht von Außen unterdrückt wird. Neurosenfutter vom Feinsten!Nach 40 Minuten sind wir fertig und machen einen neuen Termin für in drei Wochen. Das Ganze wird die nächsten 6-12 Monate so gehen, ehe ich Testosteron verschrieben bekomme. Weitere 18 Monate bis zu meiner ersten geschlechtsangleichenden OP, der Mastektomie und wer weiß wie lange noch, bis die Personen-und Namenstandänderung durch ist.Mich durchströmt eine seltsame Mischung aus Ungeduld und Zufriedenheit, als ich aus der Praxis komme. Es ist anstrengend zu sehen, was noch vor mir liegt, aber wenn ich zurück blicke bin ich sehr zufrieden mit dem, wo und vorallem wer ich bin.

Ich lächle die Leute an, die mir entgegen kommen, die meisten lächeln zurück und ich frage mich plötzlich:„Was ist nur aus dem grün gepunkteten Kleid geworden?“

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Lucidarior

Lucidarior bewertete diesen Eintrag 04.09.2017 17:57:46

fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:15

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