Celebrities sind auch nur Menschen. Nicht mehr — aber auch nicht weniger...

Ich habe bereits über die Soziologie des Ruhms geschrieben und über die Wahrheit von Masken, nun folgt der dritte Teil:

Es gibt verschiedene Sorten von Leuten. Wie soll ich es am besten erklären... Manche tun zum Beispiel so, als ob Stars "Übermenschen" wären, gottesgleiche Wesen, die weit über "uns Allgemeintheit" liegen und denen quasi die Welt zu Füßen liegt; da wird angehimmelt was das Zeug hält. Dann gibt es aber auch jene, die Prominenten (egal ob jetzt "A" oder Z-Prominenz etc.) in keinster Weise irgendetwas abgewinnen können; da kommen dann oft sehr zynische und gehässige Kommentare, "ja ja, die 'V.I.P.s'" heißt es dann, usw. ... Ich halte beides für falsch. Ich finde, die "Celebs" sind alle verschieden, genau wie du und ich, manche sympathisch, manche nicht - jedenfalls sind sie weder perfekt und vollkommen, noch muss man über sie immer böse Kommentare ablassen, es sind einfach Menschen - nicht mehr. ABER eben auch nicht weniger. Was ich damit sagen will, möchte ich nun gerne weiter erläutern, ich hoffe es gelingt mir:

"There's no business like show business."

Wahrscheinlich wird dieser Blog-Beitrag bei einigen hier auf Unverständnis stoßen, aber egal. Es ist mir gerade einfach ein Bedürfnis, darüber zu schreiben, auch wenn es vielleicht nicht jeder nachvollziehen mag. Neulich bin ich auf ein langes, englisches Interview gestoßen, dass mich sehr, sehr nachdenklich gemacht hat.

Es handelte sich um ein sehr persönliches Gespräch mit der - in unseren Breitengraden kaum bekannten - amerikanischen Entertainerin und TV-Moderatorin Joan Rivers. Wie gesagt, den meisten hier wird der Name nix sagen, in ihrem Heimatland, den USA, war sie dafür irrsinnig populär und sehr erfolgreich; quasi ein richtiger Star in der Comedian-Szene, sie galt als Ikone (und ist vor einem Jahr verstorben).

Ich habe natürlich - wie wir alle - Vorurteile. Das Unterbewusstsein von uns Menschen urteilt innerhalb von Milisekunden, wir können gar nicht anders. So selbstverständlich auch bei Leuten, welche in der Öffentlichkeit stehen. Ich kannte Frau Rivers bis dato nur durch ihre (zum Teil sehr geschmacklosen und vulgären) Witze, die sie immer wieder bei Bühnenauftritten und Talkshows zum besten gab (sie machte sogar einmal einen Witz über den Holocaust, obwohl sie selbst Jüdin war und Vorfahren von ihr ermordet wurden; ich persönlich reagiere ja sehr sensibel auf derart rabenschwarzen Humor, muss ich sagen - aber Frau Rivers galt quasi als "die Königin der politischen Unkorrektheit"; ihre humoristisch und satirisch gemeinten Aussagen haben immer sehr stark polarisiert. Frau Rivers galt als eben so beliebt wie kontrovers, die einen liebten sie und ihre Witze und die anderen fanden sie und ihr Werk grässlich.)

Dann ihr Aussehen: Sie selbst hat ihre "Sucht nach Schönheitsoperationen" in ihren Kabarretts und Shows immer wieder thematisiert und sich regelmäßig selbst verarscht. (Vielleicht auch ein Grund, warum sie in Amerika so bekannt und beliebt war und bei uns weniger; ich glaube das europäische Publikum ist weitaus weniger tolerant gegenüber ein derart "bearbeitetes", künstliches Äußeres, während es über den großen Teich wohl eher akzeptiert wird in dieser Branche, womöglich.) Aber selbst wenn sie dies nicht gemacht hätte, es ließe sich nicht verschweigen, dass die werte Dame mehr als nur einmal auf dem Tisch eines Chirurgen lag; die Mimik wirkte immer eingefroren, die Gesichtszüge sehr verzerrt und unnatürlich. Vergleicht man alte Jugendfotos mit ihrem späteren Aussehen, gibt es so gut wie null Wiedererkennungswert. Nase, Augen, Lippen, Wangen, Kinn - einfach alles komplett anders.

Nun denn: All das hat auf mich damals keinen... nun wie soll ich sagen? Mein allererster Eindruck von Frau Rivers war damals nicht unbedingt so positiv, zuerst. Eine Frau mit so vielen OP-Eingriffen und die so gerne radikale Witze weit unter der Gürtellinie macht, schien mir wenig authentisch zu sein, irgendwie. Sie wirkte auf mich dadurch platt und oberflächlich - und bei Leuten, welche man so einschätzt, vermutet man ja automatisch keinen "tiefsinnigeren" Kern, nicht wahr? Zumindest ging es mir persönlich so. Das sind eben leider die Vorurteile, die man so hat oder welche eben entstehen können. Reiche Frau, süchtig nach Aufmerksamkeit, primitiver Witz - ich glaube, das fasst so meinen Gesamteindruck anfangs zusammen.

All das möchte ich jetzt relativieren und zwar unbedingt. Man liegt mit seinem ersten Eindruck oft so unglaublich falsch. Ich schäme mich direkt.

Niemand guckt hinter die Fassade und erkennt, wie sehr sie manchmal bröckelt innerlich. Niemand guckt hinter die Maske.

Das vorhin erwähnte Interview (ich werde es am Ende dieses Blog-Posts anhängen) beginnt eigentlich recht harmlos und unspektakulär; aber im Laufe der Zeit erzählt Frau Rivers der Psychologin Dr. Pamela Stephenson immer mehr und mehr Persönliches aus ihrem Leben.

Und was dann passiert, damit hätte ich wirklich im Leben nicht gerechnet - ich bin fast zu Tränen gerührt. Das geliftete, starre Gesicht von Miss Rivers hat mich tatsächlich beinahe zum Weinen gebracht.

Sie erzählt davon, dass sie magersüchtig war und nach wie vor Bullimie-Attacken habe hin und wieder, sich immer schon "zu fett" fühlte. Von ihren Eltern, die ihr nie Anerkennung geschenkt haben. Davon, dass sie sich niemals hübsch gefühlt habe. Davon, dass sie noch nie in ihrem ganzen Leben ein Mann jemals "schön" genannt hat.

Sie erzählt von Depressionen. Sie erzählt von Ehestreits. Sie erzählt von dem Suizid ihres Mannes. Sie erzählt davon, wie ihre Tochter jahrelang mit ihr nicht mehr gesprochen habe, kein einziges Wort - warum? Weil sie ihr, der Mutter, die Schuld für den Selbstmord ihres Vaters gab.

Sie erzählt davon, wie sie selbst versucht, Suizid zu begehen - mehrere Male.

Sie erzählt davon, dass ihr Psychiater, der ihre allerletzte Hoffnung war, an AIDS erkrankte - und die Therapien mit ihm immer absurder wurden im Laufe der Zeit, da Frau Rivers quasi ihren Therapeuten therapieren musste und nicht umgekehrt; sie erzählt ihm von ihren Depressionen, ihrer Kauf- und Esssucht, ihren Selbstzweifeln und Selbstmordversuchen, während er selbst nur noch ein paar Monate zu leben hat, aufgrund der schlimmen Krankheit.

Frau Rivers sieht in ihm einen guten Freund. Einen tollen Menschen, der ihr immer half und den sie unter keinen Umständen verlieren möchte. Am Ende der Therapie-Sitzungen heulen jedes Mal beide...

Hollywood kann genau so düster wie jeder andere Ort sein. Nie im Leben hätte ich all das vermutet. Mir fehlen die Worte. Plötzlich macht alles irgendwie einen Sinn. Was alles so stecken kann hinter der perfekten und dauerlustigen Showbusiness-Fassade, unfassbar.

Alles, was ich noch sagen kann, ist:

Rest In Peace, Joan!

(Zeichnung: Benjamin Schwartz/The New Yorker)

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