Ist das amerikanische Experiment gescheitert?

Die USA wurde 1776 geboren aber wirklich zu Leben kam sie 1787 mit der Niederschrift ihrer Verfassung. Die Verfassung der USA definiert im Wesentlichen was sie ist und wichtiger: was die Pflichten der Regierung sind, was sie tun kann und was sie nicht tun kann. Es ist damit, theoretisch, egal wer an der Macht ist weil sich jede Regierung innerhalb der Grenzen der Verfassung bewegen muss.

Und genau das war ja auch die Idee an der Sache. Die Gründer der USA wussten dass jede Kultur die vor ihnen gekommen ist einen Hang dazu hat in Tyrannei zu enden, etwas das die hanfrauchenden demokratiebegeisterten Revolutionäre eben verhindern wollten.

Was sich die Gründer dachten ist von ihren Handlungen abschätzbar. Die Gründer wollten nicht herrschen und nicht beherrscht werden, deswegen wurde Washington ja nicht König. Die Idee war eine andere Form der Identität zu stiften. Während der Franzose eben französisch war und der Christ eben christlich war sollte der Amerikaner sich als „frei“ verstehen.

Genau deswegen spielt eben die „Freiheit von allen Geigen“ wie ihre Kritiker so gern besingen.

Die Grundidee der USA war ein Setup zu schaffen in dem das Volk dann weitgehend tun kann was es möchte und die Regulation aus sich selber passiert. Jeder der so leben möchte, soll eben kommen und leben wie er will, der Mörtel der die Kultur zusammenhalten sollte wäre der freie Handel. Die Idee ist damit eng mit den Theorien von Adam Smith verbunden, der „The Wealth of Nations“ ja auch 1776 veröffentlichte.

Die Idee war also, dass in einem freien Markt auch Leute kooperieren die sich nicht leiden können. Wenn Kooperation aber so erreicht werden kann, fällt die Notwendigkeit für eine übergeordnete Identität weg, so jedenfalls die Idee. Und die Sache funktioniert. Und eine Zeit lang sah es so aus als wäre das die beste Lösung.

Das Problem an der Sache ist dass es eben nicht ganz ohne einen zentralisierten Staat (mit echter Macht) geht, vor allem Kriege machen das offensichtlich. Die frühen Kriege der USA zeigten der jungen Nation dass sie mehr zentralisierte Macht braucht um im Krieg zu bestehen und nach dem Krieg hatten sich die Machthaber daran gewöhnt über so viel Zaster zu verfügen dass sie eben Gründe fanden weiterhin die Sonderkriegssteuern einzufordern.

Der Staat expandierte und krachte an allen Ecken und Enden an die engen Grenzen der Verfassung. Die Verfassung, als das Stück Papier das sie ist, hat recht wenig gegen den Angriff von intelligenten Menschen entgegenzuhalten. Schon alleine der Umstand der sich veränderten Sprache macht die Verfassung in vielen Bereichen unverständlich, schlicht weil damals das gleiche Wort eine andere Bedeutung hatte.

Das amerikanische Experiment bewegte sich daher schleichend genau dort hin wo es nicht sein sollte: zu einer staatlich verordneten Identität und zu einem unfreien Markt. Der Amerikaner war nicht mehr frei, er wurde amerikanisch.

Heute ist Amerika stärker reguliert und besteuert als die Briten im 18. Jahrhundert. Die Gründer konnten also das was sie selber als tyrannisch verstanden nicht verhindern, nach ihrer Ansicht wäre die USA längst eine Tyrannei und würden sie noch leben, würden sie, mit Joint in der einen Hand und AR15 in der anderen, zur Revolution rufen.

Die USA ist aber jetzt eine andere Nation, längst nicht mehr frei und längst nicht mehr von freien Handel zusammengeleimt. In den USA ist passiert was überall anders auch passiert ist: unterschiedliche Gruppen, vor allem sich geographisch nahe stehenden Gruppen, sehen sich als ein „wir“ und die Außenstehenden als „die Anderen“. Etwa 1/3 der Amerikaner können sich vorstellen von der USA wegzubrechen um „ihre Identität“ in „ihrem Land“ zu realisieren.

Das amerikanische Experiment war im Grunde die Frage ob eine multikulturelle Gemeinschaft nicht nur bestehen kann, sondern erfolgreich wäre, wenn sie nur vom freien Handel zusammengehalten wird. Könnten Menschen die unterschiedliche Ansichten haben, unterschiedliche Geschichte, unterschiedliche Religionen und sogar unterschiedliche Sprachen sprechen, kooperieren, wenn alles was sie vereint das Wissen ist dass sie anderswo eben nicht so frei tun und lassen können was sie möchten?

Kann eine Nation auf Dauer den Verfassungskreislauf durchbrechen und ewig eine Gesellschaft bleiben die sich selber beherrscht? Kann eine Kultur auf Dauer bestehen die das Tyrannische ablehnt?

Die Antwort scheint nein zu sein.

Das Tyrannische ist scheinbar nichts das den Menschen aufgedrückt wird, sondern etwas das viele Menschen herbeisehnen. Und das ist vermutlich dann die Krux an der Sache: ist Freiheit für manche das höchste Ziel, ist es für andere die schlimmste Last. Die USA begann als eine Nation von Menschen die nach Freiheit strebten aber ihre Kindeskinder teilen dieses Ideal nicht notwendigerweise, verstehen es nicht und erleben die USA auch nicht mehr als frei, weil sie schlicht auch nicht mehr so frei ist wie im 18. Jahrhundert.

Ist das amerikanische Experiment, und damit die Idee der unregulierten Multikultur, gescheitert? Die Antwort ist unklar, im Moment aber scheint es so als wäre die Idee von linken und rechten Identitäten aber gerade in den USA groß am Vormarsch. Wartet auf die USA ein ähnliches Schicksal wie auf Yuguslawien in den 1990igern?

Wenn es nach einem Drittel der Bevölkerung geht ist die Antwort bereits jetzt „ja“ und wenn die Geschichte uns etwas lehrt dann ist es das absolut nichts von Dauer ist und die meisten kühnen Experimente eben am Ende doch scheitern und sich die simple, brutale und oftmals dämliche Simplizität des Menschen durchsetzt: Eine Kultur der Identität: des Wir und des Die.

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