Um die Pointe vorweg zu nehmen: die Jugendkultur war vor 20 Jahren im Grunde die Gleiche wie heute und in dem Sinne die Gleiche wie vor 2000 Jahren. Aristoteles (384 - 322 v. Chr.) etwa schrieb:

Ich habe überhaupt keine Hoffnung mehr in die Zukunft unseres Landes, wenn einmal unsere heutige Jugend die Männer von morgen stellt. Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen.

Ich denke persönlich, dass es Homer (8. Jh. v. Chr.) besser bezeichnete als er sagt:

Stets ist Jünglingen ja ihr Herz: voll flatternden Leichtsinns.

In der Kombination dieser beiden Ansichten steckt ein erheblicher Teil der Dynamik zwischen Alten und Jungen und Zugang zu dieser Erkenntnis erlangt man, wenn man sich erinnert wie man selber war.

Der Jugend ist heute nichts heilig, die Jungen machen sich lustig über Transsexuelle, Klimawandel und Quoten. Die jetzt Mittelalten warnen vor Radikalisierung, vor Rassismus und Sexismus und all den anderen Ismen und Phoben. Ab und an belügt man sich selber und redet sich ein die Jungen auf 4chan wären in Wirklichkeit die 80ig Jährigen die man so hasst.

Die gleichen Mittelalten waren aber in ihrer Jugend genauso. In den 90igern war nichts heilig. „Rage againt the machine“ war Programm. Man machte Witze über Gott und Spiritualität, das System, die Wirtschaft, die Politik und es war grandios, vor allem wenn man sich erinnert wie der Leichtsinn flatterte. Für die Damals Mittelalten war die Jugend knapp daran in den Fängen des Teufels zu landen, korrumpiert von MTV und Computerspielen zu werden, man sah keine Zukunft für das Land weil wir in ihren Augen unerträglich und verantwortungslos waren. Und entsetzlich anzusehen.

Aber eine Generation vorher übte sich die Jugend im Aufstand gegen und die 70iger waren jetzt auch nicht unbedingt ein Vorzeigebild für eine Jugend die im Einklang mit ihren Alten stand.

Und das ist Normal.

Die einzige Zeit in der Jugendkultur nicht zu einem eklatanten Bruch mit den Alten führt ist eine Zeit erheblichen Leides, denn in da ist keine Zeit um Neues zu probieren, da heißt es anpacken sonst verhungert man.

Je schneller man erwachsen werden muss, desto geringer ist der Einfluss der Jugendkultur.

Die Kehrseite bedeutet, dass Jugendkultur einen echten kulturellen Einfluss bekommt, wenn die Zeiten gut sind, so sehr, dass Menschen auch mit 40 oder gar 60 noch die Ansichten vertreten die sie mit 20, jugendliche, naive Ansichten, Ansichten voller flatterndem, unverantwortlichen Leichtsinn.

Die Aufgabe der Jugend ist die Gesellschaft zu durchleuchten und Regeln, Methoden, Traditionen und so weiter zu finden die wir wirklich nicht mehr brauchen und sie aus dem System zu nehmen. Was die Jugend an Traditionen übernimmt, macht Sinn damals wie auch heute. Etwa Hosen nicht auf dem Kopf zu tragen, auch wenn wir damit herumexperimentierten.

Ob etwas Sinn macht unterliegt aber eine Prüfung diese Prüfung ist Not und Katastrophe. Wenn es keine Not gibt, kann es passieren, dass man sich von Dingen trennt die man bräuchte, weil ihr Nutzen im Frieden nicht sichtbar ist. Im gleichen Fahrwasser werden neue Traditionen begründet die ihrerseits nur im Frieden und Überfluss funktionieren.

Das Problem unserer Zeit ist dass ein erheblicher Teil der Mittelalten und sogar Alten sich noch immer als Jugendliche verstehen die „gegen das System“ kämpfen, weil sie im Grunde niemals den Schritt gegangen sind erträglich zu werden, verantwortungsvoll zu werden und aufzuhören entsetzlich anzusehen zu sein, in anderen Worten: sich in die Gesellschaft einzufügen und die Traditionen zu leben die funktionieren.

Das Schicksal dieser „Junggebliebenen“ (fälschlicherweise als Kompliment von solchen Menschen verstanden) ist es einen Zweifrontenkrieg zu kämpfen, zum einen gegen die alten Ideen und zum anderen gegen die Jungen die ihrerseits die Revolution der Mittelalten als verstaubt ansehen und alles kritisieren was sie als heilig, modern und richtig verstehen.

Die Jugend heute ist wie die Jugend immer war. Die Jugend ist nicht das Problem. Das Problem sind die Alten die sich ihre Haare blau färben und sich ihren Hals bei Demos gegen das globale Bössein aus dem Hals brüllen.

Es wäre für diese Menschen langsam Zeit erwachsen zu werden.

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A. M. Berger

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