Es läuft etwas falsch, wenn nach einem ORF-Sommergespräch die Art und Weise des Gesprächs sowie das Verhalten der beiden Gesprächspartner in die Schlagzeilen kommen, nicht der Inhalt. Es läuft etwas falsch, wenn die nachrichtenwerte Neuigkeit in der Wiederholung schon bisher Gesagtem besteht und nicht in einer neuen Idee, einem neuen Vorschlag oder einem neuen Thema.

So gesehen ist bei dem Gespräch Tarek Leitners mit ÖVP-Spitzenkandidaten Sebastian Kurz am Montag einiges falsch gelaufen. Leitner hatte seinen Anteil daran, aber nicht weil er Kurz unterbrach und Antworten auf seine Fragen einforderte, was seine Aufgabe ist, sondern weil er in diese Frage zu viel auf einmal hineinverpackt hat, worauf er selbst in einer Phase des Gesprächs hingewiesen hat: „Das habe ich alles in die Frage schon hineinverpackt“. Um das zu tun, sind Leitners Fragen einfach zu lang. Es ist sein Stil, auch bei Studiogesprächen in der ZIB 2. Das aber gibt dem Gegenüber die Gelegenheit, sich das Thema in der prall verpackten Frage auszusuchen, worauf Leitner wiederum enerviert reagiert. Das Gespräch lief für Leitner auch deshalb falsch, weil er sich für das Interview mit SPÖ-Spitzenkandidaten Christian Kern nächste Woche eine Vorlage gegeben hat. Dieses muss nun mindestens ebenso „kontroversiell, hitzig“ – oder was der Zuschreibungen sonst noch waren – werden. Andernfalls setzt er sich dem Vorwurf aus, parteiisch gewesen zu sein. Und das ist nicht der Sinn der Sommergespräche – schon gar nicht vor einer Nationalratswahl unter derartigen einmaligen, bisher noch nie dagewesenen, Vorzeichen wie dieser.

Das Gespräch lief auch für Kurz falsch, auch wenn die Reaktionen bei einer Quote von einer Million Zuseher zeigen, dass er für seine Kritiker nichts richtig, für seine Anhänger aber schon gar nichts falsch machen kann. Er verzichtete auf jeden Überraschungseffekt, auf jede Neuigkeit für erhöhnte Aufmerksamkeit, auf jede Verstärkung allen Bisherigen.

Was also haben interessierte Medienkonsumenten erfahren?

Dass Kurz als Regierungschef die Steuerquote senken und dazu 14 Milliarden Euro einsparen will. Ob dieser Betrag in einem Jahr oder über die gesamte Legislaturperiode von fünf Jahren hereingebracht werden soll, blieb unklar. Der entscheidende Satz: „Pro Jahr am Ende der Legislaturperiode“ brachte keine konkrete Auskunft.

Dass 14 Milliarden unter anderem durch starkes Wirtschaftswachstum hereinkommen sollen. Was aber passiert, wenn das Wunsch-Wirtschaftswachstum (auch Teil des Plans von Christian Kern) sich nicht so einstellen wird, wie erhofft, hat man nicht erfahren. Bekanntlich kann die nächste Krise in dieser globalisierten Wirtschaft den Wunsch nach Wachstum schon zur Makulatur machen. Österreich hat da keinen Einfluss.

Es könnte also schon in wenigen Jahren bei Kern und Kurz heißen: Leider, leider das Wirtschaftswachstum ist unter unseren Erwartungen zurück geblieben, die Steuersenkung geht sich nicht aus.

Dass Kurz die Schulden senken will. Das sollte möglich sein, außer das Wirtschafswachstum. siehe oben.

Dass Ausländer und „Zuwanderung in das Sozialsystem“ (ein FPÖ-Slogan schon vor Jahren) Geld kosten, das man für die Steuersenkung verwenden könnte, wusste der interessierte Medienkonsument bereits. Konkretes kam nicht zur Sprache.

Dass er vielen Freiwilligen des Flüchtlingsjahres 2015 und danach attestiert, nur "ihr eigenes Gewissen beruhigt" zu haben.

Dass auf Länder wie Ungarn oder Polen in der EU besser Einfluss ausgeübt werden kann als außerhalb, was keine neue Erkenntnis ist.

Dass die ÖVP-Abgeordneten im EU-Parlament gegen das Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen gestimmt haben und Kurz nicht erklärte warum.

Dass Kurz “jahrelang miterlebt hat“ wie SPÖ und ÖVP nur „Minimalkompromisse“ zustande brachten und einander keinen Sieg gönnten. Und er - seit 2013 vollwertiges Regierungsmitglied mit Veto-Macht im Ministerrat – aus dem Erlebten keine Konsequenzen gezogen und diese „Minimalkompromisse“ nicht verhindert hat.

Dass die derzeitige „Regierungsspitze“ nicht gewählt ist – wie alle vor ihr, denn gewählt werden Parteien, die bei einer Mehrheit im Nationalrat die „Regierungsspitze“ bestimmen.

Dass er nicht schon wieder neue Regeln für Spenden einführen möchte, weil die alten noch nicht so lange her sind und Transparenz wichtiger sei als Regeln.

Dass Kurz auch sehr dünnhäutig sein kann.

Dass Wähler selbst entscheiden müssen, ob sie diese Stunde Lebenszeit gewinnbringend verbracht haben oder nicht.

YouTube Screenshot Liste Sebastian Kurz

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