Der Extremhumanismus des Moustafa Kashefi

Die Evangelische Kirche Aachens leidet unter Mitgliederschwund. Hochbetagte kurz vor dem Ableben mit Alzheimer füllen kaum die leeren Kirchbänke. Junge Menschen fehlen, die mit einem genügend hohen Einkommen Kirchensteuer versprechen. Der Mitgliederschwund hat mehrere Ursachen: Die natürliche Vermehrung lässt nach; trotz Anerkennung durch die Evangelische Kirche werden von homosexuellen Paaren zu wenig Kinder gezeugt; viele potentielle Mitglieder der Evangelische Kirche Aachen werden vor der Geburt abgetrieben, wenden sich später dem Atheismus oder dem einzig wahren Glauben zu.

500 Jahre nach dem Thesenanschlag Martin Luthers müssen sich die Lutheraner mit ihrem Verschwinden auseinandersetzen. Da keine neuen Ideen zur Hand sind, greift man auf ein Erfolgsrezept zurück, das bereits der evangelische Religionsgründer vor 500 Jahren eingesetzt hat. Zum Glück ist es dem Protoprotestanten und seinen Anhängern in den folgenden Jahrhunderten nicht gelungen, die Juden gänzlich auszurotten. Selbst in Aachen soll es einige davon geben, die man zum höheren Ruhme der Evangelischen Kirche einsetzen kann.

Nach dem großen verlorenen Krieg nimmt der öffentliche Hass gegen Juden in Deutschland aus unerklärlichen Gründen ab. Der private Hass bleibt davon verschont. Nun drängt der Judenhass zurück an die Oberfläche von Politik, Gesellschaft und Kirche. Da in Deutschland Meinungsfreiheit herrscht, ist so gut wie jeder Antijudaismus, Antisemitismus und Israelhass, der sich noch verschämt als „Israelkritik“ tarnt, zulässig. Die Evangelische Gemeinschaft Aachens hätte einen „Antisemtischen Kreis“ gründen können. Doch dieser Gedanke wird schon deshalb verworfen, weil im Haus der Evangelischen Kirche die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit regelmäßig tagt. Auch der Name „Antizionistischer Kreis“ oder „Israelkritiker“ ist nicht opportun, da jeder halbwegs Gebildete sofort erkennt, worum es geht und möglicherweise aus falscher Scham oder unverarbeiteter Schuld sich niemand einer solchen Gruppe anschließen wird. So beschließt das evangelische Erwachsenenbildungswerk Vorträge für rechte Kriegsgegner, sog. Rechtspazifisten, anzubieten, die in Aachen und Umgebung zur Genüge vorhanden sind. Die Rechtspazifisten sind dankbar für jeglichen Antisemitismus, solange der Antisemitismus expressis verbis unerwähnt bleibt, da sie als anständige Bürger und begeisterte Anhänger von Verschwörungstheorien die Knute des dem Zionismus hörigen Rechtsstaates fürchten. Stattdessen spricht man gerne vom Casinokapitalismus, welches früher das raffende jüdische Kapital geheißen hat, ganz im Gegensatz zum schaffenden arischen Kapital. Der (jüdische) Casinokapitalismus benötigt zu seinem Überleben den Krieg. Die Kriege werden von den USA angezettelt, um den Zionismus im Nahen Osten, in Nordkorea und in Berlin-Mitte zu unterstützen. Die Verschwörungstheorien benötigen die Rechtspazifisten wie anständige Christen das tägliche Brot. Das Erkennungszeichen der Verschwörungstheoretiker ist die Stadttaube, die im Begriff ist, einen weißen Klecks abzusondern.

Am Freitagabend, 12.02.2016, findet endlich die Premiere zur Errettung des regionalen Protestantismus im Haus der Evangelischen Kirche in Aachen statt. Trotz Kälte haben sich mutige Antifaschisten uneigennützig vor der Eingangstür des alt-unwürdigen Gebäudes versammelt, die jeden Eintretenden vor Moustafa Kashefi, heute Ken Jebsen, warnen. Drinnen quillt der große und überhitzte Saal über. Mehr als 200 Zuhörer strömen zusammen, und beschleunigen die Kimaerwärmung. Lediglich jeder 4. Zuhörer ist ein aufrechter Antifaschist. Ein alter, sauber angezogener Mann, mit besagter Kleks-Taube an die Brust geheftet, versucht Ken Jebsen vorzustellen, was wegen der plötzlich zunehmenden Lautstärke der Antifa nicht gelingt. Er wendet sich Hilfe suchend an den Lutherischen Organisator, der allen erklärt, dass er, der Lutheraner, für Meinungsfreiheit (sic!) eintritt. Warum lädt er zum Beweis niemanden von der NPD oder einer NSU-Nachfolgeorganisation ein? Zumindest einen NATO-Offizier oder einen Juden?

Nach wenigem Hin und Herr ergreift der eingeladene Jebsen das teure schnurlose Mikrophon aus US-amerikanischer Produktion und fordert Konsumbeschränkung. Er redet viel und schneller als er und seine Sympathisanten denken können. Er schreit und brüllt, was an einen anderen begnadeten Redner und Demagogen erinnert, der vor Jahrzehnten vom Aachener Rathaus huldvoll dem Aachener Volk zugewinkt hat. Er springt von einem Thema zum anderen, um seine Anhänger anzuheizen. Als gelernter Demagoge weiß er, dass er niemandem Zeit zum Nachdenken geben darf, insbesondere nicht seinen zahlreichen Jüngern, die mehr als die Hälfte der kreischenden, klatschenden und jubelnden Masse im Saal ausmachen: Menschen jeglichen Geschlechts und Alters, die alle im tiefsten Herzen die Wiederkehr des Nationalsozialismus herbeisehnen. Der Saal tobt. Manchen erinnert die Aachener Szene an den Münchener Hauptbahnhof, wenn auch ohne Teddybären. Andere denken an den Reichsparteitag als er noch regelmäßig in Nürnberg stattgefunden hat. Einige Personen mit solider politischer Erfahrung wähnen sich in einer NPD-Versammlung.

Es schwirren kreischende, kaum verständliche Worte aus den Lautsprechern, die den Lippen Jebsen übers Mikrophon entfliehen. „Gaza-Kapitalismus“, „Vorkriegszeit“, „bigott“, „selbsternannter Friedensbewegter“, „Juden“, „Israel“. Dann ein ganzer Satz: Jesus ist ein esoterischer Verschwörungstheoretiker. Hier klatscht nur ein kleiner Teil der Rechtspazifisten. Wohl nur diejenigen, deren Bildung ausreicht, um zu wissen, dass Jesus, bevor er zum palästinensischen Muslim verdonnert worden ist, Jude gewesen ist. Der organisierende Lutheraner schweigt. Er braucht jeden für seinem Verein, ob er nun an Jesus als Jude und Gott zweifelt oder an Mohammeds IS glaubt.

Auf die Frage hin, ob er weiterhin den Zionismus für rassistisch halte, antwortet der vortragende Demagoge, dass es ein Fehler gewesen sei, dies zu behaupten. Die Behauptung selbst ist nicht falsch, weshalb er sich nicht entschuldigt.

Eine Verschwörungstheorie jagt die andere. Die NATO schütze deutsche Rechtsradikale, was nachweislich falsch sein muss, da niemand im angeheizten überfüllten evangelischen Saal sich von der NATO beschützt fühlt. NATO-Dienste haben die NSU-Morde ausgeübt. Windräder sind gut, da oder weshalb (?) sie nicht vom raffenden Casinokapital, sondern von schaffenden Kapital erschaffen werden. Genfood, Erdöl und Putin sind schlecht, da Kriegskapitalisten. Der II. Weltkrieg wurde von den Kapitalisten Hitler, Churchill und Stalin angezettelt. Als der wirre Redner ohne Anlauf herausschreit, dass er ein Extremhumanist sei, können sich einige das Lachen nicht verkneifen. Daraufhin erklärt der Demagoge in Rage, dass alle Banken Ausbeuter seien, und ¾ der Leute im Saal brüllen in einer Standing Ovation.

Dann dürfen die Vernünftigen einige wenige Fragen stellen, die KJ nicht beantwortet, was seine Sympathiewerte bei ¾ der Zuhörer, seinen Jüngern, steigert. Er gibt nun offen zu, dass er gegen jeglichen Kapitalismus sei, ohne zu erwähnen, welche Wirtschafts- oder Gesellschaftsform er bevorzuge. Verständlich. Denn wenn wir uns nicht in die Steinzeit oder ins Mittelalter zurückkatapultieren lassen wollen, ist die Auswahl eingeschränkt. Die Sklaverei der Antike entfällt genauso wie die Leibeigenschaft im Feudalismus. Wäre als Ausweg der Sozialismus/Kommunismus/Anarchismus genannt worden, so wären die meisten Rechtspazifisten empört aufgestanden. Fraglich, ob der islamische oder islamistische Fundamentalismus den Zuhörern bekömmlich gewesen wäre. Welche Gesellschaftsform bleibt also übrig?

Der Faschismus!

Das hätte den meisten KJ-Sympathisanten und vielen unpolitischen Protestanten wohl gefallen. Doch noch ist die Zeit weder für Jebsen, noch für die evangelische Erwachsenenbildung hierfür reif genug. Es müssen vermehrt Rechtsextreme produziert werden, was gelingen wird, wenn erneut über eine Million muslimische Flüchtlinge jährlich in den nächsten Jahr zu uns kommen werden, und diese sich dann mit den Rechtsextremen über den gemeinsamen Feind, also den Juden und Israel, verbünden werden.

Ken Jebsen, der neben seinen iranischen Wurzeln behauptet, Nachkomme von Juden zu sein, was seinen Anhängern wenig gefällt, lässt seinen nützlichen jüdischen „Freund“ aus Köln selbsthassende Worte sprechen. Der Redner bezeichnet sich als antizionistischen Juden, vulgo: selbsthassenden Juden. Dann beendet Jebsen seine Logorrhoe, indem er sich mit Jesus auf eine Stufe stellt.

Der nächste Auftritt eines KJ-Eleven aus Köln findet in zwei Monaten statt. Der Reichsparteitag wird im evangelischen Aachen fortgesetzt!

Jebsen ist eine gefährliche Person, der man keine Bühne bieten darf. Ist die politische Konstellation in Aachen einzigartig oder dient sie als Vorbild für Unentschlossene in ganz Deutschland? Der braune Bodensatz lässt sich überall leicht nach oben wirbeln. Die Lutheraner kennen dies bestens aus eigenen Erfahrungen. Nach diesem erfolgreichen Abend wird sich die evangelische Kirche wahrscheinlich wie einst entscheiden, mit den Rechten zusammen zu marschieren. Bald werden in Aachen nicht allein die Flüchtlingsheime, sondern auch die Synagoge brennen.

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